# taz.de -- Leben mit Long Covid: Erschöpft und frustriert
       
       > Wer Long Covid hat, kämpft gegen eine kaum erforschte Krankheit.
       > Betroffene fühlen sich oft nicht ernst genommen – auch von Ärzt*innen.
       
       Vor ein paar Wochen hat er sich einen Gehörschutz gekauft. Nicht gegen
       Baustellenlärm, sondern um sich für die ganz alltägliche Berliner
       Geräuschkulisse zu wappnen – zu laut, zu schrill, zu viel für ihn. Seit Jan
       Niklas Lehmann Ende 2020 an Long Covid erkrankt ist, überfordert den
       29-Jährigen das Leben in der Großstadt. Wenn er es schafft, seine Wohnung
       zu verlassen, um nach draußen zu gehen, ist der Gehörschutz eine echte
       Hilfe.
       
       So wie an diesem warmen Freitag, an dem er im Bezirk Friedrichshain am
       Boxhagener Platz auf einer schattigen Bank sitzt. „Das ist mein Highlight
       heute“, sagt Lehmann und lächelt. Auf der Wiese sonnen sich junge Menschen,
       in den Büschen lärmt ein Schwarm Spatzen. Der Gehörschutz liegt griffbereit
       neben Lehmann auf der Bank. Er weiß, nach diesem kurzen Gespräch wird er
       sich erst mal ausruhen müssen.
       
       Früher war Jan Niklas Lehmann ständig auf Reisen und ging mehrmals pro
       Woche ins Fitnessstudio. Sportlich sieht Lehmann immer noch aus, doch wurde
       bei ihm das chronische Erschöpfungssyndrom Fatigue diagnostiziert, das
       häufig bei Long Covid auftritt. Typisch dafür ist, dass Betroffene bereits
       von geringen Anstrengungen erschöpft sind, im Fachjargon heißt das
       Post-Exertional Malaise oder kurz PEM.
       
       So ist es für Lehmann schon ein Kraftakt, für ein paar Minuten draußen
       unterwegs zu sein. Und wenn er sich übernimmt, dann liegt er auch mal drei
       Tage lang flach und hat unerklärliche Muskelschmerzen. Müde fühle er sich
       dann zwar nicht, aber er brauche Ruhe. „Bei mir ist es am besten, in einem
       dunklen Raum zu sein, möglichst abgeschirmt“, erzählt er. Am Kragen seines
       T-Shirts baumelt eine Brille mit abgedunkelten Gläsern, Sonnenlicht reizt
       ihn ebenso wie Lärm. Eigentlich leitet Lehmann ein Team bei einem
       Reiseveranstalter. Aber seit anderthalb Jahren kann er nicht mehr
       arbeiten.
       
       Im Oktober 2020 hat Lehmann sich mit Corona angesteckt – die akute Phase
       verlief mild bei ihm. Obwohl er sich auch danach ein wenig erschöpft
       fühlte, ging er im November und Dezember wieder zur Arbeit. „Damals habe
       ich mir gar nichts dabei gedacht“, erzählt er. „Ich war ja ansonsten kaum
       krank und schob die Erschöpfung darauf, dass ich lange keinen Sport gemacht
       hatte. Aber dann im Januar, dann ging's halt gar nicht mehr.“ Seitdem sucht
       er nach Fachärzt*innen und Studien und möchte vor allem eins: wieder
       gesund werden.
       
       ## Symptome, die bleiben
       
       Unter Long Covid werden alle Symptome gefasst, die Infizierte auch vier
       Wochen nach der akuten Corona-Erkrankung haben und für die es keine
       wahrscheinlichere andere Erklärung gibt. Die Erkrankten sind dann nicht
       mehr ansteckend, aber am gesellschaftlichen Leben können viele trotzdem
       weiterhin nicht teilhaben. Dauern die Symptome drei Monate an, definiert
       die Weltgesundheitsorganisation WHO das als Post-Covid-Zustand.
       
