# taz.de -- Berliner Initiative „Stadt neu denken“: Eigentlich glücklich
       
       > Leonie Baumann mischt sich ein: Die Rektorin der Kunsthochschule
       > Weißensee fordert mit ihrer Initiative „Stadt neu denken“ eine neue
       > Berliner Liegenschaftspolitik.
       
 (IMG) Bild: Vermittelt zwischen Stadt und Kunst: Leonie Baumann.
       
       Na, selbstverständlich sieht sie sich berufen, sich einzumischen in der
       Stadt. „Ich bin doch verantwortlich für unsere Studenten“, sagt Leonie
       Baumann, Rektorin der Kunsthochschule Weißensee mit mehr als 800 Studenten,
       „ich muss doch dafür Sorge tragen, dass sie als Künstler von der
       Gesellschaft mit offenen Armen empfangen werden. Und dass sie von ihrer
       Kunst auch tatsächlich leben können.“
       
       Deshalb regt es sie auf, wenn die Stadt Berlin, die sich gern mit ihrer
       Offenheit für die Künste schmückt und mit ihrer Anziehungskraft auf die
       Künstler aus aller Welt, viel zu wenig dafür tut, der Kunst auch die
       notwendigen Räume für ihre Entfaltung zu erhalten. Das beginnt bei Ateliers
       zu vertretbaren Mietpreisen, setzt sich fort in Ausstellungs- und
       Auftrittsmöglichkeiten und geht bis zu den entwicklungspolitischen
       Gestaltungsspielräumen, die sich eine Stadt durch die Nutzung ihrer eigenen
       Liegenschaften erhalten könnte –, ja, wenn die Stadt es nicht vorzöge, wie
       es in Berlin oft geschah, die Liegenschaften zu verkaufen, um den Haushalt
       zu sanieren. Solche Entscheidungen machen Leonie Baumann wütend – und
       betriebsam.
       
       Wer jemals eine Podiumsdiskussion zur Berliner Kulturpolitik besucht hat,
       der ist ihr sicher schon über den Weg gelaufen: Leonie Baumann, groß, klug,
       blond, strahlend. Tatsächlich freut sich dort, wo viel Kränkung der
       Kunstszene über den Umgang der Politik mit ihr und Verbitterung über ein
       jahrelanges Anreden gegen immer wieder die gleichen Floskeln
       aufeinandertreffen, beinahe jeder, ihr zu begegnen. Sie strahlt etwas
       Gelassenes und etwas Zuversichtliches aus, allen Erfahrungen zum Trotz. So,
       als sei ihr Glaube, dass Vernunft sich durchsetzen muss, doch irgendwie
       unerschütterlich.
       
       ## Parteien und Fraktionen diskutieren das Thema
       
       Leonie Baumann ist Sprecherin im Rat für die Künste, einem Zusammenschluss
       von großen und kleinen Berliner Kulturinstitutionen, die mit gemeinsamer
       Stimme sprechen, etwa, wenn sie vor der letzten Wahl in Berlin Forderungen
       an die Kulturpolitik artikulierten. Sie war, bevor sie im April 2011
       Rektorin der Kunsthochschule wurde, beinahe 20 Jahre lang Geschäftsführerin
       der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst.
       
       Sie hat die Initiative „Stadt neu denken“ mit gegründet, die eine
       Neuausrichtung der Berliner Liegenschaftspolitik fordert. „Dass dieses
       Thema inzwischen in jeder Fraktion diskutiert wird und die Parteien mehr
       darüber nachdenken, was sie da eigentlich tun, das ist ein Erfolg unserer
       Initiative“, sagt sie, und auf dieses Ergebnis ist sie stolz.
       
       Zu schaffen ist all das nur durch eine große Präsenz und Vernetzung. Man
       kann Leonie Baumann innerhalb einer Woche oft auf drei verschiedenen
       kulturpolitischen Podien in Berlin treffen, zudem abends im Theater, mit
       ihrem Mann, und tagsüber natürlich in ihrem Rektorinnen-Büro, in dem zwei
       lange Arbeitstische und die hohen Fenster für einen aufgeräumten Eindruck
       sorgen. Vernetzung, das ist für sie auch eine Sache, die zu Fuß
       stattfindet, in der persönlichen Begegnung, dem Gespräch.
       
       Ich habe sie bei Presseterminen in der Neuen Gesellschaft für Bildende
       Kunst kennengelernt: Komplexe Ausstellungsthemen verloren in ihrer
       Vermittlung das Komplizierte, nicht aber das politisch Brisante. Das
       Vermitteln liegt ihr, die Frage, wie bringt man Dinge und gesellschaftliche
       Sphären zusammen. Das ging schon los während ihres Studiums der Pädagogik
       und Soziologie in Bielefeld, als sie sich in der Asta-Kulturarbeit
       engagierte. „Das war eine echte Herausforderung in den siebziger Jahren“,
       erinnert sie sich, „bei einer Frauenfilmwoche das Audimax der Universität
       voll zu bekommen, also auch Nichtstudenten als Publikum zu gewinnen.“
       
       Vermittlung heißt aber auch, die Künstler dafür zu sensibilisieren, wo sie
       denn gebraucht werden könnten. Und da ist sie jetzt, als Rektorin der
       Kunsthochschule, in „einer eigentlich glücklichen Situation“, die Öffnung
       der Schule gegenüber der Stadt und umgekehrt mitbetreiben zu können. Sie
       verdeutlicht das an Beispielen: Da gibt es in diesem Semester ein Seminar
       zusammen mit der Berliner Stadtreinigung, das von den Abläufen der
       Müllentsorgung her fragt, wie eigentlich die idealen Verpackungen aussehen
       müssten.
       
       Sie erzählt von einem Gartenprojekt, einer Idee von Studierenden, die alte
       Färberpflanzen anbauen und als Stadtgarten pflegen. Und sie ist begeistert
       von einer Meisterschülerin, Isabelle Dechamps, die in dem Projekt „able
       wird label“ mit einer Werkstatt für Behinderte nach einer Methode suchte,
       um die dort Arbeitenden zu befähigen, eigene Produkte zu entwickeln, sich
       einen Markt zu erschließen und mit ihrer Arbeit zu identifizieren.
       
       Das sind alles Schritte, in denen Leonie Baumann Modellcharakter sieht.
       Auch deshalb, weil sie den angehenden Künstlern und Künstlerinnen eine
       Perspektive schaffen, um ihren eigenen Platz zu finden.
       
       30 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) tazlab 2012: „Das gute Leben“
 (DIR) Design
 (DIR) tazlab 2012: „Das gute Leben“
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kulturkampf in der jungen DDR: Fabrik für kleine Baumeister
       
       Streit um Design: Eine Ausstellung in Berlin erzählt von Mart Stam, dem
       Gründer des Instituts für industrielle Gestaltung in Ostberlin.
       
 (DIR) Debatte Einsamkeit: Mit Würde allein sein
       
       Dauerhafte Kontaktlosigkeit gilt heute als individuelles Scheitern. Als
       privates Schicksal. Diese Deutung zementiert die Isolation. Dabei gibt es
       Alternativen.