# taz.de -- Angehörige zum Jahrestag in Hanau: „Wir werden keine Ruhe geben“
       
       > Vor einem Jahr tötete ein Rassist in Hanau zehn Menschen. Die Betroffenen
       > kritisieren die Behörden scharf und fordern mehr politische Konsequenzen.
       
 (IMG) Bild: Die Tat prägt die Stadt: Gedenktafel an die Ermordeten des Hanau-Anschlags in Kesselstadt
       
       HANAU taz | Am Freitagabend werden die Angehörigen der Opfer vom Hanauer
       Attentat im Congress Park in Hanau sitzen. Bundespräsident Frank-Walter
       Steinmeier und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier werden dabei sein,
       um gemeinsam das offizielle Gedenken zum Jahrestag des Anschlags zu
       begehen. Am 19. Februar 2020 hatte dort ein 43-Jähriger aus rassistischem
       Hass und Verfolgungswahn zehn Menschen erschossen.
       
       Doch einige der Betroffenen zogen mit Unterstützer:innen, der „Initiative
       19. Februar“, schon am Sonntag Bilanz. [1][In einer Videokundgebung]
       kritisierten sie eine „behördliche Kette des Versagens“. Diese sei
       „unverzeihlich“, sagte Newroz Duman von der Initiative. Denn über allem
       stehe die Frage: Hätte der Anschlag verhindert werden können?
       
       Auch von politischen Konsequenzen sei ein Jahr nach der Tat „nahezu nichts
       zu sehen“, so Duman. „Mit warmen Worten und leeren Versprechungen wird sich
       nichts verändern.“ Deshalb müsse man eine „Zäsur von unten“ erzwingen. „Wir
       wollen alles tun, damit sich der 19. Februar 2020 nicht mehr wiederholt.“
       
       Der Attentäter Tobias R., der bei seinen Eltern im Stadtteil Kesselstadt
       wohnte, hatte in zwei Bars am zentralen Heumarkt und dann in einem Kiosk
       mit angeschlossener Bar in Kesselstadt [2][neun Menschen aus Familien mit
       Migrationsgeschichte erschossen.] Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat
       Gürbüz, Vili Viorel Păun, Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Ferhat Unvar,
       Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. Dann fuhr Tobias R. nach Hause,
       erschoss seine Mutter und sich selbst. In einem [3][Bekennerschreiben]
       hatte er zuvor eine Verfolgung durch Geheimdienste beklagt und einen Hass
       auf Migranten offenbart. Ganze Völker müssten „komplett vernichtet werden“,
       schrieb er.
       
       ## „Eine schwarze Nacht“
       
       Die Angehörigen der Mordopfer kritisieren, dass der Attentäter – trotz
       psychischer Auffälligkeiten – 2013 einen Waffenschein bekam. Dass er damit
       in Schützenvereinen trainieren konnte, 2019 auch bei zwei Übungen in der
       Slowakei. „Der Täter hat sehr viel trainiert, um am Ende unsere Kinder
       professionell zu töten“, sagte [4][Serpil Temiz-Unvar], Mutter des
       ermordeten Ferhat Unvar, auf der Videokundgebung. Es sei kaum vorstellbar,
       dass der Verfassungsschutz davon nichts mitbekam.
       
       Auch Emiş Gürbüz, Mutter des getöteten Serdat Gürbüz, kritisierte die
       Waffenbehörde scharf: „Durch ihren Fehler habe ich mein Kind verloren. Für
       uns war der 19. Februar 2020 eine schwarze Nacht. Für Deutschland wird
       diese Nacht ein schwarzer Fleck bleiben, der nie mehr weggeht.“
       
       Für die Betroffenen ist auch weiter ungeklärt, warum ein Notausgang an
       einem der Tatorte verschlossen war, durch den die Opfer wohl hätten fliehen
       können. Und warum Notrufe nicht zur Polizei durchdrangen, darunter auch die
       des später erschossenen Vili Viorel Păun. Warum fiel die Internetseite des
       Attentäters mit seinen Gewaltandrohungen nicht auf, die sechs Tage vor dem
       Anschlag online stand? Und welche [5][Rolle hat dessen Vater] inne, der den
       Wahn seines Sohnes offenbar teilt und zuletzt in Schreiben an Behörden die
       Tatwaffen seines Sohnes zurückforderte und das Gedenken an die Opfer als
       Volksverhetzung schmähte?
       
