# taz.de -- Küche in der Ukraine: Kampf um den Borschtsch
       
       > Die Unesco hat ihn verteidigt: den Borschtsch. Bei dieser Suppe streiten
       > sich Russland und Ukraine um mehr als nur den Geschmack.
       
       Ein Komitee der Unesco hat am Freitag den ukrainischen Borschtsch in die
       Liste des immateriellen Kulturerbes eingetragen, weil er dringend
       sofortigen Schutz benötigt. Denn schon seit Jahren streiten sich die
       Ukraine und Russland um diese Suppe – selbst auf offizieller politischer
       Ebene.
       
       ## Kulinarischer Krieg
       
       Im April 2022, wenige Wochen nach Beginn des [1][russischen
       Angriffskriegs], redet die Sprecherin des russischen Außenministeriums,
       Maria Sacharowa, über den Borschtsch. Sie behauptet, dass in der Ukraine
       russische Kochbücher verboten seien, in denen der Borschtsch vorkommt. „Er
       darf nur einem gehören. Einem Volk, einer Nationalität“, entrüstet sie
       sich. Tatsächlich ist der Import russischsprachiger Bücher in die Ukraine
       stark reglementiert. Jedoch nicht der von Borschtsch-Rezepten. „Und wenn er
       einfach Allgemeingut wäre? Damit in jeder Stadt und in jeder Region jede
       Hausfrau ihn auf ihre Art zubereiten könne. Nein, sie wollen keine
       Kompromisse eingehen. Das ist Xenophobie, Nazismus, Extremismus in all
       seinen Erscheinungsformen.“
       
       Für den ukrainischen Kulturminister sieht die Sache ganz anders aus: Nach
       der Anerkennung des ukrainischen Borschtschs als immaterielles Kulturerbe
       durch die Unesco schrieb Olexandr Tkatschenko auf Twitter, dass es dabei um
       den Aspekt „Kultur der Zubereitung des ukrainischen Borschtsch“ gehe. „Wir
       werden mit großer Freude Borschtsch und die Rezepte dafür mit allen
       zivilisierten Ländern teilen.“ Ein Konter auf Sacharowas Äußerungen über
       „Extremismus“ und den Borschtsch. „Mit nichtzivilisierten auch, damit auch
       sie etwas Schönes, Leckeres und Ukrainisches haben. In den Kriegen um den
       Borschtsch und gegen Russland werden wir siegen.“
       
       Die nationale Zugehörigkeit des Borschtschs ist ständiger Streitpunkt in
       den sozialen Netzwerken. Es gibt zahllose Rezepte für diese schmackhafte
       Suppe – und aktuell genauso viele Tweets von Politikern aus Russland und
       der Ukraine zum Thema „Borschtsch-Krieg“.
       
       Dieser Krieg begann 2019, nachdem von dem offiziellen Twitter-Account des
       russischen Außenministeriums folgender Tweet abgesetzt wurde: „Ein ewiger
       Klassiker, Borschtsch – eines der bekanntesten und beliebtesten russischen
       Gerichte und Symbol der nationalen Küche.“ Die Regierung der Russischen
       Föderation nannte den Borschtsch also „Symbol der nationalen Küche“. Das
       ukrainische Kulturministerium reagierte und erkannte seinerseits das
       Gericht als Teil des nationalen Kulturerbes der Ukraine an.
       
       Moskau missfiel diese kulinarische Initiative Kiews: In einem Artikel der
       Regierungszeitung Russkaja Gaseta wurde der ukrainische Vorstoß als „neue
       Grundlage für einen internationalen Skandal“ bezeichnet.
       
       Ein Lob der ukrainischen Regierung. Sie hat sich nicht auf einen medialen
       Schlagabtausch beschränkt, sondern auf höherer juristische Ebene gehandelt,
       um damit die Diskussion über die „Nationalität“ des Borschtschs
       international zu klären.
       
       Im März 2021 reichte das ukrainische Kulturministerium deswegen bei der
       Unesco ein Dossier über die „Kultur des ukrainischen Borschtschkochens“ zur
       Aufnahme in die Weltkulturerbeliste ein. Darüber hätte im Jahr 2023
       entschieden werden sollen, aber wegen des Krieges der Russischen Föderation
       gegen die Ukraine wurde beschlossen, die Nominierung in eine andere Liste
       aufzunehmen: die des immateriellen Kulturerbes der Unesco, das eines
       sofortigen Schutzes bedürfe. Vorerst hat Kiew also diesen
       kulinarisch-kulturellen Krieg gewonnen.
       
