# taz.de -- Neue Kunsthalle Berlin in der Kritik: Streit um die Kunst
       
       > Mit Werken des Bildhauers Bernar Venet eröffnet im Flughafen Tempelhof
       > die Kunsthalle Berlin. Der privat betriebene Kunstraum sorgt für
       > Kontroversen.
       
 (IMG) Bild: Der Künstler spricht, seine Kunst im Hintergrund
       
       Wann hat es das hierzulande einmal gegeben, dass KünstlerInnen zum Boykott
       einer Kunstausstellung aufgerufen haben? Vergangene Woche passierte das
       jedenfalls in Berlin. Es betrifft den französischen Künstler Bernar Venet.
       Zwar geht es den paar Berliner KünstlerInnen, die zum Boykott aufgerufen
       haben, eigentlich um die neue Kunsthalle Berlin im Flughafen Tempelhof.
       Dass aber Venet als Künstler getroffen wird und bei seiner Ausstellung in
       dem neuen Kunstraum ohne Publikum bleiben soll, wird dafür billigend in
       Kauf genommen.
       
       Besagte Kunsthalle sei ein „zynisches, neoliberales Vehikel“, so lautet das
       Verdikt des bei Instagram veröffentlichten Boykottaufrufs. Eine Kunsthalle
       als private Unternehmung ist den Berliner KünstlerInnen im Umfeld des
       [1][Berufsverbands Berliner Künstler_innen (BBK)] – darunter mit Zoë Claire
       Miller und Heidi Sill zwei aus dessen Vorstand – offenbar per se
       verdächtig.
       
       Dabei war der Urheber der Idee dieser kulturellen Zwischennutzung von zwei
       sanierungsbedürftigen und praktisch nicht zu vermietenden Hangars im
       Flughafen Tempelhof der damalige Regierende Bürgermeister Michael Müller
       persönlich. Dieser hatte anlässlich der Ausstellung „Diversity United“ dort
       im vergangenen September dem neuen Kunsthallenchef Walter Smerling das
       Angebot gemacht, die Hallen bis zu ihrer Sanierung und Ertüchtigung für
       einen History-Walk auf dem Dach des Flughafengebäudes mit Kunst zu
       bespielen.
       
       Smerling ist Chef der 1986 als Privatinitiative gegründeten [2][Stiftung
       für Kunst und Kultur e. V.] mit Sitz in Bonn. „Diversity United“ war seine
       Schöpfung. Dank Smerlings guter Kontakte zur Politik ist das unter der
       Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Steinmeier stehende Projekt der
       künstlerischen Standortbestimmung Europas gerade auf Station in Moskau und
       wird danach in Paris gezeigt.
       
       Was da in den Tempelhofer Hangars vergangenen Freitag mit einer umfassenden
       Retrospektive des 80-jährigen Erfolgskünstlers Bernar Venet eröffnet
       wurde, hätte eine öffentliche Kunsthalle vermutlich nicht in so kurzer Zeit
       auf die Beine gestellt. Dank privaten Kapitals von Immobilienentwickler
       Christoph Gröner als Sponsor konnten die etlichen Tonnen Stahl aus Venets
       sechzigjähriger Schaffenszeit in Tempelhof versammelt werden.
       
       ## Schöpfer des Stahlbogens
       
       Venet dürfte in Berlin vor allem als Schöpfer eines riesigen Stahlbogens
       bekannt sein. Der inmitten der Autoschneise An der Urania platzierte, nach
       oben geöffnete Bogen – ursprünglich zur Berliner 750-Jahr-Feier als
       Geschenk Frankreichs eingeweiht – kommt heute graffitibeschmiert und
       [3][hinter Bäumen versteckt] trotz seiner Spannweite von 40 Metern wenig
       zur Geltung. Schon 2019 hatte die Botschaft Frankreichs wegen der
       Verwahrlosung des Bogens in Berlin interveniert. Venet will sein Werk
       deshalb (auf eigene Kosten) um einige Meter versetzen lassen. Eine
       Entscheidung dazu ist noch nicht gefallen.
       
