# taz.de -- Meeresbiologin über Meereschutz: „Ein Weg der kleinen Schritte“
> Die Biologin und WWF-Direktorin Heike Vesper hat ein deprimierendes Buch
> über den Meeresschutz geschrieben. Trotzdem setzt sie nicht auf
> Radikalität.
(IMG) Bild: Will die Hoffnung nicht verlieren: Meeresbiologin und WWF-Direktorin Heike Vesper
taz: Frau Vesper, wann waren Sie zuletzt am Meer?
Heike Vesper: Anfang Mai, ich habe im Kieler Aquarium für das Ocean Summit
Festival gelesen. Genau genommen war es kein richtiger Meeresbesuch, obwohl
die Stadt ja an der Ostsee liegt. Ich habe mir während der Pandemie Reisen
lange verkniffen. Das Meer fehlt mir unglaublich.
Wenn Sie sich ein Ziel aussuchen dürften, wo wäre das?
Es dürfte ruhig kühl und wild sein, obwohl warm und bunt auch schön ist.
Ich würde gern an den Weststrand fahren, das ist oben in
Mecklenburg–Vorpommern am Darß. Ich liebe diesen ewig langen Strand, weil
da nichts ist. Er ist im Gegensatz zu anderen Ecken an Ost- und Nordsee
noch wirklich ursprünglich und selbst im Hochsommer findet man noch eine
Ecke für sich.
Und was macht eine Meeresbiologin, wenn sie nach langer Zeit mal wieder am
Meer ist?
Nichts. Ich genieße das Meer am liebsten in Stille und barfuß, auch wenn es
kalt ist. Ich schließe einen Moment die Augen und höre Wind und Wellen zu.
Dann schaue ich auf den Horizont. Für mich hat diese Weite eine richtige
Sogwirkung. Und jetzt, wo es warm wird, natürlich schwimmen, am besten Kopf
unter!
Können Sie so einen Augenblick mit dem Wissen über die Umweltzerstörungen
überhaupt noch genießen?
Ich kann nicht immer nur auf die dunkle Seite gucken, ich kann die
schlechten Dinge für einen Moment zur Seite legen und das Schöne genießen.
Das ist meine Motivation, mein Motor. Aber natürlich weiß ich auch, wie es
unter diesem schönen Anblick aussieht und wie dringend der Schutz der Meere
verbessert werden muss.
Das beschreiben Sie sehr anschaulich in Ihrem Buch. Die Lektüre ist sehr
deprimierend.
Meine Ko-Autorin und ich haben uns wirklich bemüht, ein unterhaltsames und
kein niederschmetterndes Buch zu schreiben, wir wollten nicht
Aussichtslosigkeit verbreiten, sondern zum Handeln motivieren. Aber die
Lage ist dramatisch und ich kann mir vorstellen, dass das Ganze schwer zu
verdauen ist, wenn man mehrere Kapitel hintereinander liest. Das ging mir
beim Schreiben genauso. Da brauchte ich auch Pausen. Das Buch zeigt aber
auch auf, dass es Lösungen gibt und große Krisen überwunden werden können,
wenn der politische Wille dazu da ist.
Sie sprechen darin auch offen den Frust an, den Sie manchmal verspüren.
Was mich frustriert, ist nicht die Arbeit, sondern dass unsere Themen in
der Politik oft nur einen geringen Stellenwert haben. Da hat das Schreiben
geholfen, die Motivation wieder richtig anzukurbeln. Denn der Rückblick auf
20 Jahre Berufsleben beim WWF hat mir bewusst gemacht, wo wir etwas
gemeinschaftlich bewegt haben: Die Finnwale konnten von der Liste der
Bedrohten Arten genommen werden, es wurden weltweit immer mehr
Meeresschutzgebiete eingerichtet und gerade hat Kenia Mangroven aufgrund
ihrer Klimarelevanz unter besonderen Schutz gestellt. Aber wenn ich mir die
Frage stelle: Ist denn jetzt die Überfischung global abgeschafft? Dann muss
ich das mit Nein beantworten. Aber der Antrieb für das Buch war ein
anderer.
Welcher?