       Aber trotz WHO-Definition: Bisher ist die [1][Krankheit nur schlecht
       erforscht] – aus wissenschaftlicher Sicht sind zwei Jahre sehr kurz. Wegen
       fehlender Studien können viele Mediziner*innen nichts mit der
       Krankheit anfangen und [2][Patient*innen fühlen sich nicht ernst
       genommen].
       
       Um mehr über die Krankheit zu erfahren, stellte das
       Bundesforschungsministerium im vorigen Jahr 6,5 Millionen Euro für Studien
       bereit, in diesem Jahr kamen weitere 5 Millionen für klinische Studien
       hinzu. Auch einzelne Bundesländer investieren Millionenbeträge, wie zum
       Beispiel Niedersachsen mit etwa 10 Millionen Euro. Das sei zu wenig,
       kritisieren Forscher*innen und Betroffene. In den USA etwa stellt die
       Gesundheitsbehörde eine Milliarde Dollar für die Forschung zu Long Covid
       zur Verfügung.
       
       Warum Menschen Long Covid entwickeln, ist also noch unklar. Es fehlen aber
       sogar Daten dazu, wie viele Menschen tatsächlich an Long Covid erkrankt
       sind. Die bundesweite Initiative Long Covid Deutschland schätzt, es seien
       mehr als 500.000. Sicher ist: Einige von ihnen waren selbst als
       Krankenpfleger*innen oder Ärzt*innen im Gesundheitswesen tätig und
       infizierten sich während der ersten Infektionswellen.
       
       Erste [3][Studien legen] nahe, dass die Wahrscheinlichkeit, Long Covid zu
       entwickeln, durch [4][die Omikron-Variante gesunken] ist. Ebenso verringern
       nach ersten [5][Erkenntnissen Coronaimpfungen das Risiko]. Verringerte
       Wahrscheinlichkeiten und Risiken bedeuten leider weiterhin: Infiziert man
       sich, sind Langzeitfolgen möglich, auch für Kinder und Jugendliche. Wenn
       das passiert, geht es aber nicht allen Menschen genau wie Jan Niklas
       Lehmann, denn Long Covid verläuft vielfältig.
       
       ## Wie ein dunkler Schleier
       
       Die taz hat für diesen Text mit neun Long-Covid-Betroffenen gesprochen.
       Eine 50-Jährige, die anonym bleiben möchte und vor der Infektion in einer
       Altenpflegeeinrichtung gearbeitet hat, berichtet, sie hätte anfangs kaum
       einen Satz zustande gebracht, weil ihr ständig Worte entfallen seien. Eine
       andere Betroffene leidet bis heute vor allem unter starker Atemnot – ihr
       Asthma hat sich durch die Coronainfektion verschlimmert, kurz danach bekam
       sie eine Lungenentzündung. Sprechen fällt ihr schwer, sie kann weder den
       Weg zur Arbeit laufen, noch zum Supermarkt für den Einkauf.
       
       Ein 30-jähriger Informatiker berichtet von Muskelzuckungen, die immer
       wieder auftreten. Andere leiden unter Haarausfall oder sogenanntem Brain
       Fog, Gehirnnebel. Das sei wie ein dunkler Schleier, der die Konzentration
       stört und alles um sie herum abdämpft, berichten Betroffene. Insgesamt
       gehen Studien von [6][mehr als 60] bis [7][200 möglichen] Symptomen aus,
       die bei Long-Covid-Patient*innen auftreten können.
       
       Die Internistin und Pneumologin Jördis Frommhold behandelte ihren ersten
       Long-Covid-Fall am 14. April 2020, dem Dienstag nach Ostern. An diesen Tag
       erinnert sich die Chefärztin der Median-Reha-Klinik in Heiligendamm, ohne
       im Kalender nachschauen zu müssen. Seitdem wurden bei ihr in der Klinik
       mehr als 4.500 Fälle behandelt. „Es gibt Kardinalsymptome, die relativ
       häufig vorkommen, wie das chronische Erschöpfungssyndrom Fatigue, Atemnot
       unter Belastung, aber auch kognitive Einschränkungen oder Gelenk- und
       Muskelschmerzen.“
       
