# taz.de -- Musikerin Kuoko übers Selbermachen: „Die Substanz meines Schaffens“
       
       > Kuoko macht alles allein: Songs schreiben, produzieren, Videos erstellen.
       > Für die Hamburgerin ist Musikmachen ihr Weg zum Empowerment.
       
 (IMG) Bild: Kuoko im Hamburger Park Planten un Blomen
       
       taz am wochenende: Kuoko, warum möchten Sie Ihren Nachnamen nicht verraten? 
       
       Kuoko: Ich finde es krass, wie gläsern wir heutzutage sind. Und möchte mich
       schützen, so gut ich kann.
       
       Im Pop sind Pseudonyme durchaus gängig. [1][Lana del Rey] heißt auch
       anders. 
       
       Für sie war es hilfreich. Sie war ja auch früher eine andere Figur und
       wollte sich davon abgrenzen. Das will ich nicht, ich finde, es ist einfach
       nicht nötig, dass ich es verrate.
       
       Woher kommt der Name Kuoko? 
       
       Der leitet sich von meinem Nachnamen ab. Es ist ein existierender
       Eigenname. Er ist kurz und geschlechtsneutral, ich mochte den Sound und das
       Schriftbild, man kann damit graphisch viel machen. Karrieremäßig war es
       nicht unbedingt eine gute Entscheidung, es wird oft falsch ausgesprochen.
       Es ist nicht „Koko“! Ich wollte aber auch einen sperrigen Namen.
       
       Sie sind in Hamburg-Jenfeld aufgewachsen, [2][ein Stadtteil, der lange als
       abgehängt galt]. Wie war das? 
       
       Es ist ein schlechter Ort für Jugendliche, die etwas erleben wollen. Da
       stehen viel Hochhäuser, es gibt nur wenige Kulturangebote. Da möchte man
       eher schnell raus.
       
       Immerhin bekamen Sie Musikunterricht. 
       
       Meine Eltern haben mich immer gefördert. Ich hatte früh
       Keyboard-Unterricht, bei einer seltsamen Frau, die in einem Hochhaus im
       neunten Stock wohnte. Ich musste auf billigen Orgeln spielen, die alle nur
       furchtbare Sounds hatten. Aber das war alles auf Kinderniveau. Ich hatte
       alles andere als eine klassische Ausbildung.
       
       Lief denn zu Hause viel Musik? 
       
       Mein Vater ist Vietnamese, und dort ist die Karaokekultur sehr ausgeprägt.
       Wir hatten auch diese Mikrofone, um vor dem Fernseher zu singen. Das waren
       oft sehr cheesy Popsongs – deshalb schlägt mein Herz wohl auch für solche
       Lieder.
       
       Michael Jackson und Madonna? 
       
       Und ganz viele Lieder mit Saxofon. George Michael! Aber mögen nicht alle
       Menschen Musik?
       
       Natürlich. Aber nur wenige beschäftigen sich intensiv damit. Manche möchten
       hinter die Kulissen schauen, verstehen, woher die Magie kommt. 
       
       Als ich als 17-Jährige einmal sehr heartbroken war, habe ich mir die
       Gitarre meiner Schwester genommen, um das zu verarbeiten. Ich habe mir
       selber das Gitarrespielen beigebracht und Songs geschrieben. Ein gutes
       therapeutisches Mittel. Ich habe viel Pop-Punk wie Avril Lavigne oder Blink
       182 gehört, später dann Folk und Indie. Als Teenager saß ich auf dem Bett
       und habe die Texte in den CD-Booklets studiert. Das war sehr bildend! Und
       es hat mir beim Songwriting geholfen. Ich habe aber Songs auch gecovert.
       
       Welche?Richtig traurige Sachen. Bright Eyes und Radiohead. Als ich
       angefangen habe zu singen, dachte ich: wow, da kommen Töne aus meinem Mund,
       die eigentlich ganz okay sind. Das war eine langsame Entwicklung.
       
       Wie ging die weiter? 
       
       Nach dem Abitur wollte ich raus aus Hamburg und bin mit einer Freundin nach
       London gefahren. Wir hatten keine Jobs und sind in einem besetzten Haus
       gelandet. Und haben dort ganz viel elektronische Musik gehört – da habe ich
       mir vorgenommen, das auch selbst zu machen.
       
       Wie war das in dem Haus? 
       