Es ist der Versuch, die Bedeutung der Meere für unsere Existenz und unseren
Wohlstand anders zu erzählen. Und auch die Hoffnung, noch mal mehr
Aufmerksamkeit für das Thema Meeresschutz zu kriegen, Menschen zu
erreichen, die ich sonst mit meiner vor allem politischen Arbeit beim WWF
nicht erreiche. Wir kommen mit dem Schutz unserer Ozeane so schlecht voran,
weil die Problematik einfach nicht sichtbar ist. Wenn man am Strand steht,
sieht man nicht, dass weniger Fische im Wasser sind, man sieht nicht, dass
das Wasser wärmer und saurer wird und erst recht nicht die Geisternetze auf
dem Meeresgrund. Mit dem Buch versuche ich die Dinge sichtbar zu machen, um
gesellschaftliche Debatten anzustoßen. Denn ohne die handeln Politik und
Wirtschaft nicht.
In Ihrem Buch geben Sie auch Tipps, was jeder Einzelne tun kann. Weniger
Auto fahren, weniger Plastik kaufen, weniger Fleisch essen. Das ist alles
nicht neu. Wieso müssen Sie es trotzdem aufschreiben?
Erstens: Wir vergessen so etwas. Langfristige Verhaltensänderung ist sehr
schwer zu erreichen. Und zweitens war mir wichtig zu zeigen, wie die Themen
miteinander zusammenhängen. Wenn ich auf Plastik verzichte, mache ich auch
was fürs Klima. Wenn ich das Auto stehen lasse, tue ich auch dem Meer was
Gutes.
Sie empfehlen in Ihrem Buch, weniger Fisch zu essen. Würden Sie lieber
sagen, wir sollten es ganz lassen?
Ich finde, dass wir in Deutschland und in westlichen Ländern die
Möglichkeit haben, uns gesund, pflanzenbasiert zu ernähren. Wir brauchen
keinen Fisch für eine ausgewogene Ernährung. In vielen anderen Ländern
hingegen ist Fisch die einzige Eiweißquelle und den Menschen fehlen die
Alternativen. Deshalb kann man auch nicht so pauschal argumentieren, wie
beispielsweise in der Dokumentation „Seaspiracy“, dass wir alle generell
auf Fisch verzichten sollten. Boykotte führen oft nur zu
Marktverschiebungen und lösen nicht das eigentliche Problem einer falschen
Politik. Ich finde aber, dass wir Entscheidungen treffen müssen. Wenn es
eine Wahl gibt, dann bitte das Produkt mit dem geringsten ökologischen
Fußabdruck.
Seit gut zwei Jahrzehnten bringt der WWF den Fischratgeber für Konsumenten
heraus. Sie haben ihn mitentwickelt. Hat sich das Konsumverhalten
verändert?
Den WWF-Fischratgeber gibt es mittlerweile auch als App und er wird gut
nachgefragt. Unsere Umfragen ergeben, dass die Konsumenten mehr auf
Nachhaltigkeit und Umweltaspekte schauen, aber die Rückmeldungen aus den
Supermärkten ergeben leider auch, dass die Leute am Ende doch nicht mehr
bezahlen wollen. Fische haben einen großen Nachteil.
Welchen?
Ihnen fehlt der Niedlichkeitsfaktor. Und Emotionen spielen beim
Umweltschutz eine große Rolle. Bei Wolfswelpen oder Eisbärbabys sind alle
verzückt. Diesen Bonus haben maximal noch Seepferdchen. Dabei sind Fische
faszinierende Wesen. Heringe kommunizieren zum Beispiel über ihre
Schwimmblase mit Luftgeräuschen, Papageienfische bauen sich aus Spucke ein
Schlafnest.
Welchen Fisch essen Sie?
Ich esse gar keinen Fisch. Ich bezeichne das immer als Berufskrankheit. Das
bleibt mir wirklich im Halse stecken.
Ihre Tochter hat Ihnen vorgeworfen, nicht radikal genug zu sein.
Sie meint, dass ich zu diplomatisch gegenüber Freunden und Verwandten bin,
was das Thema Meeresschutz angeht. Wenn wir zum Essen verabredet sind und
da steht ein Salat mit Shrimps auf dem Tisch, kriege ich zwar
Bauchschmerzen, fange aber kein Streitgespräch an. Natürlich mache ich mir
Gedanken darüber, ob ich meine persönliche Meinung deutlicher aussprechen
muss. Ich weiß aber, dass wir die meisten Dinge nicht mit einem Hechtsprung
erreichen werden. Ich bezweifele, dass der verbale Zeigefinger im Gesicht
meines Gegenübers mehr bewegt. Meist ist es doch ein Weg der kleinen
Schritte, aber den müssen wir konsequent gehen.