       Weil die Krankheit noch so unbekannt ist und eine Vielzahl der Symptome
       nicht organisch nachgewiesen werden kann, kämpfen die Patient*innen
       gegen Unverständnis in ihrem Umfeld und bei Ärzt*innen. Auch Jan Niklas
       Lehmann ging das so: „Mein Arzt damals war nicht aufgeklärt und hat mich
       auch nicht für voll genommen.“
       
       Lehmann bekam eine fünfwöchige Reha genehmigt – allerdings eine für
       psychosomatische Symptome. Das Problem: Bei solchen Therapien steht auch
       Sport auf der Tagesordnung. „Für das chronische Erschöpfungssyndrom, ist
       das aber gerade kontraproduktiv.“ Wenn Lehman sich anstrengt, kann es zu
       einem sogenannten Crash kommen. Dann geht bei ihm gar nichts mehr und er
       muss sich ausruhen.
       
       ## Wieder lernen, richtig zu atmen
       
       Zurzeit bestehe die Gefahr für Long-Covid-Patient*innen, die falsche
       Behandlung zu bekommen, bestätigt Jördis Frommhold. Vor allem, wenn zu
       schnell die Diagnose gestellt wird, dass [8][Long Covid rein psychisch
       verursacht] sei, obwohl es eigentlich körperliche Probleme gebe.
       Psychosomatische Schmerzen seien als Symptome zwar möglich, sagt sie, aber
       in den meisten Fällen „aufgesattelt und nicht ursächlich“. Mittlerweile
       gebe es aber schon mehr Akzeptanz für die Erkrankten, sagt Frommhold.
       
       Dabei könnten Ärzt*innen den Betroffenen helfen. Bei vielen würden
       Rehamaßnahmen gut anschlagen, betont Frommhold. Je nach Symptomen seien
       allerdings unterschiedliche Therapien nötig. Manche hätten sich während
       ihrer Coronainfektion eine flache Schonatmung angewöhnt und müssten erst
       wieder lernen, richtig zu atmen. Andere müssten lernen, ihre Energie
       richtig einzuteilen und Überforderung zu vermeiden – Pacing nennt sich das.
       
       Doch die richtige Reha zu finden, ist gar nicht so leicht, erzählt
       Christiane Wirtz. Sie ist studierte Kunsttherapeutin und lebt heute in
       Offenbach am Main.
       
       Wirtz lächelt häufig, spricht ruhig und bedacht. In Offenbach ist es an
       diesem Julitag sehr warm, die Hitze setzt ihr zu, erzählt sie. Durch die
       offene Balkontür weht eine Brise, aber sie kühlt kaum.
       
       ## „Wegen des Drucks, wieder zu funktionieren“
       
       Wie Lehmann sagt sie, dass sie nach dem Gespräch erst mal ein paar Stunden
       Ruhe brauchen wird. Dabei ist ihr Long Covid kaum anzusehen. Sie schiebt
       sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Oft möchten die Leute die Krankheit
       sehen“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Zurzeit könne sie nicht
       einmal den 20-minütigen Weg bis zu ihrem Atelier laufen, wo sie sonst
       Bilder gemalt hat.
       
       Wirtz begleitete vor ihrer Infektion ein Kind mit
       Autismus-Spektrum-Störung in einer Schule. Dort infizierte sie sich im
       November 2020 mit Corona, vier Wochen war sie mit starken Symptomen in
       Isolierung. Wie Jan Niklas Lehmann ging die heute 31-Jährige danach wieder
       arbeiten, obwohl sie sich noch schwach fühlte. „Auch wegen des Drucks,
       wieder zu funktionieren, den man sich selbst macht oder der von außen
       kommt.“
       
       Sechs Wochen kämpfte sie sich ab, schlief häufig auf dem Stuhl ein und
       brauchte Sitzpausen im Treppenhaus. Dann stellte ein Kardiologe bei ihr
       eine Herzmuskelentzündung fest. Obwohl sie die zu Hause auskurierte, litt
       sie weiter an Beschwerden – Long Covid, wie sie mittlerweile weiß.
       
