# taz.de -- Visar Morina über seinen Film „Exil“: Verunsicherung mündet in Angst
       
       > Regisseur Visar Morina erzählt in „Exil“ von einem aus dem Kosovo
       > stammenden Familienvater, der gemobbt wird und zunehmend den Halt
       > verliert.
       
 (IMG) Bild: Xhafer (Mišel Matičević) in „Exil“
       
       Perfektes Timing könnte man es nennen, denn Visar Morinas Film „Exil“
       verhandelt Themen, die gesellschaftliche Debatten unserer Zeit bestimmen:
       [1][Integration], Rassismus, Mobbing, [2][Fremdsein], Ausgeschlossensein.
       Bei dem renommierten Sundance Festival und der Berlinale lief er mit großem
       Erfolg, nun kommt „Exil“ ins Kino. 
       
       taz: Herr Morina, Sie stammen aus [3][dem Kosovo] und leben seit gut 25
       Jahren in Deutschland, haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft.
       Fühlen Sie sich nach all diesen Jahren hier zu Hause oder immer noch als
       Fremder? 
       
       Visar Morina: Ich fühle mich in Deutschland zu Hause, ich habe auch kein
       anderes Zuhause. Heiner Müller hat dazu treffend gesagt: „Heimat ist da, wo
       die Rechnungen ankommen.“
       
       Dennoch kann man sicherlich davon ausgehen, dass Ihr Film zum Teil
       autobiografisch ist. 
       
       Indirekt. Ich habe weder einen Bürojob noch drei Kinder. Aber der Film ist
       insofern autobiografisch, als ich den Boden, aus dem so etwas entsteht,
       sehr gut kenne. Aber mehr als Kleinigkeiten, bestimmte Situationen sind
       nicht autobiografisch. Wichtiger waren zwei Ereignisse, die entscheidend
       zur Entstehung des Drehbuchs beigetragen haben. Zum einen die
       Silvesternacht 2015/16 in Köln. Danach hatte ich das Gefühl, dass die
       Stimmung im Land gekippt ist. Diese Nacht hat eine gewisse Paranoia
       ausgelöst. Ohne sie wäre die AfD wohl nicht so stark in den Parlamenten
       vertreten.
       
       Ich habe zu dieser Zeit dringend eine Wohnung gesucht und habe mich
       gefragt, was passieren würde, wenn ich mich bei der Bewerbung Gerhard
       Richter nennen würde, ob dann meine Erfolgsaussichten größer wären.
       Fairerweise muss man allerdings auch anfügen, dass Köln die Hölle ist, wenn
       es um Wohnungssuche geht.
       
       Das zweite Ereignis war auf einer Autofahrt von Wien nach Köln, bei der ich
       eine Stunde an der Grenze festsaß. Ich halte es für eine große
       Errungenschaft, dass wir uns zumindest in der EU so frei bewegen können,
       doch diese Selbstverständlichkeit war durch die Flüchtlingskrise fast über
       Nacht verschwunden. Daran kann man sehen, wie unsicher unsere sogenannte
       Zivilisation ist, wie schnell etwas ganz anderes Normalität werden kann.
       Wie etwas, das du für gegeben hältst, für das man Hunderte Jahre gekämpft
       hat, in kürzester Zeit verschwinden kann.
       
       Ihr Film heißt „Exil“. Eine Definition des Begriffs lautet: die Abwesenheit
       eines Menschen von der Heimat. Würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass
       die Fremde immer ein Exil bleibt, oder kann sie doch irgendwann Heimat
       werden? 
       
       Ich halte wenig von solchen Zuschreibungen. Ich habe heimatliche Gefühle
       für Dinge und Orte, denen ich emotional verbunden bin. Meinen ersten Film
       habe ich an der Kunsthochschule für Medien in Köln gemacht, ich habe ihn
       ein Jahr lang in sehr hässlichen Räumen geschnitten und habe am Ende
       gemerkt, dass ich zu diesem Ort einen großen emotionalen Bezug habe.
       
       Heimat ist für mich eher eine Frage der Prägung. „Zu Hause“ ist für mich
       ein sehr organischer Begriff, der sich sehr schnell verändern kann. In
       „Exil“ geht es eher darum, dass ein Mensch verunsichert wird und dieser
       Verunsicherung nachzugehen versucht und sich immer mehr verliert und dass
       diese Verunsicherung so weit fortschreitet, dass sie in eine Angst mündet,
       die auch vor einem selbst nicht haltmacht. Er beschreibt die Entfremdung
       einer Person von sich selbst.
       
       Man könnte die Hauptfigur Xhafer leicht als perfekten Deutschen bezeichnen:
       leitende Position, Haus, Frau, drei Kinder. Doch der kleine Moment, gleich
       in der ersten Szene, eine Ratte, die am Zaun hängt, reicht aus, um sein
       Selbstverständnis, Teil der Gesellschaft zu sein, zu erschüttern. 
       