Aber wäre beim Thema Klimaschutz beziehungsweise Meeresschutz nicht mehr
Radikalität angebracht, weil es sonst zu spät ist?
Ich bin ein großer Fan der Demokratie. Es geht darum, um einen Konsens zu
ringen und dabei, soweit es geht, alle mitzunehmen, oder zumindest die
breite Mitte. Ich glaube, dass dieser Weg der stabilste ist. Nur kann man
mit der Natur nicht über mehr Zeit für die Kompromissfindung verhandeln.
Wir brauchen daher öffentlichen Druck, aber das hat für mich nichts mit
Radikalität zu tun. Beim Plastikmüll hat das sehr gut funktioniert.
Was hat gut funktioniert?
Zuerst gab es in den Medien Berichte von Meerestieren, die an unserem
Plastikmüll sterben, gefolgt von Berichten über die Vermüllung, Müllexporte
und unser Recyclingsystem. Das löste einen extrem wichtigen Sturm der
Entrüstung aus. Ab Juli dieses Jahres tritt die europäische
Einwegplastik-Richtlinie in Kraft, die unter anderem die Produktion von
bestimmten Plastikteilen wie Rührstäbchen, Strohhalmen verbietet. Ein
EU-Gesetzgebungsverfahren innerhalb von nur sechs Monaten, das gab es noch
nie. Natürlich ist das erst ein Anfang. Der WWF fordert zum Beispiel ein
internationales Abkommen gegen den Plastikeintrag in die Meere. Es stimmt
mich optimistisch, dass wir was erreichen können.
Sie scheinen eh ein optimistischer Mensch zu sein, braucht man eine Art
Basis-Optimismus in Ihrem Berufszweig?
Ich weiß gar nicht, ob es unbedingt Optimismus ist, es geht eher darum, die
Hoffnung nicht zu verlieren. Wir haben keine Wahl: Eine intakte Natur ist
der Schlüssel für das menschliche Wohlergehen. Ich bin mal in einem
Interview gefragt worden, was denn mein Berufsrisiko sei. Und ich glaube,
das Riskanteste für mich und alle die im Umweltschutz oder in humanitären
Organisationen arbeiten ist es, die Hoffnung zu verlieren, Veränderung
bewirken zu können. Aber manchmal trifft auch mich die Realität wie ein
Schlag.
Wann?
Ich war 2019 in Monacoals, als der Weltklimarat den Bericht zu den
Auswirkungen des Klimawandels auf die Ozeane und die Eisbedeckung
vorgestellt hat. Nichts davon war neu für mich, aber diese Informationen so
geballt auf einmal zu hören, war schwer zu ertragen. Vor allem in diesem
schrägen Setting. Ich hörte mir in klimatisierten Räumen an, welche
katastrophalen Folgen die Klimaveränderung für weniger entwickelte Staaten
bedeutet. Als ich danach zur Tür raus bin, glitzerte es überall, es werden
goldene Maseratis und Yachten zum Verkauf angeboten, deren Beiboote
wahrscheinlich so viel kosten wie das mittlere Jahresbudget einer großen
Umweltorganisation. Dieser Kontrast war sehr hart. Wir befinden uns schon
jetzt im größten Artensterben seit den Dinosauriern und es droht eine
Katastrophe, wenn sich die Erde um zwei Grad erhitzt. Ich habe Wochen
gebraucht, um das zu verarbeiten.
Wie kommen Sie nach so einem Tiefschlag wieder auf die Beine?
Mein Team beim WWF ist dabei wichtig. Wir reden, diskutieren und sammeln
uns gemeinsam und sagen uns: Es hilft ja nix, wir müssen weitermachen,
einen Fuß vor den anderen, was gehen wir als nächstes an, wie verschaffen
wir uns Gehör und erreichen Veränderungen.
14 Jun 2021
## AUTOREN
(DIR) Juliane Preiß
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