       Noch während ihrer Herzmuskelentzündung beantragte Christiane Wirtz eine
       Reha. Es dauert aber ein halbes Jahr, bis sie eine passende in Sankt
       Peter-Ording bekam. „Doch trotzdem waren die Leute da nicht auf Long
       Covid vorbereitet“, kritisiert sie. Sie liest bis heute Studien über Long
       Covid, oft habe sie das Gefühl, mehr zu wissen als ihre Ärzt*innen. „Lange
       Zeit war ich ein Pflegefall, ich konnte kaum laufen.“ Ohne ihren Partner
       hätte sie das nicht geschafft, ist sie sich sicher.
       
       ## Es geht ihr besser, aber noch lange nicht gut
       
       Er ist inzwischen bei ihr in die Wohnung in Offenbach eingezogen. Gemeinsam
       haben sie die Zimmer eingerichtet, viel naturbelassenes Holz, Grünpflanzen,
       die Wände künstlerisch gestaltet. Es geht Christiane Wirtz heute zwar
       besser, aber noch lange nicht gut. Sie sitzt auf ihrem Bett, vor sich ihren
       „Long-Covid-Ordner“, in dem sie alle Dokumente sammelt. Korrespondenzen mit
       Ärzt*innen, Bescheinigungen oder ihre Anerkennung von Long Covid als
       Berufsunfall.
       
       Um sich weiter künstlerisch auszudrücken, schreibt Christiane Wirtz nun
       [9][Kurzgeschichten darüber, wie sie Long Covid] erlebt. Schreiben, das
       gehe auch vom Bett aus. Mittlerweile hat sie die Geschichten unter dem
       Titel „Trauermücke“ auf ihrem Blog und [10][auf Instagram
       veröffentlicht]. Darüber komme sie mit anderen Long-Covid-Betroffenen in
       Kontakt, erzählt sie. Der Erfahrungsaustausch tue ihr gut. Aber was auch
       sie vor allem möchte, ist: wieder gesund sein.
       
       Wie schnell medizinische Lösungen bereitstehen, bleibt abzuwarten. Eine
       Krankheit mit teils ähnlichen Symptomen ist das Chronische
       Fatigue-Syndrom, abgekürzt mit ME/CFS. Vor der Pandemie ging die
       Bundesregierung von schätzungsweise 300.000 bis 400.000
       ME/CFS-Patient*innen in Deutschland aus. Viele von ihnen sind dauerhaft
       bettlägerig, bisher wurde kein Medikament gegen die Krankheit zugelassen.
       
       Obwohl ME/CFS 1969 von der WHO als eigenständige Krankheit eingestuft
       wurde, klagen Patient*innen bis heute darüber, dass Ärzt*innen sie
       nicht ernst nehmen und zu wenig geforscht werde. Das brachten sie im
       Februar auch [11][bei einer Petitionsanhörung im Bundestag vor]. Der Staat
       tue zu wenig für die Betroffenen. Würde die Regierung mehr Geld in Studien
       investieren, dann gäbe es Therapiemöglichkeiten – von denen nun auch die
       Long-Covid-Patient*innen profitiert hätten.
       
       ## Hilfe suchen in der Facebook-Gruppe
       
       Als Jan Niklas Lehmann in Berlin auch der zweite Arzt nicht helfen konnte,
       suchte er weitere Ärzt*innen auf. Bis heute hat er mehr als 20
       konsultiert. Online recherchiert er nach Mitteln, die anderen helfen. Dafür
       ist er zum Beispiel bei der Facebookgruppe „Leben mit Long Covid“, in der
       sich etwa 9.000 Betroffene austauschen, von Erfolgen und Misserfolgen
       berichten, Artikel teilen oder um Hilfe fragen. Für Facebook überraschend:
       Der Ton ist stets freundlich. Aber wenn es um Politik geht, klingen viele
       resigniert.
       