       „Putin erkennt das Recht der Ukrainer auf ihren Staat nicht an. Er nimmt
       ihnen in diesen Tagen nicht nur Gebiete, sondern auch ihre Kultur und
       Literatur. Jetzt bezeichnet er auch Borschtsch und Wareniki als russisch“,
       sagt der ukrainische Journalist Witali Portnikow. Und spielt auf die
       beliebten ukrainischen, oft mit Kirschen gefüllten Teigtaschen an. „Aber
       wenn man keine Kirschen in die Wareniki füllt, bekommt man am Ende eben
       Pelmeni. Wenn man keine Rote Bete kocht, wird die Suppe eben Schtschi.“
       [Wareniki und Pelmeni sind unterschiedliche Arten von Teigtaschen,
       Borschtsch und Schtschi sind verschiedene Suppen; Anm. der Übersetzerin]
       
       ## Die Geschichte vom Borschtsch
       
       Die Wurzeln der modernen Ukraine und Russlands nehmen ihren Anfang in der
       mittelalterlichen [2][Kiewer Rus]. Damals besitzt die heutige Ukraine die
       Hauptstadt und die meisten wichtigen Stätten dieser Epoche, aber ein
       Jahrhundert imperialer Herrschaft über die Ukraine hat es Moskau
       ermöglicht, ungehindert historische Ansprüche zu kontrollieren. Dies
       dauerte bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991.
       
       Der ukrainische Spitzenkoch Jewgeni Klopotenko, der sich um die
       Popularisierung ukrainischen Essens bemüht, entlarvt den Mythos der
       russischen Propaganda: Borschtsch sei „zu 120 Prozent, ja sogar zu 170
       Prozent“ ukrainisch. „Die Sowjetunion ‚übernahm‘ quasi die Gerichte anderer
       Nationen.“ Als sie 1991 zerfiel, hätte sich Russland, als angeblicher
       Nachfolger der UdSSR, alle diese Speisen einverleibt. „Sie haben gesagt:
       ‚Das gab es in der Sowjetunion, deshalb gehört der Borschtsch uns.‘“ Dann
       verweist Klopotenko auf einen der führenden Experten für die sowjetische
       Küche: den russischen Historiker und Koch William Pochljobkin (1923–2000),
       Autor des Buchs „Nationale Küchen. Die Kochkunst der sowjetischen Völker“.
       
       „Du schlägst das Buch dieses Sowjetpropagandisten auf und liest dort
       einfach den Satz: ‚Borschtsch ist ein ukrainisches Gericht‘“, erzählt
       Klopotenko, der sogar eine Organisation zur Erforschung des Borschtschs
       gegründet hat. „Die Russen können sich ihr eigenes, neues Informationsfeld
       schaffen, die historischen Fakten verdrehen, aber es ist auf jeden Fall
       urkundlich belegt, dass das erste Borschtsch-Rezept im 16. Jahrhundert in
       Charkiw aufgezeichnet wurde“, sagt Klopotenko
       
       Borschtsch wurde in der Sowjetunion zur Zeit Stalins populär als Ergebnis
       einer bewussten und konzertierten Aktion des Kremls: In dem Bemühen, das
       größte Land der Welt zu kollektivieren, wies Stalin seinen Volkskommissar
       für Ernährung, Anastas Mikojan, an, eine sowjetische Nationalküche und eine
       „gemeinsame kulturelle Identität“ zu schaffen. 1939 erschien in der UdSSR
       das propagandistische „Buch über leckeres und gesundes Essen“, das sich zum
       beliebtesten Kochbuch des Landes entwickelte.
       
       Kapitel 6 („Suppen“) beginnt mit sechs verschiedenen Rezepten für Schtschi,
       danach kommt „Borschtsch“: als erstes „Sommerlicher Borschtsch“ aus
       Zuccini, Sellerie, Rote Bete und dann „Ukrainischer Borschtsch“. Nach dem
       Rezept von Mikojan enthält der gewöhnliche Borschtsch Fleisch, Rote Bete,
       Weißkohl, Wurzelgemüse, Zwiebeln, Tomatenmark, Essig und Zucker. Zum
       ukrainischen gehören zusätzlich Pastinaken, Paprika, Tomaten, Kräuter und
       Knoblauch.
       