       Wir haben einem ehemaligen Pub gewohnt, in Limehouse im östlichen London.
       Zwar ohne Zapfhähne, aber es gab noch einen großen Wohnbereich, wo wir
       Musik aufgelegt haben. Das waren nur ein paar Monate, aber es war eine
       prägende Zeit. Mal ein bisschen aus der Gesellschaft aussteigen,
       ausblenden, dass es Verpflichtungen gibt. Irgendwann hatte ich aber keine
       Lust mehr herumzusitzen. Ich habe mich auf ein Studium in Sinologie
       beworben und hatte nebenbei schon ein elektronisches Projekt mit einem
       Hamburger Produzenten. Ich wollte aber nicht nur Sängerin sein. Ich wollte
       selbst wissen, wie das alles funktioniert, und habe es mir dann
       beigebracht.
       
       Ganz ohne Ausbildung? 
       
       Ich habe einen Onlinekurs belegt. So viel hat das aber nicht gebracht. Viel
       wichtiger: Dranbleiben, Selbermachen. Es gibt ja auch Youtube-Tutorials.
       Künstlerische Dinge muss man nicht studieren, man muss einfach anfangen.
       Mit einem Laptop kann man so viel machen. Da konnte ich auch alte
       Glaubenssätze abschütteln, wie den, dass man teures Equipment braucht, um
       Musik zu machen.
       
       Komplette Alben zu produzieren – es gibt nicht viele Frauen, die das
       machen. 
       
       Es ist leider in den Köpfen der Menschen noch nicht angekommen, wie viele
       weiblich gelesene Personen das tatsächlich machen. Wenn ich erzähle, dass
       ich Musik mache, sagen die Leute: dann produziert dich doch sicher diese
       oder jene Person. Das ist nicht böse gemeint, aber noch immer verbreitet.
       Deswegen betone ich es immer wieder, denn wenn du das nicht tust, wird
       davon ausgegangen, dass du es nicht selber machst. Das ist verletzend.
       
       Wie lief es in Ihrer Anfangszeit? Ihnen wurde ein fertiger Track vorgelegt,
       und Sie sollten dazu singen? 
       
       Das ist vorgekommen. Und ich hab immer abgelehnt. Natürlich singe ich auf
       anderen Produktionen. Ich möchte nur nicht, dass ein Kuoko-Album von
       anderen produziert wird. Und ich will es auch selbst machen! Das ist eine
       Welt, die ich liebe, auch wenn sie quälend sein kann. Du musst so viele
       Entscheidungen treffen, du hast am Laptop alle Möglichkeiten. Musik
       produzieren bedeutet, Probleme zu lösen, die du dir selbst geschaffen hast.
       Du fängst etwas an, und dann musst du es auch zu Ende bringen. Ich mag
       diese Herausforderung. Das Gefühl, etwas selbst erschaffen zu können, ist
       wahnsinnig empowernd. Es fühlt sich selbstwirksam an.
       
       Was reizt Sie an diesem Prozess? 
       
       Die Arbeit gibt mir ein Gefühl, das mir sonst nichts auf der Welt gibt. Ich
       habe eine Menge Interessen und Leidenschaften. Ich bin kreativ vielfältig,
       schneidere meine eigene Mode, mache Illustrationen und erstelle meine
       eigenen Videos. Erst wenn ich intensiv an solchen Dingen arbeite, wird mir
       wieder bewusst, wie wichtig das Musikmachen ist. Wie persönlich sich das
       anfühlt und wie stark man Menschen damit berühren kann. Es gibt da diesen
       Song, und der löst Emotionen aus! Das ist kein statisches Bild. Die Töne
       gehen direkt in den Gehörgang einer Person. Das ist mega cool.
       
       Ist Selbermachen der einzige Weg? 
       
       Für mich ist es die Substanz meines Schaffens. Wenn das nicht mehr da wäre,
       würde mir der Grund fehlen, weiterzumachen. Ich schaue nicht herab auf die,
       die sich nur als Sängerin sehen. Aber ich muss selber in diesen Prozessen
       stecken. Billie Eilish hat gesagt, sie würde viel lieber performen als
       Songs schreiben, das ist für mich schwer nachzuvollziehen. Ich habe einfach
       Bock auf die Problemlösung. Ich kann nicht lange stillsitzen, auch im
       Urlaub nicht. Ich lerne einfach gern und bin ein krasser Nerd beim
       Musikmachen. Man muss sehr persistent sein. Das braucht es auch, um in
       diesem System zu bestehen.
       
       Ganz schön viel Arbeit, wenn man bedenkt, dass man selbst mit Millionen
       Streams nicht reich wird. 
       
       Es ist schon krass: ich arbeite seit Jahren hart, verdiene mir aber
       wirklich keine goldene Nase. Mir ist Geld nicht so wichtig. Das Schöne am
       freiberuflichen Arbeiten ist: ich habe viel Zeit. Ich kann selber
       entscheiden, wann ich aufstehe. Selbst über meine Zeit verfügen zu können –
       das ist ein Luxus, und das genieße ich. Mir ist nie langweilig, ich brauche
       auch viel Zeit, um Musik zu machen.
       