       Für die Versorgung von Long-Covid-Patient*innen fehle es an Geld,
       kritisiert unter anderem die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Das Budget
       von Kranken- und Pflegekassen reiche langfristig nicht dafür, die
       Betroffenen zu versorgen. Besser wäre ein „Post-Covid-Fonds“, den die
       Regierung anlegen müsse, forderte der Stiftungsvorstand Eugen Brysch schon
       im Mai gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
       
       Jan Niklas Lehmann stürzt sich derweil privat in Unkosten. Was in
       Onlineberichten positiv bewertet wird, probiert er aus:
       Nahrungsergänzungsmittel, Sauerstofftherapie, Blutwäsche. Dafür muss er
       selbst zahlen, denn es ist bisher nicht durch Studien belegt, dass etwas
       davon gegen Long Covid hilft, und so übernimmt seine Krankenkasse nichts.
       Was Lehmann macht, zählt lediglich zur Kategorie „individuelle
       Heilversuche“, viele Tausend Euro hat er schon dafür ausgegeben. Geholfen
       hat ihm bislang nichts.
       
       Bei der sogenannten Blutwäsche hat er erst ein paar Sitzungen hinter sich.
       Grob erklärt, entnimmt ihm dabei eine Maschine Blut, filtert es und leitet
       es zurück in seinen Körper. Die Theorie: Was Long Covid auslöst, befindet
       sich im Blut und wird beim Filtern herausgelöst. Aber auch bei der
       Blutwäsche gilt: Belegt ist ihre Wirkung nicht und entsprechend zahlt
       Lehmann mehr als tausend Euro pro Sitzung.
       
       ## Hoffen auf das Herzmedikament
       
       Andere Patient*innen kritisieren die Therapieversuche als bloße
       Geldmacherei. Zudem fehle es bei Sauerstofftherapie und Blutwäsche an
       Evidenz, und sie seien nicht risikofrei. Darum sei es gut, wenn
       Mediziner*innen nicht dazu raten. Bettina Hohberger kann das
       nachvollziehen: „Wenn man Patienten als Arzt Behandlungsratschläge gibt,
       muss das aufgrund klarer wissenschaftlicher Fakten beruhen.“ Sie ist selbst
       Ärztin und forscht in Erlangen am Herzmedikament BC 007, das bereits in
       vier einzelnen Fällen Long Covid heilen konnte. Derzeit führt Hohberger
       [12][die erste klinische Studie] unter dem Titel „reCOVer“ durch.
       
       BC 007 ist die große Hoffnung vieler Long-Covid-Patient*innen. Die Idee
       dahinter lautet: Eine fehlgeleitete Immunantwort mit Autoantikörpern führt
       zu einer Durchblutungsstörung. Dagegen soll eine BC-007-Infusion helfen –
       aber noch ist auch das nicht klinisch belegt. Als die reCOVer-Studie
       bekannt wurde, bewarben sich Tausende Betroffene als Proband*innen, erzählt
       Hohberger, auch aus Großbritannien oder den USA. Alle können nicht
       teilnehmen, sie kämen nicht mal hinterher, allen zu antworten.
       
       Aber Hohberger will keine unrealistischen Erwartungen wecken: „Ich bin mir
       sicher, dass wenn sich BC 007 in den klinischen Studien durchsetzt,
       sicherlich nicht alle Long-Covid-Patienten von BC 007 profitieren werden“,
       sagt sie in deutlichem Ton. Warum? Weil aktuelle Forschungsergebnisse
       darauf hindeuten, dass es unterschiedliche Untergruppen von Long Covid
       gibt.
       
       Um die Ursachen besser zu verstehen, gibt es in Erlangen noch eine zweite
       Studie [13][mit dem Titel „disCOVer“]. Der Forschungsansatz geht von drei
       Ursachengruppen bei Betroffenen aus: Die erste leidet darunter, dass nach
       der akuten Infektion der Virus in geringen Mengen im Körper verblieben ist
       und weiterhin Beschwerden auslöst. Die zweite leidet unter konkreten
       Organschäden, verursacht durch die akute Corona-Erkrankung. Bei dieser
       Gruppe seien Rehamaßnahmen bereits effektiv. Und bei der dritten Gruppe
       wären die eben erwähnten Autoantikörper ursächlich für die
       Long-Covid-Symptome. Nur dieser Gruppe würde BC 007 theoretisch helfen.
       
