# taz.de -- Kulturkampf in der jungen DDR: Fabrik für kleine Baumeister
       
       > Streit um Design: Eine Ausstellung in Berlin erzählt von Mart Stam, dem
       > Gründer des Instituts für industrielle Gestaltung in Ostberlin.
       
 (IMG) Bild: Der Holzbaukasten „Industrieanlage“ von Ernst Rudolf Vogenauer, 1949 entworfen ​
       
       Das sieht tricky aus: der Schaukelwagen. Er hat zwei gebogene Kufen, einen
       kleinen Sitz aus Bugholz, vier Räder. Stellt man ihn auf die Kufen, dann
       kann ein Kind, klein genug für die Sitzschale, darin schaukeln. Dreht man
       ihn um und stellt ihn auf die Räder, ist es ein Wagen mit Rollen. Hans
       Brockhage hat diesen Schaukelwagen 1950 entworfen, im Seminar
       Spielmittelgestaltung, an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden,
       betreut von Mart Stam. Jetzt ist der Schaukelwagen ein Highlight in der
       Ausstellung „die frühen jahre. mart stam, das institut und die sammlung
       industrielle gestaltung“, die im Werkbundarchiv zu sehen ist.
       
       Die Ausstellung erzählt eine Geschichte über den Kalten Krieg in den
       Künsten, über Moderne und Design, über Internationalismus und nationales
       Erbe. In ihrem Mittelpunkt steht Mart Stam, niederländischer Architekt,
       ehemaliger Bauhaus-Dozent, Kommunist und [1][Entwerfer eines
       hinterbeinlosen Kragstuhls aus Gasrohren, der Vorläufer des berühmten
       Freischwingers]. Mart Stam war Gründer des Instituts für industrielle
       Gestaltung an der Kunsthochschule Weißensee.
       
       Von seiner Berufung 1950 bis zu seinem Rauswurf als Leiter des Instituts
       und als Direktor der Kunsthochschule im Mai 1952 war es nur ein knappe
       Zeitspanne. Entwürfe, Zeichnungen, Lichtpausen und Prototypen aus diesen
       Monaten aber belegen, wie schnell und präzise an dem Ziel gearbeitet wurde,
       schlichte und schönlinige Modelle für die industrielle Produktion zu
       entwerfen.
       
       ## Geschirr für Ferienheime und Kindergärten
       
       Dazu gehörten zum Beispiel Bestecke für Kinder, kleine Tassen und eine
       große Kaffeekanne für Kindergärten. Geschirr für Ferienheime und Hotels
       wurde entworfen, stapelbare Keramik, gut zu greifen, leicht zu verstauen,
       sanft gerundet. Ornamente und Blumendruck kamen hier nicht mehr vor. Heute
       gilt diese Ästhetik als klassische Moderne. Kulturfunktionären der jungen
       DDR aber schien ihre Nähe zum International Style, der von ehemaligen
       Bauhauslehrern und -lehrerinnen in die USA getragen worden war und sich im
       Exil erfolgreich entwickelte, als äußerst verdächtig.
       
       Mart Stam wurde in seinem Leben wiederholt Formalismus vorgeworfen.
       Deswegen hatte man ihn schon aus der Kunsthochschule Dresden rausgeekelt;
       dorthin war er 1948 zuerst aus den Niederlanden übergesiedelt, um beim
       Aufbau der DDR, nominell noch SBZ (Sowjetisch Besetzte Zone), zu helfen.
       
       Mart Stam hatte Ideale: „Der moderne Künstler wird durch sein neues
       Lebensgefühl das volle Interesse gewinnen an den Problemen der
       Allgemeinheit – er wird sich in erster Linie als Teil der großen
       Lebensgemeinschaft fühlen und die Probleme dieser Gemeinschaft werden auch
       seine Probleme sein“, hatte er schon 1924 postuliert.
       
       Programmatisches lag ihm, dafür forderte er den Einsatz von Leistung,
       Disziplin und Fleiß. 1930 war er mit dem Architekten Ernst May in die
       Sowjetunion gegangen, um beim Aufbau großer Industriestädte zu helfen. Aber
       weil er die schlechten Lebensbedingungen in einer Bergarbeiterstadt
       kritisierte, musste er 1933 die Sowjetunion verlassen, denn Kritiker wurden
       hart und lebensbedrohlich verfolgt.
       
