# taz.de -- Theaterstück über Mensch und Schwein: Manch arme Sau
       
       > „Pigs“ ist eine Koproduktion der Münchner Kammerspiele und eines
       > Jugendtheaters. Darin kommen Tierschützer, Metzger, Züchter und
       > Philosophen zu Wort.
       
 (IMG) Bild: Die Schauspieler der Kammerspiele stellen eine Schlachtung nach: Szene aus „Pigs“
       
       In einem der rund 30 Schweinekoben sitzt eine vergessene Gestalt: In ihrem
       starren Gesicht klafft ein Loch; ungefähr da, wo beim Menschen der Mund und
       beim Schwein der Rüssel wäre. Auf dem Monitor vor ihr spielen niedliche
       Frischlinge in einem Wald. Alle anderen Bildschirme sind noch schwarz, als
       sich die kleine Gruppe von Zuschauern auf die restlichen Koben im
       Bühnenrund verteilt, das die Münchner Kammerspiele in der
       Therese-Giehse-Halle errichtet haben. Später werden sich auf diesen
       Bildschirmen 30 Experten mit kurzen Video-Statements zum Schwein zu Wort
       melden. Tierschützer und Mediziner, Metzger, Züchter und Philosophen.
       
       [1][Das Schwein ist ein Tier, das viele Begehrlichkeiten und Emotionen
       weckt]. Es steckt in der „Drecksau“, im Glücksschwein und im Schnitzel. Es
       wurde im alten Ägypten gehätschelt und gilt im Judentum wie im Islam noch
       immer als unrein.
       
       In „Pigs“, wie der interaktive Abend heißt, steckt auch allerhand. Neben
       ungewöhnlich vielen Koproduzenten zum Beispiel die Idee des Bürgertheaters,
       die Kammerspiele-Intendantin Barbara Mundel bereits in Freiburg hochhielt.
       In der „Pigs“-Regisseurin [2][Miriam Tscholl,] die zehn Jahre lang die
       Laien-Sparte am Staatsschauspiel Dresden leitete, ist sie da an der
       richtigen Adresse. Partizipation, Ermächtigung und die gemeinsame
       Auseinandersetzung mit strittigen Themen sind für „Miss Bürgerbühne“
       (Sächsische Zeitung) zentral.
       
       So ist das Publikum in „Pigs“ zu einer Art Bürgerversammlung geladen. Wobei
       die Rolle, die es einnimmt, verschiedentlich switcht. Zwei Schauspieler –
       bei der Premiere die Kammerspiele-Akteure André Benndorff und Martin Weigel
       – sagen die Twists und Turns an und lenken unsere Aufmerksamkeit auf die
       Bildschirme oder sie selbst. Sie stellen Fragen und spielen Szenen vor.
       
       ## Tierleid und CO2-Ausstoß
       
       In einer davon bekennt sich Benndorfs Figur zur Liebe zum Fleisch,
       woraufhin sein Kollege den grausamen Vorgang der industriellen Schlachtung
       an dessen fast nacktem Körper demonstriert. Von der Rampe hinauf zur
       Kohlendioxidgondel (Schweine lieben Steigungen und drängeln sich zum
       ätzenden Betäubungsgas) über den Brühkessel, den manch arme Sau noch lebend
       erreicht, bis zur Zerlegung in vermeintlich edle und für den Export
       bestimmte Stücke. Also endet das André-Schwein mit Plastiktüte über dem
       Kopf, ausgiebig beklopft und weit weniger dekorativ mit Kunstblut eingesaut
       wie die fein gesprenkelten Anzüge, die die beiden am Anfang trugen.
       
       Die Moralkeule ist schnell gezückt und sie zu schwingen ist ja auch
       berechtigt. Schwer wiegen das Tierleid und der CO2-Ausstoß, mit dem allein
       die Produktion tierischer Nahrungsmittel unsere Klimabilanz verhagelt. Auch
       unser ermattetes Abwinken angesichts dieser Fakten hat Tscholl in ihrer
       Inszenierung vorweggenommen, in der gleich zu Anfang ein Darsteller ruft:
       „Stop! Wir können es gleich sein lassen. Wir haben nichts neues zu
       erzählen.“
       
       Nicht die x-te Volksbelehrungsveranstaltung geben zu wollen und doch immer
       wieder darauf zurückkommen zu müssen, weil sich ja etwas ändern muss,
       [3][ist die Crux jedes Klima-Theater-Abends.] Da schlägt sich dieser schon
       ganz gut, weil er zumindest in den zugespielten Experten-Statements jedes
       Argument gelten lässt und keine Stimme lächerlich macht. Weder die des
       langhaarigen Landwirts aus dem Emsland, der im Led Zeppelin-Shirt erklärt,
       wie sehr seine Zunft unter den ständig neuen Anforderungen von Politik und
       NGOs ächzt, noch die der Schweinetierheim-Leiterin, die sich über die
       individuellen Charaktere ihrer Gäste freut und darüber, wie schnell sie
       lernen, Winke-Winke zu machen.
       
       Eine Tierethikerin träumt von einer Zukunft, in der Schweine „mit uns
       gemeinsam am Brunnen sitzen“. Auch wenn jeder nur sechs dieser Positionen
       an einem Abend kennenlernt, scheint die Komplexität des Themas auf – und
       dass am Schwein neben Lende und Haxe auch Existenzen und (romantische)
       Projektionen hängen.
       
       ## Höfliche Beteiligung
       
       Die Aktionen der Schauspieler aber sind ungleich plakativer; sie spielen
       uns unsere Doppelmoral-Krämpfe und Zerreißproben vor und holen uns mit
       hartnäckigen Fragen wie „Welche Stellung unter den Lebewesen gibst du dem
       Menschen?“ aus unserer bequemen Zuschauerrolle. Das erwachsene
       Premierenpublikum lässt sich höflich darauf ein. Der Abend wird aber
       möglicherweise eine ganz andere Dynamik entfalten, wenn auf den drehbaren
       Stühlen zwischen Monitoren und bespielter Bühnenmitte eine Schulklasse
       sitzt.
       
       Für das erste Gemeinschaftsprojekt der beiden städtischen Bühnen Münchner
       Kammerspiele und Schauburg – Theater der Jugend steht mit den
       Schauburg-Akteur*innen Simone Oswald und Hardy Punzel eine zweite Besetzung
       parat, die in den Diskussionen mit ihrer Zielgruppe womöglich leicht andere
       Akzente setzen wird.
       
       Der stößt vielleicht auch der didaktische Zugriff weniger auf, der dem
       Menschen als dem einzigen Tier, das Pläne schmieden, „eine Fettecke zur
       Kunst erklären“ und Kriege führen kann, am Ende die Wahl lässt: Blaue oder
       rote Pille. Die verdummende, aber unterhaltsame Matrix oder der für immer
       verstörende Blick dahinter?
       
       14 Mar 2022
       
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 (DIR) Sabine Leucht
       
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