       ## 78 Wochen Krankengeld
       
       Ob die Einteilung so zutrifft und wie groß die einzelnen Gruppen sind, ist
       noch nicht klar. „Wenn das disCOVer-Projekt beendet ist, können wir mehr
       darüber sagen“, sagt Hohberger. Forschung braucht eben Zeit und Geld. Zwar
       erhält reCOVer etwa 1,5 Millionen von den 6,5 Millionen Euro, die das
       Bundesforschungsministerium 2021 bereitstellte, und wird disCOVer in
       gleicher Höhe vom Freistaat Bayern finanziert, aber Hohberger schätzt, das
       reiche nicht für die Lösung.
       
       Für viele Betroffene wirkt sich die [14][schlechte Studienlage auch
       finanziell aus]. Wie andere Erkrankte, bekommen
       Long-Covid-Patient*innen maximal 78 Wochen Krankengeld. Krankengeld,
       das bedeutet: 70 Prozent des letzten Bruttogehalts, maximal aber 90 Prozent
       des letzten Nettogehalts.
       
       Das federt die Verluste ab, die entstehen, wenn sie nicht arbeiten können.
       Aber von einer Rückkehr zum Vollzeitjob sind viele auch nach 78 Wochen noch
       weit entfernt. Trotzdem werden sie dann von ihrer Krankenkasse
       „ausgesteuert“ und müssen entweder eine Erwerbsminderungsrente beantragen
       oder auf Arbeitslosengeld zurückgreifen. Und das, wo in Zeiten der
       Inflation die Lebensmittel- und Energiepreise preise steigen und viele
       Branchen dringend nach Arbeitskräften suchen.
       
       Dabei könnten einige Long-Covid-Patient*innen arbeiten, wenn auch
       eingeschränkt, sagt Chefärztin Jördis Frommhold. Sie prognostiziert: „Wir
       werden unsere gesamtgesellschaftlichen Ansichten, was Arbeitszeitmodelle,
       was flexible Arbeitszeiten angeht, überdenken müssen.“ Homeoffice sei eine
       Idee. Durch wegfallende Arbeitswege sparen sich die
       Long-Covid-Patient*innen einige Energie. Eine andere Idee sei eben
       Teilzeit.
       
       ## Arbeitgeberin mit Verständnis
       
       Das versucht mittlerweile auch die Kunsttherapeutin Christiane Wirtz. In
       ihren alten Beruf an der Schule habe sie nicht wieder einsteigen können.
       Die Belastung sei zu hoch gewesen. Aber nach einiger Zeit fand sie eine
       Arbeitgeberin, die Verständnis für ihre Situation gezeigt habe. „Ich habe
       ihr alles offen erzählt und sie kannte privat wen mit Long Covid“,
       berichtet Wirtz. „Ich denke, das macht etwas aus.“
       
       Seit Februar arbeitet sie wieder 30 Stunden in der Woche als
       Kunsttherapeutin gemeinsam mit chronisch psychisch kranken Menschen. Doch
       im Juni hat Christiane Wirtz sich erneut mit Corona infiziert, und wurde
       wegen des hohen Fiebers, ihrer Herz- und Lungenprobleme ins Krankenhaus auf
       die Covid-Station eingeliefert. Nach einer Woche ging sie aber wieder nach
       Hause, war auch dann zunächst krankgeschrieben, fühlte sich aber nicht wohl
       dabei. Sie wollte schnell wieder zurück in den Job.
       
       „Aber was, wenn es dann wieder schlimmer wird?“, fragt Christiane Wirtz
       besorgt. Bei der Arbeit mit Menschen könne sie nicht einfach sagen: „Ich
       mach jetzt Pause.“ Doch aufgeben will sie auf keinen Fall.
       