       Für Smerling und seine Kunsthalle war Venet zum Auftakt jedenfalls so etwas
       wie eine Ideallösung. Seine Stahlplastiken, die zuweilen an
       überdimensionale Spaghetti-Knäuel erinnern, trotzen ohne Probleme der
       fehlenden Heizung und füllen die riesigen Hallen, wie wohl nur wenige
       Kunstwerke es überhaupt vermöchten. Die Hangars können ohnehin nur schlecht
       beheizt werden. Das Flughafengebäude ist technisch zum Teil noch auf dem
       Stand der 30er Jahre. Smerlings Stiftungsverein nimmt also die fehlende
       Klimatisierung in Kauf, was zumindest den Vorteil hat, die Betriebskosten
       nicht noch teurer werden zu lassen. Miete zahlt Smerling ansonsten keine.
       Das war der Deal mit Michael Müller: eine Bespielung mit Kunst gegen
       mietfreie Überlassung.
       
       Offenbar geht es den zum Boykott aufrufenden KünstlerInnen aber gar nicht
       um Sein oder Nichtsein einer Kunsthalle in Berlin. Die Berliner
       KünstlerInnen bräuchten „nicht notwendigerweise eine neue Kunsthalle“, hieß
       es im Manifest der Initiative „Haben und Brauchen“ aus dem Jahr 2012, auf
       die man sich jetzt ausdrücklich beruft. Damals ging es eher darum, der
       Verdrängung von KünstlerInnen aus der Stadt(-gesellschaft) zu begegnen,
       die in einer privatisierten Immobilienlandschaft und in einer auf Rendite
       gebürsteten Stadtentwicklung keine bezahlbaren Ateliers mehr finden.
       
       ## Problematisches Wort
       
       Doch auf das Wort „Kunsthalle“ reagiert man beim BBK offenbar noch immer
       allergisch. „Mit der Selbsternennung zur ‚Kunsthalle Berlin‘ suggeriert die
       ‚Stiftung für Kunst und Kultur e. V.‘ aus Bonn – die keine Stiftung ist,
       sondern ein Verein, der eigene Interessen verfolgt –, dass die Nutzung des
       historischen Tempelhofer Flughafenhangars durch diesen Verein öffentlich
       legitimiert sei. Das ist jedoch keineswegs der Fall“, heißt es jetzt in
       einer Pressemitteilung des BBK.
       
       Der Stiftung Kunst und Kultur wird aber zumindest offiziell
       „Gemeinnützigkeit“ attestiert. Und Smerlings Verein will nach eigenem
       Bekunden öffentlich und „aktiv für die Kunst und die kulturelle Vielfalt“
       wirken. Sein Verein hat dafür nicht nur etliche finanziell potente
       Mitglieder, sondern ist auch gut in die Politik hinein vernetzt. Eine
       Melange, wie sie auch andernorts vorkommt und etwas möglich macht, was
       Smerlings Verein in seiner Selbstbeschreibung „Gestaltungsanspruch“ nennt.
       
       Ob die Interessen der zum Boykott aufrufenden Berliner KünstlerInnen
       sozusagen mehr allgemeinnützig sind als die von Leuten mit Geld und guten
       Kontakten, wie sie in dem Verein von Smerling versammelt sind, darüber
       ließe sich vielleicht streiten. Ein Gesprächsangebot von Smerling aber
       haben die KünstlerInnen jedenfalls bis jetzt ignoriert. Die neue Kunsthalle
       im Flughafen soll im Übrigen, wie Smerling am Freitag verkündete, noch
       einen Beirat bekommen, der das zukünftige Programm erst noch festlegen
       wird.
       
       Dass Smerlings Kunsthalle dereinst doch noch Senatsknete abziehen wird, wie
       von den zum Boykott aufrufenden KünstlerInnen explizit befürchtet, ist
       derzeit Spekulation. Und es ist durchaus zu verstehen, dass man darüber
       betrübt ist, dass der Kapitalismus in Berlin inzwischen genauso
       durchschlägt wie andernorts.
       
       Die billigen Ateliers sind Vergangenheit, Freiräume aufgebraucht. Das kann
       man bedauern, ist aber nicht wirklich neu. Und ein Aufruf zum Boykott, der
       zuerst Künstler wie Venet trifft, spricht weniger für den Hang zur Kultur
       als für den Drang nach Publicity in eigenem Interesse – mithin genau das,
       was man dem Projekt Kunsthalle vorwirft.
       
       2 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bbk-berlin.de/news/31012022-presse-echo-zur-pm-des-bbk-berlin-berliner-kunsthalle-ein-etikettenschwindel
 (DIR) [2] https://www.stiftungkunst.de/kultur/
 (DIR) [3] /Baeume-vs-Kunst-in-Berlin/!5574368
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ronald Berg
       
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