       ## Angehörige beklagen Umgang der Behörden mit ihnen
       
       Bitter beklagen die Angehörigen auch den Umgang der Behörden mit ihnen.
       Über Stunden wurden sie in der Tatnacht im Unklaren gelassen, ob ihre
       Angehörigen unter den Toten sind. Serpil Temiz-Unvar weiß bis heute nicht,
       was mit ihrem Sohn zwischen den Schüssen gegen 22 Uhr und dem
       festgestellten Todeszeitpunkt um 3.10 Uhr passierte. Die angeforderten
       Protokolle des Rettungseinsatzes habe sie nie erhalten. „Das kann ich nicht
       akzeptieren, das tut mir weh.“
       
       Auch Ajla Kurtović, Schwester des ermordeten Hamza Kurtović, kritisierte
       jüngst auf einem Pressegespräch, dass bis heute unklar bleibe, was genau in
       der Tatnacht geschah. „Hätte man den Täter stoppen können?“ Ihr Bruder sei
       damals allein im Krankenhaus gestorben, seinen Leichnam durfte die Familie
       erst eine Woche später sehen. Bis heute habe es dazu kein Gespräch mit der
       Hanauer Polizei gegeben, auch keine Entschuldigung. „Das macht mich
       fassungslos.“
       
       Kurtović und die anderen beklagen auch, dass die Obduktionen der Toten ohne
       Rücksprache mit den Familien erfolgten. Als diese ihre Angehörigen
       schließlich sehen durften, seien diese nur notdürftig zusammengenäht
       gewesen. „Ich habe Ferhat nicht wiedererkannt“, sagt Cousin Abdullah Unvar.
       „Uns wurde das Recht genommen, uns würdig zu verabschieden.“ Cetin
       Gültekin, der Bruder des getöteten Gökhan Gültekin, nennt den Anblick nach
       der Obduktion einen „zweiten Anschlag“. Bei Vili Viorel Păun sei auf der
       Sterbeurkunde nicht mal der Name korrekt gewesen – eingetragen war der
       seines Vaters.
       
       ## Ein Opferfonds für die Hanau-Betroffenen?
       
       Inzwischen haben Unterstützer:innen eine [6][Petition] gestartet, in
       der sie von Hessen einen Opferfonds für die Betroffenen des Hanau-Anschlags
       und weiteren rechten Gewalttaten fordern. Die Landesregierung müsse „die
       Verantwortung für die Folgen des mörderischen Rechtsterrorismus in ihrem
       Bundesland übernehmen und Betroffenen ein Weiterleben in Würde und
       Sicherheit ermöglichen“. Zwar hatte das Land bereits zuletzt einen
       Opferfonds von zwei Millionen Euro aufgelegt – diesen aber allgemein für
       Betroffene von Straftaten. Die Unterstützer:innen der Hanau-Opfer
       fürchten damit eine Opferkonkurrenz, auch bleibe so die nötige
       Signalwirkung aus.
       
       Auch Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) erklärte zuletzt, er
       unterstütze die Familien „in ihrer mehr als berechtigten Forderung nach
       Aufklärung“. Die Antworten seien „auch für die Hanauerinnen und Hanauer von
       großer Bedeutung“. Der 19. Februar 2020 sei der dunkelste Tag der Stadt in
       Friedenszeiten und werde als dauerhafter Gedenktag verankert. Zudem habe
       man mit der Einrichtung eines Demokratiezentrums reagiert.
       
       Kanzlerin Angela Merkel nannte den Anschlag am Wochenende einen „Einschnitt
       für das friedliche Zusammenleben“ in Deutschland. „Rassismus ist ein Gift,
       der Hass ist ein Gift.“ Man stelle sich „denen, die versuchen, Deutschland
       zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen“.
       
       Piter Minnemann, auf den am 19. Februar 2020 auch geschossen wurde und der
       den Anschlag überlebte, fordert mehr als Worte. Viele der Ereignisse ließen
       sich nur mit strukturellem Rassismus erklären. Es brauche daher eine
       Landesregierung, die Verantwortung für das Versagen übernehme, damit Hanau
       „wirklich die Endstation“ werde. „Wir brauchen lückenlose Aufklärung, wir
       brauchen Konsequenz und wir werden keine Ruhe geben.“
       
       15 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=Qu0NM_TYOPM
 (DIR) [2] /Rechter-Anschlag-in-Hanau/!5663003
 (DIR) [3] /Anschlag-in-Hanau/!5665253
 (DIR) [4] /Ein-Jahr-nach-Hanau/!5748572
 (DIR) [5] /Ein-Jahr-nach-Hanau/!5748572
 (DIR) [6] https://weact.campact.de/petitions/hessen-braucht-jetzt-einen-rechtsterrorismus-opferfonds-ein-jahr-nach-dem-anschlag-in-hanau
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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