# taz.de -- Buch über vergessene Dramatiker:innen: Wie man Wünsche in Text packt
       
       > Unbekannte Autor:innen und vergessene Stücke: „Spielplanänderung“ von
       > Simon Strauss will das Theater ändern – eine Literaturgeschichte.
       
 (IMG) Bild: Aphra Behn, viel gespielt zu ihrer Zeit, wurde auch porträtiert
       
       Aphra Behn, von dieser in Deutschland fast unbekannten Autorin zu lesen,
       ist das erste funkelnde Fundstück, das die Lektüre von Simon Strauss’ Buch
       „Spielplanänderung“ so unterhaltsam und lehrreich macht. Strauss versammelt
       in dem Band 30 zuerst in der FAZ erschienene Aufsätze, in denen jeweils ein
       vergessenes Theaterstück empfohlen wird. Da der Band chronologisch geordnet
       ist, steht Aphra Behn, Stückeschreiberin aus London in der
       elisabethanischen Zeit, schon an dritter Stelle.
       
       Jürgen Kaube schreibt über die Dramatikerin, von der es bis heute keine
       Übersetzungen ins Deutsche gibt. Sie gilt als die erste
       Berufsschriftstellerin Englands; eine Ehe und ein Auftrag als Spionin
       hatten die 1640 geborene Aphra Behn mittellos gelassen. Ihre Komödien für
       die Duke Company fielen in eine Zeit, als Frauen auch das erste Mal als
       Schauspielerinnen auftreten durften.
       
       Dem war eine langandauernde Theaterdürre vorausgegangen, in der die
       Theater, wie Kaube schreibt, erst 18 Jahre lang wegen des Bürgerkriegs und
       dann wegen der Humorlosigkeit Oliver Cromwells geschlossen bleiben mussten
       und schließlich noch einmal, als 1665 die Pest ausbrach, 16 Monate lang
       nicht spielen konnten. Bis vor Kurzem hätte man solche Daten rein
       historisch betrachtet, inzwischen wecken sie die Furcht vor Wiederholung.
       
       Behn schrieb über arrangierte Ehen, wirtschaftliche Interessen prägten das
       Geschlechterverhältnis, Frauen mussten täuschen und tricksen, um an ihr
       Recht zu kommen. Verwechslungen, Intrigen, androgyne und bisexuelle
       Rollen machen ihre Stücke für die Gegenwart interessant. Außerdem haben sie
       Schauwert: „Ständige Kostüm- und Geschlechterwechsel, Duelle, Scheintode
       samt Verhaftungen, Stürze durch Falltüren und einige Verhandlungen mit
       Kurtisanen – und niemand weiß mehr, wer was ist und wer welche Maske
       trägt“, fasst Kaube sein favorisiertes Stück „Der Wanderer“ von 1677 an
       einer Stelle zusammen.
       
       ## Kleine Seitenhiebe Richtung Theater der Gegenwart
       
       Oft ist es die Farbigkeit der Erzählung, die für die vorgestellten Autoren
       einnimmt. Lord Byron ist zwar nicht ganz so vergessen, wie der
       [1][Schauspieler Fabian Hinrichs] in seiner begeisterten Vorstellung von
       dessen Drama „Sardanapal“ voraussetzt, aber wie Hinrichs dessen Kampf erst
       mit Fett- dann mit Magersucht beschreibt und Byrons Rollenwechsel vom
       „unansehnlichen Klops zum leuchtenden Dandy“, und vom „sehnsuchtsvollen
       Literaten zum tätigen Freiheitskämpfer“ verfolgt, ist sehr anschaulich.
       Erweckt womöglich aber auch mehr Interesse für die Figur von Lord Byron als
       für sein Drama „Sardanapal“, an dem Hinrichs die Vernunftkritik und die
       unendliche Sehnsucht, die im Leben im Falschen nie gestillt werden kann,
       interessiert.
       
