# taz.de -- Album „Jumping Dead Leafs“ von Tolouse Low Trax: Tradition trifft auf Experiment
       
       > Mit „Jumping Dead Leafs“ veröffentlicht Detlef Weinrich sein viertes
       > Soloalbum. Rausgebracht hat es das Kreidler-Mitglied in seiner Wahlheimat
       > Paris.
       
 (IMG) Bild: Mit seinem „Salon de Amateurs“ prägte Weinrich das Düsseldorfer Kulturleben mit
       
       Es ist noch nicht lange her, da trat der Düsseldorfer Künstler Detlef
       Weinrich beim [1][Festival „Meakusma“ im belgischen Eupen] mit seinem
       Projekt Toresch auf. Sängerin Viktoria Wehrmeister, festes Mitglied von
       Toresch, trug die tribalistisch klingenden Trax in schemenhafter
       Fantasiesprache vor und trug dazu eine tiefschwarze, nachhaltig
       beeindruckende Kutte.
       
       Damals kam einem die Performance als Anspielung auf das Ritualhafte und
       Kultige in der elektronischen Musik vor. Heute würde man vermutlich sofort
       an die Coronapandemie denken. Sie bringt die Kunst nicht nur an ihre
       materielle, sondern auch an ihre emotionale Existenzgrenze. Bei vielen
       Menschen ist vor lauter Sorge die Neugier auf die Zukunft zumindest
       temporär verschwunden.
       
       Doch paradoxerweise empfinden manche diesen Umstand nicht so, als wüssten
       sie im Shutdown überhaupt nicht mehr, wohin mit sich. Detlef Weinrich sagt
       dazu: „Im Lockdown spüre ich vermehrt ein Endzeitgefühl, es markiert eine
       fehlende Idee von Zukunft –insgesamt ist es aber auch ein adressenloser
       Zustand. Das hat mich an meine Anfangszeit als Tolouse Low Trax erinnert.
       Damals bekam meine Musik nur wenig Aufmerksamkeit. Das gab mir große
       künstlerische Freiheit; keine Adresse, aber auch kein Druck.“
       
       Tolouse Low Trax nennt sich Weinrich, wenn er als Solist elektronische
       Musik produziert. Im Coronasommer hat er [2][mit „Jumping Dead Leafs“ sein
       viertes Album] unter diesem Namen veröffentlicht. Das Alias lehnt sich an
       den postimpressionistischen französischem Maler und Plakatkünstler Henri
       Toulouse-Lautrec an.
       
       ## Albumcover im Stile Henri Toulouse-Lautrecs
       
       Der konnte mit wenigen Farbsteinen in Gelb, Rot und Blau außerordentlich
       starke Kontraste schaffen. Weinrichs neues Album hat einen bemerkenswert
       entschleunigenden, harmonischen Sog, der mit jedem Hören stärker wird. Als
       Verbeugung vor dem Namensgeber verbindet das Albumcover die klassische
       Ästhetik eines Designmagazins mit der Ausstrahlung dokumentarischer
       Fotografie.
       
       Weinrich zelebriert auf sieben Songs, die er als Rohmaterial nimmt und mit
       neuen Effekten mischt, elektronischen Dub. Damit öffnet er die Songs für
       ungewohnte Klangeinflüsse. Die Annäherung an raue HipHop-Instrumentals ist
       nicht zu überhören, besonders das Titelstück ist so ungemein lässig, dass
       sich dieses Gefühl aufdrängt.
       
       Die Rhythmen laden zwar zum Tanzen ein, sind aber nicht populistisch auf
       die Zwölf produziert, sondern experimierfreudig ausufernd. Geheimnisvoll
       und träumerisch wie das Stück „Inverted Sea“, monoton-rhythmisch wie die
       Stücke „Berrytone Souvenir“, „Sales Pitch“ und „Dawn Is Temporal“, die an
       das legendäre Kraftwerk-Stück „Trans Europa Express“ erinnern.
       
       Detlef Weinrich arbeitet mit Sampler, Synthesizer und Effektgeräten. Die
       sieben Songs des neuen Albums nimmt er als Rohmaterial, verfremdet sie mit
       Effekten, mischt und versioniert mit elektronischem Dub. Dass die
       Düsseldorfer Synthie-Pioniere Kraftwerk mit ihrer Elektronikkunst der
       1970er Jahre zum Vorbild für den Dancefloor ab den späten Achtzigern
       werden sollten, war abzusehen.
       
