# taz.de -- Kampnagel-Webserie „The Justice Project“: Rassismus auf der Anklagebank
       
       > Vorwürfe mal in die andere Richtung: In der Kampnagel-Webserie „The
       > Justice Project“ halten schwarze Geflüchtete über weiße Richter Gericht.
       
 (IMG) Bild: Ein Blitz schlägt ein und plötzlich klagen Schwarze Weiße an
       
       Ein Schwarzer Angeklagter sieht sich in einem deutschen Gericht weißen
       Männern gegenüber, die über ihn richten werden. Eine Erfahrung, die viele
       junge Migrant*innen aus Afrika in Deutschland gemacht haben – oft mit
       Anklagepunkten, für die Deutschen nie der Prozess gemacht worden wäre.
       
       Der Besitz von zwei Gramm Marihuana etwa, für den Nasir Jones aus Gambia in
       einem riesigen Gerichtssaal drei weißen Männern gegenübersitzt, an deren
       Mienen sofort zu erkennen ist, dass er von ihnen keine Milde und wohl auch
       kaum Gerechtigkeit erwarten kann. Aber mitten in der Anklagebegründung
       fährt (als billiger digitaler Effekt) ein Blitz ins deutsche Gericht, und
       plötzlich ist der Angeklagte zum Ankläger geworden. Richter, Staatsanwalt
       und Zeugen (Frauen spielen hier vor der Kamera keine Rolle) sind nun
       schwarzhäutig und gerichtet wird über den weißen Richter.
       
       Durch eine einfache Umkehrung werden hier die Verhältnisse zum Tanzen
       gebracht. Diese dialektische Methode hat das Hamburger Künstlerkollektiv
       mit dem passenden Titel „New Media Socialism“ in seiner dreiteiligen
       Webserie „The Justice Project“ angewendet. Sie selbst nennen es eine
       „kollektive Halluzination über Gerechtigkeit und Recht“. Wunschfantasie ist
       wohl auch eine passende Bezeichnung.
       
       Dem weißen Richter werden stellvertretend für den deutschen Rechtsstaat
       strukturelle Diskriminierung und Rassismus vorgeworfen, und eine Reihe von
       Zeugen schildern ihre Erfahrungen in Deutschland, um diese Anklagepunkte zu
       belegen. Hier erzählen die Darsteller nun von ihren eigenen Erfahrungen in
       Deutschland.
       
       Der bisexuelle Künstler DJ Waxs spielt etwa Mr. Oulus, der in Nigeria
       verfolgt wurde und nach Deutschland floh, dort aber nicht als politisch
       Verfolgter anerkannt wird, weil er sich bei den ersten Gesprächen nicht
       gleich geoutet hatte. Ein zweiter Zeuge schildert, wie er zusammen mit zwei
       anderen Afrikanern in einem kleinen Wohncontainer wohnen und von 150 Euro
       im Monat leben muss. Ein Dritter erzählt von den vielen Schwarzen, die in
       Deutschland in der Haft unter ungeklärten Bedingungen zu Tode gekommen
       sind.
       
       Hier wird offensichtlich nicht halluziniert. Stattdessen schildern die
       Zeugen glaubwürdig und mit erschütternden Details ihre eigenen Erfahrungen
       in Deutschland. Vor diesen drei Sequenzen verlässt der Film auch kurz das
       karge Setting des Gerichtssaals (gedreht wurde im Markk – Museum am
       Rothenbaum), und kurze dokumentarische Porträts stellen die Protagonisten
       vor.
       
       Nach der Beweisaufnahme und den Plädoyers folgt dann das Urteil, und hier
       hat sich der einzige Witz der Serie eingeschlichen: Die Strafe für den
       alles andere als einsichtigen Angeklagten besteht darin, dass er sich alle
       Folgen der TV-Serie „Roots“ ansehen muss.
       
       Als filmische Arbeit ist „The Justice Project“ eher grob geschnitzt. Doch
       das Kollektiv hat auch kaum künstlerische Ambitionen. Wichtiger ist es,
       dass hier eine Gegenöffentlichkeit geschaffen wird und auch jene einmal
       gehört werden, über die sonst ständig gerichtet wird.
       
       11 Mar 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
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