# taz.de -- Mögliches Antifa-Verbot in Niedersachsen: Lechts und rinks nicht verwechseln
       
       > Innenminister Boris Pistorius prüft Antifa-Verbote. Kritiker*innen
       > sehen darin eine realitätsferne Gleichsetzung von Links- und
       > Rechtsextremismus.
       
 (IMG) Bild: Gefährlich oder gesellschaftlich wichtig? Antifa-Protest gegen Rechtsextremismus 2019 in Essen
       
       Hannover taz | Wer wissen will, was Hufeisen-Denken ist, hat es leicht.
       Lernstoff, wohin der Blick sich richtet. Vergangenen Donnerstag zum
       Beispiel, im Plenum des Landtags in Hannover: „Linksextremisten“ seien „zu
       allem entschlossen und schrecken vor nichts und niemandem zurück“, sagt Uwe
       Schünemann, Vize-Fraktionschef der CDU, zum Auftakt der Aktuellen Stunde
       „Linksextremismus präventiv bekämpfen“.
       
       Es sei zu prüfen, hatte der Landesvorstand Niedersachsen des Bundes
       Deutscher Kriminalbeamter (BDK) zuvor gefordert, „ob Organisationen wie die
       linksextremistische Antifa mit einem Betätigungsverbot nach dem
       Vereinsgesetz zu belegen sind“, im „Kampf gegen den Linksterrorismus“.
       Anfang Januar hatte es auf dem Gelände der Landesaufnahmebehörde (LAB) in
       Braunschweig einen [1][Brandanschlag auf Transportfahrzeuge] gegeben, mit
       angeblicher Antifa-Beteiligung. Die Folge: Innenminister [2][Boris
       Pistorius (SPD) denkt über ein Verbot von Antifa-Gruppierungen nach].
       
       Die CDU versuche, „unter kreativer Auslegung der Realität eine
       terroristische Gefahr von links herbeizureden“, tritt Helge Limburg,
       Vize-Fraktionschef der Grünen, Schünemanns „Holzhammerrhetorik“ entgegen.
       Straftaten müssten geahndet werden. Aber es sei „politisch falsch und
       rechtsstaatswidrig, diffus Verbote im linken Spektrum zu fordern“.
       
       „Wir haben kein Strafrecht der Gesinnung, sondern der Tat“, sagt Wiebke
       Osigus, SPD-Sprecherin für Verfassungsschutz, im Landtag. Es dürfe nicht um
       eine gefühlte Gefährdungslage gehen, nicht jede lockere Struktur sei eine
       terroristische Vereinigung.
       
       Auch die „Niedersächsische Erklärung ‚Antifaschismus lässt sich nicht
       verbieten‘“ schlägt gegen den Versuch, „Antifaschismus zu delegitimieren“,
       Alarm; fast 200 Institutionen, Gruppen und Verbände haben sie
       unterzeichnet, dazu rund 350 Einzelpersonen.
       
       „Wer links und rechts, wie beim Hufeisenmodell, gleichsetzt“, werfen die
       Unterzeichner Pistorius vor, „verteidigt nicht die Demokratie, sondern
       diffamiert und bekämpft die, die für eine solidarische Gesellschaft
       kämpfen, in der alle Menschen ohne Angst gemeinsam unterschiedlich sein
       können“. Es brauche „vielmehr Förderung und Teilnahme an Antifa“.
       Antifaschistische Arbeit trage maßgeblich zur Aufklärung rechter Anschläge
       und Aufdeckung rechter Netzwerke bei.
       
       Auch Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende der niedersächsischen Linken, ist
       empört: „Der große Sozialdemokrat Willy Brandt, der ja vor den Nazis
       fliehen musste, würde sich im Grab umdrehen, wenn er mitbekäme, dass ein
       SPD-Innenminister antifaschistische Gruppen verbieten möchte.“ Reichinnek
       ist sicher: „Die Feinde der Demokratie stehen rechts und nicht links!“
       
       Pistorius versteht die ganze Aufregung nicht: Er habe nicht davon
       gesprochen, die Antifa oder Antifa-Gruppen zu verbieten, sagt der Minister.
       „Jeder, der gegen Faschismus kämpft, verdient zuallererst den Dank der
       Gesellschaft.“ Dabei Straftaten zu begehen, sei aber „zutiefst
       verwerflich“. Es gehe ihm nicht um eine Kriminalisierung des
       Antifaschismus. Aber wenn es Gruppierungen gebe, die mit Straftaten ihre
       Ziele zu erreichen versuchen, solle das mit allen rechtlichen Möglichkeiten
       erschwert werden.
       
       Auch Niedersachsens Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut
       versichert: „Natürlich sehe ich in niedersächsischen antifaschistischen
       Gruppen per se keine terroristischen Strukturen. Bei vielen von ihnen
       handelt es sich um aufrechte Kämpfer gegen den Rechtsextremismus.“ Es sei
       aber nicht auszuschließen, dass sich Teile der linksextremistischen Szene
       zu einem neuen Linksterrorismus entwickeln könnten.
       
       Hufeisen-Denken weist auch er von sich: „Mir liegt es fern, Links- und
       Rechtsextremismus gleichzusetzen.“ Er werde aber nicht die Augen davor
       verschließen, wenn von Linksextremisten schwerste Straftaten wie die
       Brandanschläge auf die LAB verübt würden. Wenn sich daraufhin Demokraten
       mit Linksextremisten solidarisierten, wie auf der Unterzeichnerliste der
       „Niedersächsischen Erklärung“, werde er dazu nicht schweigen.
       
       Ein Blick auf die Fallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK)
       in Niedersachsen zeigt: Seit 2010 liegt „PMK rechts“ ungleich höher als
       „PMK links“. 2019 ist sie mit 1.632 zu 801 Delikten doppelt so hoch; für
       das Jahr 2020 liegen die Zahlen noch nicht vor.
       
       Welche Delikte diese Zahlen bergen, und in welcher Verteilung? Welchen
       Antifa-Gruppen welche Taten vorgeworfen werden? Frank Rasche, Sprecher des
       Innenministeriums, Abteilung Verfassungsschutz, bittet um Zeit. Eine
       „Einzelfallauswertung anhand der Kurzsachverhalte im
       Vorgangsbearbeitungssystem“ sei erforderlich.
       
       Lukas Foppe, Basisgruppensprecher der Linksjugend Osnabrück, Antifaschist
       in vorderster Linie, schüttelt über Pistorius’ Vorstoß den Kopf.
       „Unglaublich frustrierend!“, sagt er. Er fürchte, dass sich mancher
       Antifaschist dadurch jetzt zurückzieht, aus Angst vor Repressalien. So
       werde Antifaschismus unterdrückt. „Was ist denn, wenn jemand in einer Demo
       demnächst eine Antifa-Fahne entrollt? Wird er dann gleich von der Polizei
       rausgeholt?“ Foppe, tief empört: „Die jagen Gespenster!“
       
       3 Feb 2021
       
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