       ## Wiederholung des Scheiterns
       
       Die Geschichte, bei der Umsetzung seiner Utopie von der gemeinsamen Arbeit
       an besseren Verhältnissen an den Grenzen von Dogmatismus zu scheitern, hat
       sich so für ihn mehrfach wiederholt. Viele Jahre bis zu seinem Tod 1986 in
       der Schweiz litt er an Verfolgungswahn.
       
       Als Stam das Institut für industrielle Gestaltung gegründet hatte, berief
       er zwar gleich Dozent:Innen, die wie er aus dem Bauhaus-Kontext kamen, wie
       Marianne Brandt, Gestalterin für Keramik, Glas, Metall, auf die viele
       Design-Klassiker zurückgehen, Max Gebhardt für Spielzeuggestaltung,
       Lieselotte Kantner für die Keramik-Modelleur-Lehrwerkstatt. Parallel wurden
       aber überhaupt erst Räume für das Institut gesucht, das schließlich die
       Ruine des Museums für Meereskunde zugeteilt bekam. Ein aufwändiger Um- und
       Neubau war notwendig. Alle diese Arbeiten liefen parallel in den kurzen
       zwei Jahren.
       
       Das Ziel waren Produkte, die seriell und mit industriellen
       Fertigungsmethoden hergestellt werden konnten und in Funktion und Ästhetik
       hohen Ansprüchen genügten. In der Kulturpolitik wurden aber Tradition und
       Handwerk dagegen in Stellung gebracht, damit wollte man sich vom westlichen
       Kosmopolitismus absetzen. So zeigt die Ausstellung im Werkbundarchiv auch
       mit wenigen Beispielen, wie Blumendruck auf Geschirr und Tapeten
       zurückkehrte, Holzpuppen folkloristische Bemalung bekamen und Plakate das
       Baudekor der Stalinallee feierten.
       
       ## Die Hose des Sündenbocks
       
       Und es gibt eine Grafik von Horst Sikorra, der in Ostberlin studierte,
       bevor er 1951 nach Hamburg aufbrach: Da hängt ein Mann, dem die Hosen
       heruntergezogen wurden, an einem Kreuz, ein Schild „Formalist“ an die Brust
       geheftet. Um ihn herum Volk, das bereitwillig über seine Kreuzigung grinst.
       Zu dieser Zeit wurde über den Formalismus von „Genosse Stam“ auf der 5.
       Tagung des ZK der SED berichtet.
       
       Zu den Belegen des Designs, für das Stam sich einsetzte, gehört ein
       Holzbaukasten „Industrieanlage“, 1949 von Ernst Rudolf Vogenauer entworfen.
       Er bot Elemente, die sich zu Kränen zusammenbauen ließen, als Schornsteine
       aufstellen oder als Werkhallen mit Shed-Dächern. Das war schönes Spielzeug
       für eine frühe Einübung in die Ingenieurskunst und in die Entdeckung der
       Schönheit des Sachlichen.
       
       Von den Versuchen der neuen Gestalter, auch auf die repräsentativen
       Bedürfnisse der Politik einzugehen, zeugt ein Entwurf von Marianne Brandt,
       vielleicht das skurrilste Exponat der Ausstellung. Es ist ein Hammer in den
       Farben Schwarz, Rot und Gold in einer feinen Entwurfszeichnung. Er sollte
       dem Präsidenten der Volkskammer helfen, für Ruhe zu sorgen.
       
       Einen kurzen Ausblick gibt die Ausstellung noch auf die weitere
       Entwicklung. Ab Mitte der 1950er Jahre konnten sich einige Gestalter, die
       mit Stam kooperiert hatten oder vom Bauhaus kamen, wieder durchsetzen. Zum
       Beispiel Margarete Jahni, von der eine Reihe von Isolierkannen stammt in
       Metallicfarben, die heute wieder als sehr schick gelten.
       
       Zur kleinen Ausstellung gehört eine ausführliche Publikation, herausgegeben
       von der Stiftung Industrie- und Alltagskultur, die „die frühen jahre.“ auch
       ins Werkbundarchiv gebracht hat. Die Stiftung feiert damit auch ihr
       dreißigjähriges Bestehen. In der Zeit der Auflösung der DDR wurde sie
       gegründet, um sich der Geschichte und Sammlung der Alltagskultur zu widmen.
       
       30 May 2021
       
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