       ## Mouse on Mars vs. Kreidler
       
       Nicht zu erwarten war, dass es in ihrer Heimatstadt rund 20 Jahre dauern
       sollte, bis sich dort eine eigenständige Elektronikszene etablierte. 1994
       erscheinen gleich zwei Bands auf der Düsseldorfer Bildfläche der
       elektronischen Avantgarde, die beide bis heute international aktiv und
       einflussreich sind. Die eine nennt sich [3][Mouse on Mars]. Hinter dem aus
       einer Zeichentrickserie entlehnten Namen verbirgt sich das
       Köln-Düsseldorfer Duo Jan St. Werner und Andi Toma.
       
       Das Duo erntet schnell für seine Mixtur aus Techno-, Dub- und
       Krautrockelementen große internationale Aufmerksamkeit, die bis David Bowie
       reicht. Die andere Band heißt [4][Kreidler] und arbeitet mit Bass,
       Synthesizer und Schlagzeug. Ihre frühen Instrumentals stoßen neue
       elektronische Klangwelten auf mit quasi asiatischem Gleichmut, schnell
       gelten sie als die Lieblingsenkel von Ralf Hütter und [5][Florian
       Schneider].
       
       Kreidler will in der Kunststadt Düsseldorf moderne Kunst in einen
       Popkontext verwirklichen und sieht seinen Aktionsraum audio-visuell
       definiert. Die Band ist zu Gast auf internationalen Videofestivals, für die
       Eröffnung von Fotoausstellungen von [6][Andreas Gursky] treten sie im
       Pariser Centre Pompidou ebenso wie im New Yorker Museum of Art auf, auch
       die [7][Fashionmarke Chanel] lässt sich auf ihren Modeschauen gerne von
       Kreidler begleiten.
       
       Den musikalischen Rahmen von Kreidler baut an den Plattentellern Detlef
       Weinrich als DJ. Mit fast 30 etwas älter als seine Kollegen Thomas Klein
       und Andreas Reihse, wird Weinrich mit Synthesizer und Sampler zum festen
       Teil der Band. Ausgeprägt ist bei ihm die Nähe zur Kunstakademie, wo er
       Anfang der 1990er Bildhauerei bei Magdalena Jetelova studiert. Bei Kreidler
       sind alle Bandmitglieder zugleich solo mit eigenen Projekten unterwegs, so
       auch Detlef Weinrich als Tolouse Low Tax.
       
       ## Der Düsseldorfer „Salon des Amateurs“
       
       Sein aktuelles Album „Jumping Dead Leafs“ ist nun nicht nur musikalisch
       bemerkenswert, sondern auch deshalb, weil er es zwar noch in Düsseldorf
       komponiert, es aber in diesem Sommer schon in seiner neuen Wahlheimat Paris
       veröffentlicht hat. Nach 27 Jahren hat Weinrich den Lebensmittelpunkt
       Düsseldorf verlassen, dessen Kulturleben er sowohl mit Kreidler als auch
       mit dem über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Club „Salon des Amateurs“
       mitgeprägt hat.
       
       Dieser steht seit fast 20 Jahren für Salonkultur, die das Amateurhafte
       feiert, die Kraft des Dilettantischen, Impulse, die zuvor meist aus dem
       Punk- und New-Wave-Umfeld kamen. Der Club wird unter der Ägide von Weinrich
       zum Musiklabor. Als DJ schätzt er einen Sound der obskuren Töne, bei denen
       die menschliche Stimme als Instrument eingesetzt wird. Dieses Amalgam aus
       Outrock, Elektronik und Afrobeat klingt durchaus kosmisch.
       
       Während Resident-DJs wie Weinrich und Lena Willikens den Stil des Salons
       prägen, wird im Laufe der Jahre der Sound stilbildend, zwischen Tradition
       und Experiment. Allmählich akzeptieren und schätzen die Einheimischen den
       Laden. Ähnlich wie beim [8][„Pudelclub“ in Hamburg] oder dem „Robert
       Johnson“ in Offenbach hat aber auch die internationale Musikpresse Notiz
       davon genommen und schickt regelmäßig Korrespondenten.
       