       Hinrichs bringt seine „Sardanapal“-Lektüre mit kleinen Seitenhieben
       polemisch in Stellung gegen sein Bild vom Theater der Gegenwart, dem er zum
       Beispiel eine „spießbürgerliche Jagd nach aktuellen Themen“ unterstellt.
       Die [2][Unzufriedenheit mit dem Theaterbetrieb,] wie er existiert, liegt
       der Sammlung der Stücke in „Spielplanänderung“ zugrunde. Simon Strauss
       bemängelt im Prolog den zu engen Kanon, die häufige Wiederholung von
       Erfolgsstücken, und politische Strategien, wie etwa eine Frauenquote als
       ausschlaggebend für die Spielplangestaltung.
       
       ## Symptome der Krise
       
       Dramatisierungen nach Romanen und Filmen, Performance-Kollektive,
       Dokumentartheater, vieles von dem, was in meinen Augen auch die Vielfalt
       des Theaters ausmacht, sind für ihn und die Beiträger:innen eher Symptome
       einer Krise. Die „Spielplanänderung“ will nun aber nicht sauertöpfisch auf
       dem Mangel herumhacken – oder doch nur in den einleitenden Worten –,
       sondern Alternativen vorschlagen, von gut geschriebenen, unbekannten oder
       wenig beachteten Stücken.
       
       Das Gute an dem Buch ist, man muss die Haltung der Autoren gegenüber dem
       Betrieb der Gegenwart nicht durchgängig teilen, um es dennoch mit Gewinn
       lesen zu können. Denn was sie vorschlagen, ist oft eine Bereicherung, schon
       in der Lektüre. Wie [3][Deborah Feldman erzählt], wie sie Salomon Anskys
       Stück „Der Dibbuk“ von 1920 entdeckt hat und damit eine jiddische
       Literatur, die ihr, in der orthodoxen Tradition erzogen, vorenthalten
       worden war, ist ein berührender Text über Identitätskonstruktionen unter
       Ausschluss von Kritik.
       
       Nebenbei ist das Buch ein Beleg, wie aus gemeinsamen Feindbildern neue
       skurrile Allianzen entstehen. Etwa wenn Carl Hegemann, jahrelang Dramaturg
       an der Seite von Frank Castorf und damit selbst schwer involviert in das
       Geschäft der Auflösung des Literaturtheaters zugunsten einer gefräßigen
       Kontextmaschine, [4][neben Daniel Kehlmann] steht, der sich für „Die
       Heilige Johanna“ von George Bernhard Shaw starkmacht, die Geschichte einer
       Frau, die mit „aufrührerischer, fröhlicher Wut“ die „Welthistorie ändert
       und dann von Männern abgeurteilt wird“.
       
       ## Erlesene Mitspieler
       
       „Spielplanänderung“ ist eine gut erzählte Literaturgeschichte. Packend zum
       Beispiel, wie sich Hubert Spiegel Picassos sehr groteskem Stück „Wie man
       Wünsche beim Schwanz packt“ widmet: Spannend wird es, weil er so genau auf
       den Zeitpunkt der Entstehung, 1941 in Paris und die erste Lesung 1944
       eingeht, unter anderem mit Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Raymond
       Queneau als Mitspieler. Es ist also der Kontext, der sein Interesse an
       diesem Text nährt, und das sagt nicht allzu viel aus über dessen Potenzial
       für die Bühne.
       
       Allein die Inszenierung des Textes, der mit den Rollen „die magere Angst“,
       „die fette Angst“, „die Zwiebel“, „die Gardinen“, „die Torte“ eine Collage
       ist, ist schon eine große Herausforderung, das bleibt ein wenig
       unterbelichtet. Eine Aufführung durch eine freie Theatergruppe, die ich
       vage erinnere (vor 23 Jahren), war zwar im Detail amüsant, schaffte es aber
       nie bis zu einem Spannungsbogen oder den Erwartungen, die man mit dem Namen
       Picasso verknüpft.
       
       Auf jeden Fall ist die Lektüre von „Spielplanänderung“ in der theaterlosen
       Zeit der Pandemie ein gutes Mittel, sich dem Theater verbunden zu fühlen.
       
       5 May 2020
       
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