# taz.de -- Trauerfeier für Lebende in Hamburg: Hurra, wir leben noch
       
       > In der Performance „Sterben“ können sich Quicklebendige in einer
       > Zeremonie betrauern lassen oder als Trauergäste online daran teilnehmen.
       
 (IMG) Bild: Kleines Museum des Lebens: Eine der Betrauerten sitzt vor einem Altar voller persönlicher Dinge
       
       Hamburg taz | Eines Tages sind wir alle dran. Dann ist Schluss, und es
       heißt Abschied nehmen, sterben und tot sein. Viel bleibt dann nicht von
       uns: ein verrottender oder verbrannter Körper, Dinge, die man zurücklässt,
       verblassende Erinnerungen. Wer wir letztlich und endlich gewesen sein
       werden, darüber bestimmen dann andere. An der eigenen Trauerfeier nicht
       mehr teilzunehmen, nicht mehr zu erleben, wie andere um uns trauern und
       über uns sprechen – und gegebenenfalls Einspruch zu erheben und die da
       aufgestellte Bilanz dieses Lebens zu korrigieren: Das ist ja sozusagen
       unser erster Nicht-Akt als Tote:r. Was für eine Kränkung.
       
       Die Theatermacher:innen [1][Saskia Kaufmann und Raban Witt] machen es
       nun doch möglich: Schlicht und direkt „Sterben“ heißt ihre „immersive
       Performance“, bei der man sich entweder live – und lebendig – in einer
       individuellen Zeremonie auf Kampnagel in Hamburg betrauern lassen kann oder
       dem Ganzen als Trauergast beiwohnen darf. Per Zoom natürlich, den
       Hygienemaßnahmen entsprechend – nicht, dass nach der Trauerfeier
       tatsächlich noch jemand stirbt, an oder mit Covid-19.
       
       ## Ein Raum für Zerbrechlichkeit
       
       Die Idee, eine Trauerfeier für erst zukünftig Sterbende, ganz normal
       Sterbliche zu veranstalten, die ihre Sterblichkeit und also ihr Leben so
       noch quicklebendig zelebrieren können, sei ihnen nach einer Reihe von
       Trauerfällen im persönlichen Umfeld gekommen, erzählen Kaufmann und Witt.
       „Als mein Vater vor ein paar Jahren gestorben ist, fühlte ich mich
       plötzlich ein bisschen mehr allein“, sagt Witt. „Ich wurde mit meiner
       eigenen Sterblichkeit konfrontiert, und mir wurde bewusst, wie zerbrechlich
       das Leben ist.“ Aber um sich mit dieser Zerbrechlichkeit
       auseinanderzusetzen, gebe es erstaunlich wenig Räume und Anlässe. Aus nur
       wenigen Bausteinen bestünden weltweit die entsprechenden Rituale, das
       hätten sie bei ihrer Recherche herausgefunden. So sei die Idee entstanden,
       eine neue Form des Trauerfeierns zu entwickeln.
       
       Dass das Thema Sterben einerseits viele wegen der Pandemie gerade besonders
       berühre und betreffe, andererseits nicht wenige die Sterblichkeit im
       Angesicht des Virus lautstark leugneten und sich mit ihr gerade nicht
       auseinandersetzen wollten, gebe der Beschäftigung mit dem Sterben natürlich
       noch mal eine andere Dringlichkeit. Entstanden sei die Idee aber schon vor
       der Pandemie, betonen Kaufmann und Witt.
       
       Das ganz gewöhnliche Leben eines Einzelnen haben Witt und Kaufmann denn
       auch bereits vor zwei Jahren in ihrem Projekt „Heiner Weiland. Mir fehlt es
       nichts“ ins Zentrum gerückt. Eine „theatrale Ausstellung“ über das Leben
       eines plötzlich verschwundenen Maschinenbauers aus Hamburg-Barmbek hatten
       sie im dortigen Museum der Arbeit aufgebaut und damit selbst [2][ein Museum
       eröffnet für einen ganz und gar gesichtslosen Durchschnittsmenschen], in
       dessen Leben die Dinge so beziehungslos nebeneinander gestanden zu haben
       schein, wie sie nun in den Vitrinen dieser musealen Ausstellung hinter Glas
       lagen.
       
       ## Das gewöhnliche Leben feiern
       
       Und das ganz gewöhnliche Leben Einzelner haben ins Zentrum von individuell
       gestalteten Trauerfeiern haben die beiden auch bereits im Oktober
       vergangenen Jahre gerückt, im Rahmen des von Witt gemeinsam mit Elena
       Liebenstein kuratierten Festivals „[3][Schlingensief 2020]“, zehn Jahre
       nach Christoph Schlingensiefs Krebstod zu dessen 60. Geburtstag. Da konnten
       die Erstgespräche noch im [4][„Trauerbüro“ in einem Pavillon stattfinden],
       auf deren Grundlage dann Trauerreden für die jeweiligen Feiern geschrieben
       wurden. Gemeinsam mit den zu Betrauernden und drei Performer:innen
       konnten acht Trauergäste an einer von 20 Zeremonien teilnehmen.
       
       Auch in Hamburg sollte „Sterben“ eigentlich analog stattfinden, doch wegen
       Corona musste diese Hoffnung begraben werden – wie bei realen Trauerfeiern
       derzeit ja auch. Stattdessen treffen wir 18 Trauergäste uns am
       Mittwochabend online in einem Zoom-Meeting. Iris vom „Trauerbüro“ heißt uns
       willkommen, bittet uns, unsere Kameras anzuschalten, testet die Mikros und
       weist uns in das Prozedere ein: Erst mal kennenlernen, jede:r soll ein
       paar Sätze sagen.
       