       Wie teilen Sie sich Ihre Zeit ein? 
       
       Die Kunst leidet, wenn man ständig abgelenkt ist. In unserer schnelllebigen
       Zeit ist es wichtig geworden, das Handy auszuschalten. Wenn ich im Studio
       bin, muss ich Dinge koordinieren. Ich versuche immer, auf meine Bedürfnisse
       zu hören. Wenn ich mich nicht nach Musikmachen fühle, mache ich’s auch
       nicht. Ich setze mir selbst Deadlines. Die kann ich auch verschieben, das
       ist der Vorteil, wenn man bei einem kleinen Label ist. Da ist alles etwas
       flexibler und der Druck ist geringer.
       
       [3][Kabul Fire ist eine junge Plattenfirma] mit Künstler*innen zwischen
       Rap und Pop. Wie läuft die Zusammenarbeit? 
       
       Viele stellen sich das so vor, dass die den Sound mitbestimmten. Aber ich
       liefere da fertige Songs ab, und die werden abgesegnet, ohne, dass noch
       etwas geändert wird. Das ist nicht selbstverständlich.
       
       Was braucht ein Song denn? 
       
       Das weiß ich einfach. Das ist in gewisser Weise etwas Magisches. Ich habe
       im Moment bestimmt 50 Ideen für Songs auf dem Rechner. Aber erst die Zeit
       verrät dir, was nötig ist. Du hörst alle paar Wochen wieder hinein, und
       irgendwann weißt du, welcher Track aufs Album kommt. Wichtig ist: der Song
       muss was mit dir machen. Er muss dich emotional berühren. Wenn das nicht
       passiert, darf der nicht aufs Album. Es ist ein Klischee, dass Musikmachen
       therapeutisch ist. Aber es kann sehr befreiend sein, seine Gedanken mit
       einem Song zu verarbeiten.
       
       Haben Sie Ihre Songs denn am Anfang nur für sich geschrieben? 
       
       Ich mache alles für mich selbst. Das ist das Geile an Popmusik. Sie stellt
       dich vor die Herausforderung, etwas sehr Konkretes zu vermitteln. Im
       Gegensatz zu abstrakten Songs ohne Gesang. Man fragt sich: ist das
       verständlich, was ich mache? Du lernst, zu kommunizieren. Das Projekt Kuoko
       gibt mir immer wieder einen Grund, mein Verhalten zu hinterfragen. Das gibt
       mir Anreize, über mein Leben nachzudenken. Die Themen in mir drängen sich
       nach vorne. So entsteht etwas Relevantes. Ich mache mir viele Notizen, und
       habe so immer einen Pool an Gedanken, die ich einfließen lassen kann. Aus
       einer Zeile wird dann ein ganzer Song. Bei „Perfect Girl“ war es so.
       
       Sie meinen die Zeile „I’ll never be the perfect girl that you want me to
       be“? 
       
       Ja. Wir leben in einer Gesellschaft mit klaren Vorstellungen einer Frau
       oder eines Mannes, dazwischen scheint es noch nicht so viel zu geben. Ich
       habe mich gefragt, was es mit mir macht, dass ich als Frau sozialisiert
       wurde, und mich damit mit verschiedenen Erwartungen konfrontiert gesehen
       habe. Ich habe da sicher Verhaltensweisen verinnerlicht, die ich gerne los
       werden möchte.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Ich hatte immer ein Problem damit, Nein zu sagen. Dieser Drang, Leuten
       gerecht zu werden, hat stark mit meiner Sozialisation als Frau zu tun.
       Früher habe ich oft unverschämte Angebote bekommen, beispielsweise ein
       Konzert umsonst zu geben. Ich bin mittlerweile selbstbewusster beim
       Verhandeln und schaue, von wem ein Angebot kommt. Von dir als Frau wird oft
       erwartet, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Frauen könnten in
       unserer Gesellschaft noch viel mehr Platz einnehmen.
       
       Man hört das oft, aber was bedeutet das? 
       
       Das geht ja schon im Kindergarten los: man darf nicht anecken, nicht
       unbequem sein. Als ich jünger war, habe ich mehr Wert darauf gelegt, über
       mein Aussehen akzeptiert zu werden. Ich hatte das Gefühl, nicht
       ungeschminkt aus dem Haus gehen zu können. Man lernt dann, nicht immer
       anderen gefallen zu müssen.
       
       Welche konkreten Sexismus-Erfahrungen haben Sie als Musikerin gemacht? 
       
