# taz.de -- „Frankenstein“ am Deutschen Theater: Der Mensch und seine Monster
       
       > Das Deutsche Theater Berlin bringt Shelleys „Frankenstein“ auf die Bühne.
       > Drei DarstellerInnen sind im Dauereinsatz zu sehen, sie spielen virtuos.
       
 (IMG) Bild: „Frankenstein“ am DT: Maren Eggert, Felix Goeser, Alexander Khuon spielen in der Inszenierung mit
       
       Als Mary Shelley 1816 im Alter von nur neunzehn Jahren „Frankenstein oder
       Der moderne Prometheus“ schrieb, legte sie damit die Grundlage für den
       modernen Horror- sowie den Science-fiction-Roman. Zweihundert Jahre später
       schreibt die Menschheit Bücher und dreht Filme über [1][künstlich
       geschaffene Menschen aus dem Geiste der digitalen Revolution]. Lassen sich
       da nicht Anknüpfungspunkte finden zu Mary Shelleys düsterer Vision eines
       sich selbst zum Schöpfergott überhöhenden Forschers, der aus Leichenteilen
       einen Menschen zusammenbastelt und anschließend entsetzt ist über das
       Monster, das er erschaffen hat?
       
       [2][Am Deutschen Theater] hat die Regisseurin Jette Steckel, die gemeinsam
       mit Katrin Sadlowski und Anika Steinhoff auch die Bühnenfassung schrieb,
       sich diese oder eine ähnliche Frage gestellt und sich des
       Frankenstein-Stoffes angenommen. Und hat zwar keine wirklich überzeugende
       Antwort auf die Frage gefunden, wie weit sich wohl Parallelen ziehen lassen
       zwischen dem Monster aus Fleisch und Blut auf der einen sowie sprechenden
       Robotern aus Metall und Kunststoff auf der anderen Seite.
       
       Doch die Umarbeitung des weitschweifigen Prosawerks in ein Bühnenstück ist
       dramaturgisch allemal gelungen – woran die drei DarstellerInnen einen sehr
       großen Anteil haben. Denn Maren Eggert, Felix Goeser und Alexander Khuon
       spielen alle drei fast alle Figuren abwechselnd. Das wird dadurch, dass es
       an keiner Stelle einen Kostümwechsel gibt, sowohl erschwert als auch
       erleichtert. Alle tragen dunkelgrüne Leggings und weiße T-Shirts, die gegen
       Ende des Abends jeweils einigermaßen gleichmäßig mit Theaterblut beschmiert
       sind. Auf dem Kopf trägt man/frau/monster frappierend echt aussehende
       Glatzen.
       
       Ebenso minimalistisch ist die Bühne; reduziert auf eine radikale
       Schwarz-Weiß- bzw. Licht-Dunkel-Optik und fast ohne Requisiten, abgesehen
       von einem Flügel, der manchmal wie von Zauberhand gelenkt hereinrollt, um
       von Elisabeth, der Verlobten des Viktor Frankenstein, bespielt zu werden.
       
       Rache am Schöpfer 
       
       Elisabeth, die einzige Person, die Frankensteins Geschöpf gegenüber
       menschliche Empathie zeigt und doch sterben muss, weil das Wesen Rache
       nehmen will an seinem Schöpfer, der ihm keine Gefährtin zur Seite stellen
       will, die ebenso künstlich geschaffen wurde wie es selbst.
       
       Diese Gefährtin, die nur einen kurzen Auftritt im Bühnenhintergrund hat,
       ist in der Inszenierung ein Roboter, mithin etwas, das es zu Mary Shelleys
       Zeiten noch nicht gab. Das macht an sich nichts; doch wie sie da so stoisch
       herumsteht, die Maschinenfrau (ist es vielleicht dieselbe, deren Stimme uns
       vor Beginn der Vorstellung aufforderte, die Handys auszuschalten?), möchte
       man sehr daran zweifeln, dass sie das kindliche, gewalttätige, neugierige,
       eifersüchtige – kurz: ziemlich menschliche – Leichen-Patchwork-Monster auf
       Dauer glücklich machen könnte. Denn diesem ging es doch darum, eine
       Gefährtin zu bekommen, die ihm ganz gleich sei; eine Art Papagena.
       
       Und Viktor Frankenstein, der die künstlich hergestellte Partnerin in spe
       vor den Augen des Monsters wieder zerstört, tut dies vor allem deshalb,
       weil ihm vor der Möglichkeit graust, dass die beiden Gruselgeschöpfe in
       Zukunft Nachkommen zeugen könnten. – Jetzt mal ganz praktisch gefragt: Wie
       sollte das denn mit einer Roboterin funktionieren? Wenn man diese
       Narrationslinie von Shelleys Roman ernst nimmt (und als gegeben annimmt,
       dass es auch im Theater darum geht, Geschichten zu erzählen, die einer
       gewissen immanenten Logik folgen), wäre doch eine Maschinenfrau die beste
       aller Lösungen, da dem Sex garantiert nicht die Geburt eines kleinen
       Monsters folgt.
       
       Nein, würde Viktor Frankenstein heute unter uns leben, wäre er vermutlich
       nicht Informatiker geworden, sondern Humangenetiker – und damit Vertreter
       einer wahrhaft schöpfungsmächtigen wissenschaftlichen Disziplin, um die es
       medial erstaunlich still geworden ist in den letzten Jahren, während
       gleichzeitig die Künstliche Intelligenz zur hauptsächlichen Bedrohung oder
       zumindest Herausforderung unserer Menschlichkeit hochgejazzt wird. Steckels
       Inszenierung bleibt da gedanklich ganz im Mainstream stecken und opfert der
       vermeintlichen Aktualisierung des Stoffes sogar die innere Logik der zu
       erzählenden Geschichte.
       
       Das ist schade; aber auch wenn dieser zentrale Punkt verquer gedacht sein
       mag, so ist die Inszenierung doch an sich sehr gut gemacht. Die wichtigen
       Schlüsselszenen des Romans hat Steckel zu einem episodenhaft lapidar und
       dabei stringent erzählten Best-of zusammengefasst und für eine immer wieder
       dazwischengeschaltete Reflexionsebene auch Mary Shelley selbst (die einzige
       Figur, die ausschließlich von Maren Eggert verkörpert wird) mit auf die
       Bühne geholt. Die drei DarstellerInnen, zwei Stunden lang im Dauereinsatz,
       wechseln virtuos genug von einer Rolle zur anderen. Eine echte Pause gibt
       es weder für sie noch für das Publikum, aber tatsächlich hat man die am
       Ende auch überhaupt nicht vermisst.
       
       28 Sep 2021
       
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