       Auch Jan Niklas Lehmann möchte wieder arbeiten. Allerdings sei Teilzeit
       nicht überall möglich, gibt er zu bedenken, es komme auf die Branche an.
       Zudem bedeutet weniger Arbeit auch weniger Geld. Bei 20 Stunden in der
       Woche müsste Lehmann sein Leben komplett umkrempeln, seine Wohnung in
       Berlin-Friedrichshain könnte er sich langfristig nicht mehr leisten.
       „Trotzdem bin ich froh, wenn ich erst mal wieder ein paar Stunden arbeiten
       kann“, sagt er. Aber dafür reicht seine Energie noch lange nicht.
       
       7 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.thelancet.com/journals/lanres/article/PIIS2213-2600(22)00135-7/fulltext
 (DIR) [2] /Bekaempfung-der-Coronapandemie/!5851966
 (DIR) [3] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35447302/
 (DIR) [4] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)00941-2/fulltext
 (DIR) [5] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.01.05.22268800v2
 (DIR) [6] https://www.nature.com/articles/s41591-022-01909-w
 (DIR) [7] https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(21)00299-6/fulltext
 (DIR) [8] /TK-Gesundheitsreport-2022/!5866090
 (DIR) [9] https://naniblog.de/trauermuecke/
 (DIR) [10] https://www.instagram.com/trauer_muecke/
 (DIR) [11] /Petition-zum-Fatigue-Syndrom/!5835731
 (DIR) [12] https://www.augenklinik.uk-erlangen.de/forschung/ag-long-covid-me/cfs/recover-erlangen/
 (DIR) [13] https://www.augenklinik.uk-erlangen.de/forschung/ag-long-covid-me/cfs/discover-erlangen/
 (DIR) [14] /Experte-ueber-Long-Covid/!5861283
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) David Muschenich
       
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       Gerade erst schien Niedersachsen im Gesundheitssektor kleine Fortschritte
       zu machen. Doch bald wird es wohl um Standortschließungen gehen.
       
 (DIR) Langzeitfolgen der Corona-Infektion: Herzkrank durch Longcovid
       
       Jeder achte Coronapatient leidet unter Post- oder Longcovid. Mittlerweile
       werden über 200 Symptome genannt, die auftreten können.
       
 (DIR) WHO sieht Ende der Pandemie: Gut gemeint, falsch gesagt
       
       Der Chef der Weltgesundheitsorganisation hat mit seiner Rede vom Ende der
       Coronapandemie danebengegriffen: Es ist noch nicht vorbei.
       
 (DIR) Umwelttechnologe über Erreger im Abwasser: „Kein Problem mit dem Datenschutz“
       
       Mit Abwasseranalysen lässt sich nicht nur die Coronalage einschätzen, sagt
       der Umwelttechnologe Shelesh Agrawal. Auch andere Erreger könne man so
       beobachten.
       
 (DIR) Pathologisches Lachen und Heulen: So lustig, es ist zum Weinen
       
       Gefühlsausbrüche in der Öffentlichkeit erwecken oft Misstrauen statt
       Empathie. Unsere Autorin kennt das. Sie plädiert für mehr Verständnis.
       
 (DIR) Long Covid überstanden: Endlich wieder peinlich
       
       Nach Monaten mit Long Covid geht es der Tochter unserer Kolumnistin dank
       einer Blutwäsche endlich besser. Aus dem Kind ist inzwischen ein Teenager
       geworden.
       
 (DIR) Psychotherapie in Deutschland: Was kostet die Couch?
       
       Wenn Therapeutinnen nicht nur Privatpatientinnen und Selbstzahlerinnen
       behandeln wollen, brauchen sie einen Kassensitz. Nur: Dieser kostet viel
       Geld.
       
 (DIR) Suche nach Long-Covid-Therapien: Erst am Anfang
       
       Jede:r zehnte Infizierte erkrankt an Long-Covid. Bisher können nur
       Symptome gemildert werden – die Forschung bemüht sich um Erkenntnisse.