       Wenn ich mit einer männlich gelesenen Person an einen Veranstaltungsort
       komme, werde nicht ich angesprochen, sondern der andere. Obwohl diese
       Person selbst gar nicht Musik macht! Und nach einem Konzert wurde ich schon
       gefragt, ob ich meine Songs selbst schreibe. Als ob meine männlichen
       Kollegen das jemals gefragt werden würden!
       
       In Ihrem Song „Yellow Fever Gaze“ geht es um rassistische Stereotype. 
       
       Noch immer müssen asiatisch gelesene Personen oft eine Klischee bedienen.
       In Serien und Filmen bekommen sie nur selten eine Rolle mit einer eigenen
       Agenda, sie sind der Nerd oder die gefühlsselige Freundin. Das sind
       schlimme Stereotype. Der Song setzt sich damit auseinander, aber auch mit
       einer Fetischisierung asiatischer Personen.
       
       In „Strong Girls Don’t Cry“ heißt es: „You were raised to stand up strong,
       never show any emotion“. Wen meinen Sie damit? 
       
       Ich habe an Mütter gedacht. „Never be a burden to anyone“ (singt) – da
       hatte ich starke Mütter im Kopf, die immer funktionieren und die eigenen
       Bedürfnisse zurückstellen müssen. Aber ich sehe das
       generationenübergreifend. In unserer Gesellschaft ist es immer noch tabu,
       sich verletzlich zu zeigen. Wir haben ein Superhelden-mäßiges Bild von
       Stärke. Ich finde das toxisch.
       
       Wie stark waren Sie selbst? 
       
       Ich habe viele Glaubenssätze über mich selbst dekonstruieren müssen. Als
       Kind war ich sehr selbstbewusst. Ich war gut in der Schule, habe ich mich
       viel getraut, habe geturnt und viel gelesen. Immer war ich mit irgendetwas
       beschäftigt. Und dann kam die Pubertät und hat alles verändert. Eine
       schwere Zeit. Es war einfach nicht geil, 13 zu sein. Ich war mit vielen
       Unsicherheiten konfrontiert. Das hat mich auf eine gewisse Weise gebrochen.
       Ich musste mir mein kindliches Selbstvertrauen wieder erarbeiten. Musik war
       da sehr empowernd.
       
       Um Unsicherheit geht es auch in Ihrem Song „Cybercreeping“. Und etwas, das
       wir alle tun: Leute googeln, um möglichst viel über sie herauszufinden. 
       
       Es geht da schon um einen echten Stalker. Ich fand es interessant, im Song
       diese Position einzunehmen. Ich glaube, eine Person gut zu kennen, weil ich
       ihr bei Instagram folge. Aber eigentlich weiß ich gar nichts. Die Instagram
       Stories, in denen Leute sehr private Dinge mitteilen, sind ja ein eher
       neues Phänomen. Aber dieses Image ist im Zweifel eher konstruiert. Und
       schafft ein Gefühl von Nähe. Ich selbst muss schon beruflich viel auf
       Social Media unterwegs sein.
       
       Und tut Ihnen das gut? 
       
       Bei allen negativen Aspekten sehe ich auch einen Mehrwert. Man kann mit
       seiner Reichweite viel bewirken. Man muss ein gesundes Maß finden. Sich
       selbst Regeln aufstellen. Zum Beispiel, wann man von sich keine Selfies
       macht.
       
       Sie haben mir vorab gesagt, dass Sie die Frage nach den musikalischen
       Einflüssen nicht schätzen. Darf ich sie dennoch stellen? 
       
       Ich verstehe die Frage schon. Es ist bei mir aber sehr vielfältig. Auch
       dadurch, dass ich jahrelang im Plattenladen gejobbt habe. Das war eine
       bereichernde Zeit, ich habe da auch andere Genres wie Jazz angefasst.
       
       Plattenläden sind eine Männerwelt. Kam manchmal einer rein und wollte
       erklären, was richtige Musik ist? 
       
       Menschen, die musikaffin und ein bisschen nerdig sind, sind mir erst einmal
       sympathisch. Klar, Plattensammlungen sind Statussymbole, da kommen schon
       mal Männer rein und wollen dir davon erzählen.
       
       Was sagen die dann? Unterstellen einem Ahnungslosigkeit, wenn man eine
       bestimmte Dire-Straits-Platte nicht kennt? 
       
       Die Typen gibt es, natürlich. Da muss man dagegenhalten. Ich bin dann
       einfach ich selbst, das ist automatisch ein Dagegenhalten. Die Chefs waren
       auch auf meiner Seite. Und wenn die Kunden mir ganz blöd kamen, habe ich
       die gebeten zu gehen.
       
       15 Aug 2022
       
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