       Nehmen wir eine Situation, in der ich voller Selbstbewusstsein über die
       Straße gehe. Wenn mir nun aber jemand begegnet, der mich fragt, ob ich mir
       sicher bin, dass es mir gut geht? Und diese Situation wiederholt sich im
       Laufe des Tages, sagen wir, dreimal, dann wäre ich spätestens beim dritten
       Mal verunsichert und würde darüber nachdenken, ob die anderen etwas sehen,
       was ich nicht sehe. Dann bleibt einem nur die Mutmaßung.
       
       Und wenn man nun einen Platz in der Gesellschaft hat, um den man kämpfen
       musste, egal ob zum Beispiel als Homosexueller in einer homophoben
       Gesellschaft oder als Migrant in einer rassistischen, dann wird man leicht
       verunsichert. Man fühlt sich nicht fremd, aber sucht nach Erklärungen und
       findet sie nicht.
       
       Das gilt in Ihrem Film auch für Manfred und Urs, zwei deutsche Kollegen von
       Xhafer. 
       
       Ja, für mich sind sie alle drei Teil einer größeren Figur, die
       unterschiedliche Formen der Ausgrenzung erfährt. Das Schlimme daran ist nun
       besonders, wenn ich nicht weiß, warum mir etwas geschieht. Wenn mir etwa
       der Zugang zu einem Klub verweigert wird und mir gesagt wird, dass ich
       nicht die richtigen Schuhe trage, dann kann ich mich darüber ärgern, aber
       es ist immerhin eine Erklärung. Aber wenn man mir gar nichts sagt, dann
       bleibt mir nur der Raum der Mutmaßung. Und das ist beispielsweise bei
       Manfred so, der quasi aus dem Leben weggelächelt wird, der immer hört:
       „Gerne, aber jetzt nicht.“ Es geht also eher ums Ausgeschlossensein aus
       einer Mehrheitsgesellschaft.
       
       Geht es auch um die Schwierigkeit, was man glauben soll? Xhafer wird ja
       eindeutig gemobbt, manches, was er in seiner Firma erlebt, etwa dass eine
       Mail nicht ankommt, könnte man als Versehen abtun, aber die Ratten, die auf
       seinem Tisch liegen, sind echt. Die Schwierigkeit für ihn scheint nun darin
       zu liegen, nicht zu wissen, woran er ist, so wie seine Frau Nora zu ihm
       sagt: „Das muss doch nichts damit zu tun haben, dass du Ausländer bist,
       könnte doch auch sein, dass sie dich einfach als Mensch nicht mögen.“ Diese
       Ungewissheit macht ihm zu schaffen. 
       
       Das macht ihm zu schaffen und da gibt es einen ganz seltsamen Mechanismus,
       den ich bei anderen, aber zum Teil auch bei mir beobachtet habe: Wenn ich
       mit einer Unsicherheit konfrontiert werde und keine Antwort gefunden habe,
       dann fange ich an, mein Verhalten zu überprüfen und überall nach Indizien
       zu suchen. Das wirkt dann in den Augen der anderen Menschen erst recht
       komisch, weil man die Selbstverständlichkeit verliert, das ist ein
       merkwürdiger Teufelskreis.
       
       Es gibt da einen treffenden Satz: Verzweiflung riecht. Befindet man sich
       einmal in dieser Schlaufe, dann ist es wahnsinnig schwierig, da wieder
       rauszukommen. Diese Unsicherheit kann wiederum von anderen ausgenutzt
       werden, um in bestimmten Situationen Macht auszuüben.
       
       Das passiert aber oft auch unbewusst.
       
       Natürlich, ich habe etwa einen inzwischen sehr engen Freund, der, als wir
       uns noch nicht so gut kannten, aus Unachtsamkeit etwas sagte, was ich als
       rassistisch empfand. Nachdem ich ihm das gesagt hatte, hat er sich so
       betroffen gefühlt, dass er mir den ganzen Abend über erklären wollte, wie
       viele jugoslawische Freunde er doch eigentlich hat. Er machte es damit
       jedoch eigentlich nur schlimmer.
       
       Unterschwellige Formen des Rassismus? 
       
       Ja. Während des Studiums und auch schon während meiner Schulzeit habe ich
       zum Beispiel viel gearbeitet und schnell gemerkt, dass es nichts bringt,
       wenn ich mich schriftlich bewerbe. Ich musste immer hingehen, mich
       möglichst fein anziehen, so sprechen, wie Goethe gesprochen hat, und
       beweisen, dass ich kein Affe bin. Und ich rede hier von Nebenjobs, von
       nicht wirklich beliebten Jobs.
       
       Ähnliches galt auch, wenn ich zur Ausländerbehörde gegangen bin: Möglichst
       gut anziehen, langsam sprechen, am besten verschachtelt. Und manche
       Menschen, die so einen Rassismus erfahren, fangen an, zu glauben, was
       gesagt wird, und beginnen sich als Menschen zehnter Klasse zu fühlen. Dann
       entsteht eine merkwürdige Unterwürfigkeit: Man will mit jeder Pore seines
       Körpers dem „Deutschen“ beweisen, dass man nicht gefährlich ist.
       
       22 Aug 2020
       
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