# taz.de -- Aufregung über Elend am Bahnhof Altona: Erscheinungen der Großstadt
       
       > CDU und SPD finden öffentliches Urinieren und Alkoholismus am Bahnhof
       > Altona „unerträglich“. Vielleicht würde es helfen, Toiletten
       > aufzustellen.
       
 (IMG) Bild: Zieht auch Trinker*innen und Obdachlose an: Bahnhof Altona
       
       Die „Situation am Altonaer Bahnhof“ war vor Kurzem ein Thema der
       Bezirksversammlung in Hamburg-Altona. Sie ist, so heißt es in einem Antrag
       von CDU und SPD: „unerträglich“. Ich nutze diesen Bahnhof ständig, er ist
       sozusagen „mein Bahnhof“. Eine Alternative ist der Bahnhof Holstenstraße.
       Aber wenn sich die Bezirksversammlung Altona mit diesem Bahnhof befasste,
       käme sie mit ziemlicher Sicherheit zum Ergebnis, dass auch die Situation am
       Bahnhof Holstenstraße „unerträglich“ ist.
       
       Der Altonaer Bahnhof ist immer voller Menschen, es ist ja ein Fern- und ein
       Nahverkehrsbahnhof. In den Bus kann man auch umsteigen, und dann beginnt
       hier gleich auch das Einkaufs- und Amüsierviertel Ottensen. Auf der anderen
       Seite ist Ikea. Da lohnt sich das Ertragen des Unerträglichen vielleicht.
       
       Wie ist nun die Situation und was ist mit „Situation“ gemeint? Es sind die
       Menschen, die dort „herumlungern“, eine Dose in der Hand, unrasiert,
       ungewaschen, manchmal schreien sie sich an. Menschen, die nicht eigentlich
       irgendwo hinwollen, wie die meisten anderen auf Bahnhöfen, sondern dort
       sein wollen. Sie stehen, sitzen, liegen herum. Sie unterhalten sich.
       Manchmal machen sie sich an, werden laut, schlagen sich.
       
       Der Durchgang zur Großen Bergstraße stinkt. Ich habe es erlebt, dass eine
       Frau an einem Vormittag die Hose herunterließ und die Treppenstufen von der
       Bahnhofsseite her herunterpinkelte. Schön ist das nicht. Verstört hat es
       mich auch nicht. Ich wohne seit 26 Jahren in Hamburg, und öffentliches
       Pinkeln widert mich immer noch an, aber es verstört mich nicht. Gewalt
       verstört mich. Pinkeln nicht.
       
       Lieber wäre mir natürlich schon, ich könnte durch frisch duftende Straßen
       wandeln, in denen alle Menschen glücklich und gesund wären. Leider können
       manche Menschen einfach nicht glücklich und gesund sein. Das ist das
       Problem. Damit müsste man sich befassen.
       
       Man kann den Durchgang säubern und die Leute täglich verjagen, aber dann
       sind sie ja immer noch in der Welt. Dann sind sie dadurch nicht glücklicher
       und gesünder geworden. Dann kaufen sie immer noch Bier und pinkeln irgendwo
       hin. Denn wenn man so ein Mensch ist, in so einer Lebenssituation, dann
       muss man genauso pinkeln wie ich und du. Man hat nur vielleicht andere
       Möglichkeiten und andere Prioritäten.
       
       Nehmen wir die Frau, die die Treppenstufen hinuntergepinkelt hat. Ich habe
       mich auch schon in sehr dringenden Situationen befunden, aber meine Scham
       hat mich zurückgehalten und mich andere Wege finden lassen. Ich spreche,
       zum Beispiel, höflich, und mit einem Geldstück in der Hand, in einem
       Restaurant vor. Und im Bahnhof Altona gibt es eine (kostenpflichtige)
       Toilette.
       
       Aber besagte Frau hat aus irgendwelchen Gründen keine Scham empfunden,
       vielleicht war sie betrunken, vielleicht war ihr alles egal. Vielleicht
       lebt sie nicht mehr in dieser von diversen Verhaltensregeln bestimmten
       Welt, in der nur akzeptiert wird, wer diese Regeln einhält. Vielleicht ist
       sie da lange schon ausgetreten. Vielleicht zeigt sie dieser Welt jetzt
       manchmal einfach ihren nackten Arsch. Alles Spekulation. Aber wie soll man
       das Problem lösen? Oder ist das Problem überhaupt das Problem, das wir
       lösen sollten?
       
       Im [1][NDR-Bericht] heißt es: „Viele Familien weigerten sich inzwischen,
       den Tunnel von der Großen Bergstraße ins Bahnhofsuntergeschoss zu nutzen,
       weil dort uriniert würde und es zu Handgreiflichkeiten zwischen Obdachlosen
       komme.“ Die Familien also, will heißen – die Kinder! Meine Kinder waren
       einst mit ihrem Kinderladenerziehern in einem weniger angesagten Stadtteil
       täglich auf einem Spielplatz, der dem Bahnhofsuntergeschoss Altona ähnelte.
       Dort wohnte eine Zeitlang ein Obdachloser auf einer Bank. Die Kinder
       erzählten mir (und das ist ein Zitat): „Das is’ ’ne arme Sau. Morgen
       bringen wir ihm Stullen mit.“
       
       Was ich sagen will: Vielleicht sollte man Toiletten aufstellen. Vielleicht
       würde es nichts nützen. Ganze Familien allerdings sollten sich deshalb
       nicht in die Hose machen. Ganze Familien sollten sich an die Großstadt
       gewöhnen, die allerdings manchmal stinkt.
       
       3 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Situation-am-Altonaer-Bahnhof-ist-unertraeglich,altona758.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
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