# taz.de -- Michael Blume über Querdenker-Demos: „Sektenartige Organisationen“
       
       > Der Antisemitismusbeauftragte Baden-Württembergs hält die Querdenker für
       > gefährlich. Er fordert die Überwachung durch den Bundesverfassungsschutz.
       
 (IMG) Bild: Denen hat doch jemand ins Hirn gestochen: Impfgegner in Stuttgart
       
       taz: Herr Blume, die Innenminister beraten am Donnerstag darüber, ob die
       Querdenker vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollen. Der
       baden-württembergische Verfassungsschutz hat die Stuttgarter Gruppe
       „Querdenken 711“ am Dienstag schon als Beobachtungsobjekt eingestuft.
       Halten Sie das für sinnvoll? 
       
       Michael Blume: Ja, das ist sinnvoll. Zwar zerfallen die Querdenker gerade,
       wie auch die QAnon-Bewegung. Aber wenn sich Verschwörungsbewegungen
       auflösen, dann setzt auch eine Radikalisierung ein.
       
       Woran machen Sie den Zerfallsprozess fest? 
       
       Wenn die Apokalypse nicht eintritt und die Termine dafür verstreichen, ohne
       dass die Ordnung zusammenbricht, dann können die Urheber ja nur ihren
       Irrtum eingestehen und sich zurückziehen oder aber weiter eskalieren. Das
       führt dazu, dass Leute, die noch einigermaßen vernünftig sind, nach und
       nach wegbleiben.
       
       Übrig bleiben die Extremeren, in diesem Fall Rechtsradikale und religiöse
       Fundamentalisten. Man konnte das sehen, als Michael Ballweg den
       selbsternannten „Reichsbürger-König“ Peter Fitzek besucht hat. Das kam auch
       innerhalb der Querdenker schlecht an. Gleichzeitig wird auch immer
       kritischer über die Finanzen dieser sektenartigen Organisationen
       diskutiert.
       
       Bei [1][Demonstrationen wie in Leipzig] sieht man aber auch, dass die
       Bewegung immer noch viele Menschen auf die Straße bringt. 
       
       Die Zahlen der Demonstranten gehen im Vergleich zum Sommer schon zurück und
       die breite Querfront konnten sie nicht aufbauen. Ich darf auch daran
       erinnern, dass Michael Ballweg bei der Bürgermeisterwahl in Stuttgart
       gerade noch sagenhafte 1,2 Prozent erreichte.
       
       Warum ist eigentlich der Schulterschluss zwischen [2][AfD und Querdenkern]
       nie wirklich gelungen? 
       
       Tja, die verschiedenen Verschwörungsunternehmer konkurrieren miteinander.
       Es gab ja mit „Widerstand 2020“ dann auch irgendwann selbst eine angebliche
       Parteigründung der Querdenker. Ich kann der AfD wie auch allen anderen
       Parteien nur empfehlen, sich nicht auf Bündnisse mit Verschwörungsgläubigen
       einzulassen. Ich kenne keinen Fall in der Geschichte, wo das jemals gut
       gegangen wäre.
       
       Was können die Verfassungsschützer mit der Beobachtung der Bewegung
       erreichen? 
       
       Eine Beobachtung würde den Verschwörungsunternehmern das Geschäft verderben
       und sie müssten sich neue Verkaufsmaschen suchen. Ich denke, man hat
       gesehen, dass ein Zurückweichen des Rechtsstaats die Leute immer weiter
       ermutigt hat. Sie glaubten nach Berlin und Leipzig, sie stünden kurz vor
       dem Durchbruch. Deshalb ist eine Beobachtung, aber auch das konsequente
       Vorgehen von Polizei und Justiz in Bremen richtig. Autoritäre
       Persönlichkeiten sehnen sich nach klaren Grenzen.
       
       Welche Gefahr sehen sie jetzt noch, wenn die Bewegung doch am Zerfallen
       ist? 
       
       Verschwörungsglaube läuft ja immer auf Tyrannophilie hinaus. Also sie
       suchen sich den vermeintlichen Erlöser, der die Weltverschwörung
       zerschlägt. Wenn jetzt Donald Trump nach seiner Wahlniederlage dafür
       ausfällt, kann das dazu führen, dass einzelne Menschen versuchen, selbst
       die Apokalypse herbeizuführen.
       
       Vor welchen Herausforderungen steht der Verfassungsschutz bei einer
       Beobachtung? 
       
       Wir haben es bei digitalen Verschwörungsbewegungen mit ganz neuen,
       schnellen Organisationsformen zu tun. QAnon als weltweite Bewegung hat
       gerade einmal zwei, drei Jahre gebraucht, um sich zu formieren. Die
       Querdenker haben sich in wenigen Monaten aufgebaut.
       
       Wir können also nicht mehr davon ausgehen, dass wir es wie früher mit
       Gruppen zu tun haben, die sich erst mal ins Vereinsregister eintragen
       lassen und in die alten Kategorien links oder rechts passen. Das sind sehr
       schnelle Bewegungen, die sich über Telegram und andere digitale Medien
       organisieren und die man mit den klassischen Kategorien sicher nicht mehr
       im Auge behalten kann.
       
       Es steht also die nächste Bewegung schon in den Startlöchern? 
       
       Es gibt schon die ersten Anzeichen, dass wir eine Anti-Impfbewegung unter
       dem Schlagwort „Great Reset“ bekommen werden. Und ab 2021 wird auch wieder
       die Klimakrise im Vordergrund stehen. Wir müssen uns klar darüber sein: Bei
       autoritären Menschen muss an allem, was schiefgeht, immer eine Verschwörung
       schuld sein. Das sind Leute, die sich nach dem Scheitern eines
       Verschwörungsmythos den nächsten suchen.
       
       Gibt es Erkenntnisse, wie hoch das Potenzial in der Bevölkerung für solche
       Verschwörungsmythen ist? 
       
       Umfragen kommen auf Werte zwischen 20 Prozent und einem Drittel der
       Bevölkerung, die für solche Ideen ansprechbar sind. Das beginnt schon in
       der Kindheit, welche Weltbilder die Menschen entwickeln. Dieses Potenzial
       abzusenken ist also eine Aufgabe von Generationen. Sie bedrohen meiner
       Ansicht nach damit nicht mehr die Demokratie, aber sie können sich selbst
       und anderen immer noch großen Schaden zufügen.
       
       9 Dec 2020
       
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 (DIR) Benno Stieber
       
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