       Der Club hält gleichwohl seine Linie: immer bewusst gegen die
       Gleichmacherei des Mainstreams gerichtet, mehr Kunst als Funktionsmusik für
       Tanzflächen. Und so eben auch anders als das maschinell-repetitive Muster
       von Kraftwerk.
       
       ## Kontrast zu Kraftwerk-Konzerten
       
       Als [9][Kraftwerk] im Januar [10][2013 für acht Konzerte] das dem Club
       gegenüberliegende Museum K20 in Beschlag nehmen, läuft im kleinen Salon das
       Kontrastprogramm. Weinrich sagt über seinen Anspruch: „Ich hatte wirklich
       die Idee, dass der Salon eine Übersetzung des [11][Ratinger Hofs] in die
       Gegenwart wird – auch wenn das vermessen klingen mag.
       
       Es war mir auch klar, dass man die Intensität, die hohe Energie, die einst
       mit Punk und New Wave und auch der ganzen Verbindung mit Carmen und Imi
       Knoebel entstand, nicht nachmachen kann. Trotzdem habe ich einen sozialen
       Ort geschaffen, aus dem heraus Projekte und Musik entstehen, die für die
       Stadt wichtig sind. Und das haben wir gemacht.“
       
       Fast ein Jahr blieb der Salon des Amateurs 2018/19 wegen
       Renovierungsarbeiten geschlossen, bis er im Oktober 2019 wiedereröffnet
       wurde. Jedenfalls für kurze Zeit bis zum ersten Corona-Lockdown im März und
       dann noch einmal – sehr eingeschränkt – für ein paar Wochen im Sommer
       dieses Jahres. Das Interieur ist weiter von schlichter Finesse: Schwere
       Ledersessel stehen an Kaffeetischen aus Stahl. Der Terrazzoboden hat ein
       Schachbrettmuster.
       
       Die Bar aus dunkelgrünem, fast schwarzem Stein zieht sich von der gläsernen
       Eingangstür hinein in den Raum. Sehr einladend, diese Oase. Die Chancen,
       dass es nach der Pandemie weitergeht, stehen gut. Der Club befindet sich im
       Erdgeschoss der größtenteils städtisch finanzierten Düsseldorfer Kunsthalle
       und für Detlef Weinrich hat man längst einen Nachfolger gefunden.
       
       Künftig wird Lucas Croon von der [12][Band Stabil Elite] im Salon auflegen.
       Stabil Elite, 2007 gegründet und seither mit ihrem leichten, die moderne
       Coolness ironisierenden Sound international immer bekannter geworden,
       gehören zu jenen damals um die 20-jährigen Talenten, die im Salon
       musikalisch sozialisiert wurden.
       
       Kein Zufall also, dass im Düsseldorfer Spumante-Studio bei Lucas Croon von
       Stabil Elite die Aufnahmen und der Mix des Weinrich-Albums „Jumping Dead
       Leafs“ stattfanden. Deutlicher kann man eine Staffelübergabe nicht
       inszenieren. Das Publikum des Salons des Amateurs wartet sehnsüchtig auf
       Wiedereröffnung und natürlich auch darauf, dass dieser große Künstler aus
       Paris, Tolouse Low Trax, bald einige Gastspiele an seiner ehemaligen
       Wirkungsstätte geben wird.
       
       29 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Meakusma-Festival-in-Belgien/!5531461
 (DIR) [2] https://tolouselowtrax.bandcamp.com/track/jumping-dead-leafs
 (DIR) [3] /Elektronik-Groessen-ueber-ihre-neuen-Alben/!5598635
 (DIR) [4] /Neues-Album-von-Kreidler/!5407491
 (DIR) [5] /Nachruf-auf-Florian-Schneider-Esleben/!5683501
 (DIR) [6] /Gursky-Wall-und-Rauch/!5035685
 (DIR) [7] /Ausstellung-ueber-Coco-Chanel/!5728843
 (DIR) [8] /Golden-Pudel-Club-eroeffnet-Obergeschoss/!5607004
 (DIR) [9] /Musikalisches-Erbe-von-Florian-Schneider/!5684507
 (DIR) [10] /Deutsche-Elektroband-Kraftwerk/!5075479
 (DIR) [11] /Wire-in-Duesseldorf-am-9111978/!5724147
 (DIR) [12] /Debut-Album-von-Stabil-Elite/!5098618
       
       ## AUTOREN
       
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