       In der Ukraine gibt es Dutzende verschiedene Borschtsch-Rezepte. Sie
       variieren je nach Herkunftsregion. Aber jeden Borschtsch verbindet man mit
       dem Geschmack der Kindheit, mit dem Borschtsch, den Mama oder Oma (oder
       Papa oder Opa) gekocht haben.
       
       Egal, was die Leute sagen oder wovon sie dich überzeugen wollen: Ein echter
       ukrainischer Borschtsch ist der Borschtsch, der in deiner Familie gekocht
       wird.
       
       ## Rezept: Juris Borschtsch
       
       Borschtsch zu kochen dauert, wenn ich gut vorbereitet bin, zwei Stunden.
       Aber wenn man einen großen Topf kocht, kann man mehrere Tage davon essen.
       
       Zutaten: 
       
       500 g Knochen und Fleisch vom Schwein
       
       200 g weiße oder braune Bohnen
       
       3 Knollen Rote Bete
       
       etwa 10 Kartoffeln
       
       ein halber Kopf Weißkohl
       
       1 Möhre
       
       1 rote Paprikaschote
       
       1 Tomate
       
       Salz, Pfeffer, 2 Lorbeerbläter, 3 Zehen Knoblauch
       
       Öl zum Anbraten, saure Sahne zum Servieren
       
       1. Anfangen muss man bereits am Abend vorher: mit dem Einweichen der
       Bohnen.
       
       2. Am nächsten Tag kommt die Brühe dran: Fleisch mit Knochen ins Wasser
       geben. Wenn es kocht, den Schaum abschöpfen. Dann auf kleiner Flamme weiter
       garen, salzen. Die Brühe braucht etwa 1,5 Stunden. Sie darf nicht kochen,
       damit sie klar bleibt. Während die Brühe simmert: Bohnen kochen.
       
       3. Dann bereitet man das Gemüse vor: die geschälte Rote Bete grob reiben
       und in einer Pfanne mit Deckel in ein bisschen Öl anbraten. Einen Schuss
       Essig dazu, damit das Gemüse seine Farbe nicht verliert. Ich hasse
       rosafarbenen Borschtsch, er muss rot sein wie Blut! Alles andere ist
       russischer Schtschi.
       
       4. In einer anderen Pfanne brät man in Öl/Butter die Zwiebel, die geriebene
       Möhre und die klein geschnittene Paprika an. Am Ende gibt man die Tomate
       und das Tomatenmark hinzu. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
       
       5. Jetzt ist Zeit für ein Bier oder ein Glas Wein. Danach die Kartoffel
       schälen und in kleine Würfel schneiden. Den Weißkohl in feine Streifen
       schneiden. Die Kräuter hacken und mit dem zerdrückten Knoblauch, Salz und
       Pfeffer vermischen. Und jetzt ist auch die Brühe fertig.
       
       6. Fleisch von den Knochen ablösen, klein schneiden und in die Brühe
       zurückgeben.
       
       7. An dieser Stelle sollte man sich dann auch endlich mal eine Schürze
       umbinden, ein Glas in die Hand nehmen und ein paar Bilder für Social Media
       machen.
       
       8. Wir kommen zum Finish: Als Erstes gibt man Kartoffeln und Kohl in die
       Brühe, nach 10 Minuten die gekochten Bohnen. Auf kleiner Flamme köcheln,
       bis die Kartoffeln weich sind, dann das gebratene Gemüse zugeben. Am
       Schluss dann auch die Rote Bete und die Lorbeerblätter.
       
       9. Nach einigen Minuten kann man die Suppe mit Salz und Pfeffer
       abschmecken. Am Ende wird das Meisterwerk mit der
       Knoblauch-Kräuter-Mischung verrührt. Wer es schärfer mag, gibt noch ein
       bisschen Chili dazu. Den Deckel rauf und den Borschtsch etwas ruhen lassen.
       Das braucht er. Am leckersten ist er sowieso am nächsten Tag. Und am
       übernächsten.
       
       10. Zum Servieren gehört saure Sahne als Topping.
       
       Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey]
       
       4 Jul 2022
       
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