       Ein paar von uns kennen die zu Betrauernde schon, Katrin ist es an diesen
       Abend. Dass sie Katzen liebt und sich darüber freuen würde, wenn wir eine
       zeigen könnten, haben wir schon in der Einladung erfahren. Und dass sie
       sich freuen würde, wenn wir zur Feier Käse und Wein mitbrächten. Dass
       Katrin ein eigensinniger, kommunikativer Mensch sei, erzählen ihre
       Freund:innen Jan und Angela. Dass sie beim Meditieren brummt und summt,
       erfahren wir, dass sie gern kocht und isst und mit ihren Freund:innen zu
       Ausstellungen in aller Welt fährt.
       
       Dann erzählt Iris, was uns auf Katrins Trauerfeier erwartet. Zunächst
       erhalte die Betrauerte eine rituelle Waschung, anschließend leite sie eine
       Meditation an, bevor die eigentliche Trauerfeier beginne. Schließlich
       stelle Katrin sich in einer letzten Sterbeübung fünf Minuten lang vor, tot
       zu sein. Am Ende dann: Aussprache im Zoom-Meeting und ein kleiner
       Leichenschmaus in Katrins Anwesenheit.
       
       ## Mit dem Lada nach Russland
       
       Kurz begleitet Iris auch uns noch durch eine Atem-Meditation, damit wir
       entspannt sind, wenn wir in die Trauerhalle auf Kampnagel zur dort live
       stattfindenden Zeremonie geschaltet werden. Und tatsächlich schaut man dann
       ein wenig entrückt auf künstliche Palmen, die die Bühnenbildnerin Anthoula
       Bourna rings um ein achteckiges Podest mit Bänken am Rand gestellt hat. Im
       Hintergrund steht ein mit Spiegeln verkleideter dreieckiger Altar, später
       wird er aufgeklappt, darin: ein Regal mit persönlichen Gegenständen der
       Betrauerten.
       
       Das Produktionsteam stellt sich kurz vor, zeigt das Equipment, heißt uns
       noch mal willkommen, dann erscheinen in wallenden Gewändern die
       professionell trauernden Performer:innen in einer Prozession auf der
       Bühne. Wie eine Sektenveranstaltung in einem 70er-Jahre-Sci-Fi-Film wirkt
       das. Und im Hintergrund, in drei von der Decke hängenden Reihen, werden wir
       Trauergäste projiziert, wie wir vor unseren Zoom-Geräten sitzen und auf die
       Zeremonie und uns selbst schauen.
       
       Die Performerin Amanda Babaei Vieira richtet sich an uns, spricht ein paar
       Minuten eindringlich und nah an der Kamera über die Unausweichlichkeit des
       Sterbens. Darüber, dass es Katrin wie uns alle irgendwann ereilen wird.
       Dann kommt die Betrauerte. Entspannt sieht sie aus, als sie sich vor den
       Altar setzt. In der Trauerrede erfahren wir noch ein wenig mehr von ihr:
       dass sie mal Heilpraktikerin war, jetzt wieder etwas Kaufmännisches macht;
       was sie noch so vorhat in ihrem zu Ende gehenden Leben, zum Beispiel eine
       Reise im Lada Niva quer durch Russland.
       
       Traurig ist all das nicht, denn Katrin sitzt offensichtlich gerührt, aber
       fröhlich da, hat liebe Freund:innen, die ihr sagen, wie gern sie sie
       haben und dass sie gemeinsam noch eine Menge tolle Sachen erleben wollen.
       Katrin sagt, wie angenehm es sei, so schöne Worte über sich zu hören und
       sich mal Gedanken darüber zu machen, was sie bisher so mit ihrem Leben
       angefangen hat. Die Performer:innen legen Blumen zu Katrins Füßen,
       sprechen in monotonem Singsang so etwas wie Trauergebete, singen einen sich
       in ekstatisches Geschrei steigernden Klagegesang.
       
       Dann bekommen die Trauergäste Gelegenheit, sich an Katrin zu wenden, sagen,
       wie sympathisch sie sie finden; dass sie berührt seien und beeindruckt von
       ihrem Mut, ihr Leben so auf eine Bühne zu stellen; dass sie gern mal mit
       ihr mit dem Lada durch Russland fahren möchten. Katrin strahlt schüchtern.
       
       Auch bei den Trauergästen kommt an diesem Abend keine Trauer auf, zumindest
       bei meinem zufällig ausgewählten Gesprächspartner und mir, erfahre ich im
       siebenminütigen Zweiergespräch. Dafür sprechen plötzlich zwei einander
       bislang Unbekannte ganz persönlich über die Erfahrung der eigenen
       Sterblichkeit und unser zufälliges Zusammenkommen anlässlich eines erst
       künftig stattfindenden Todes einer Unbekannten.
       
       Am Ende prosten wir einer zufriedenen Katrin zu, die bei ihrer Sterbeübung
       vor allem großes Glück empfunden habe, wie sie sagt. Wenn sie dieses Gefühl
       im Angesicht ihres eigenen Todes erinnern könne: Das wäre doch schön. Für
       einen richtigen Leichenschmaus ist dann keine Zeit mehr, die nächste
       Zeremonie steht an. Katrins Freundin Angela schreibt noch Katrins
       E-Mail-Adresse in den Chat, für ein späteres Zusammenkommen. Um 21 Uhr im
       privaten Zoom-Raum. Oder irgendwann anders in diesem zerbrechlichen Leben.
       Und alle rufen sich ein wenig schüchtern zu: bis bald. Dann wird der
       Bildschirm schwarz.
       
       17 Apr 2021
       
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