# taz.de -- Verdacht gegen Brasiliens Präsidenten: Alles nur ein Missverständnis?
       
       > Für manche ist es Zufall, dass der Mörder von Marielle Franco in der
       > Wohnanlage von Jair Bolsonaro auftauchte. Ein bisschen viel Zufall,
       > finden andere.
       
 (IMG) Bild: São Paulo am Donnerstag: Protest nach den Anschuldigungen gegen Präsident Bolsonaro
       
       São Paulo taz | Hat er etwas damit zu tun? Oder ist alles nur ein großes
       Missverständnis? Seit Dienstagabend diskutiert Brasilien über eine mögliche
       Verwicklung von Präsident Jair Bolsonaro in den [1][Mord an der linken
       Stadträtin Marielle Franco].
       
       In der allabendlichen Nachrichtensendung [2][„Jornal Nacional“] hatte der
       Fernsehsender Globo die Bombe platzen lassen: Laut der Aussage eines
       Pförtners von Bolsonaros Wohnanlage soll ein Verdächtiger kurz vor dem
       Mordanschlag versucht haben, ihn dort aufzusuchen. Eine Person, die der
       Pförtner als Jair Bolsonaro identifizierte, soll ihm über die
       Gegensprechanlage den Einlass erlaubt haben. Allerdings: Bolsonaro war an
       jenem Tag in der Hauptstadt Brasília.
       
       Der Verdächtige soll stattdessen den mutmaßlichen Mörder, der ebenfalls in
       der Wohnanlage lebte und mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt,
       aufgesucht haben. Die beiden Männer sollen kurz darauf gemeinsam die Anlage
       verlassen haben – wahrscheinlich, um Marielle Franco zu ermorden. Die
       Politikerin des Linkspartei PSOL wurde am 14. März 2018 zusammen mit ihrem
       Fahrer auf offener Straße in Rio de Janeiro ermordet. Die Auftraggeber der
       Tat sind bis heute nicht ermittelt.
       
       Nach den [3][schweren Anschuldigungen] meldete sich Bolsonaro mit einem
       Live-Video aus Saudi Arabien zu Wort und stritt alle Vorwürfe tobend ab. Am
       Mittwochabend erklärte das Ministério Público, eine Art unabhängige
       Staatsanwaltschaft, dass der Pförtner gelogen habe und Bolsonaro nicht die
       Tür aufgemacht habe. Doch es bleiben viele Fragen.
       
       ## „Wer viel schreit, hat etwas zu verbergen“
       
       Mitten in der Innenstadt von São Paulo steht das Copan-Gebäude. Der
       wellenförmige Hochhaus wurde vom Stararchitekten Oscar Niemeyer entworfen
       und war zwischenzeitlich das größte Wohnhaus der Welt. Im Erdgeschoss,
       neben Friseursalons und Restaurants, befindet sich das „Café Floresta“, ein
       kleines Kaffee mit braunen Fliesen, gerahmten Zeitungsartikeln und Bildern
       aus der Kolonialzeit an der Wand.
       
       Ein 53-Jähriger Anwalt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will,
       lehnt lässig am Stehtresen und nippt an einem kleinen Kaffee. „Ich glaube
       nicht, dass Bolsonaro etwas damit zu tun hat.“ Dass Bolsonaro und der
       Mörder Nachbarn waren, sei reiner Zufall. „Hier im Copan“, sagt der Mann
       und zeigt nach oben. „Könnte genauso gut ein Verbrecher leben – neben dem
       Künstler und der alten Oma“.
       
       Bolsonaro, meint er, spreche viele Wahrheiten aus. Manchmal vergesse er
       aber einfach, dass er Präsident ist. Auch diesmal habe er mit seiner
       Reaktion übertrieben. Der rechtsradikale Präsident beschimpfte nach der
       Veröffentlichung den Sender Globo wüst und drohte sogar damit, ihm die
       Sendelizenz nicht zu verlängern.
       
       „Für mich ist diese Reaktion sehr verdächtig“, sagt Dulce Muniz. „Wer viel
       schreit, hat etwas zu verbergen.“ Die kleine Frau mit dem bunten Kleid,
       Strohhut und Sonnenbrille steht vor einem kleinen Theater am
       Roosevelt-Platz nur wenige hundert Meter vom Copan-Gebäude entfernt. Hier
       trifft sich die linksalternative Szene der Megametropole. Muniz ist
       Regisseurin, Schauspielerin und linke Aktivistin. 1970, während der
       Militärdiktatur, wurde sie von den Schergen des Regimes verhaftet. Den
       Namen des brasilianischen Präsidenten, der ein Bewunderer der Folterknechte
       ist, spricht Muniz niemals aus.
       
       ## Rolle des Pförtners gibt weiter Rätsel auf
       
       Der Mord an der schwarzen, lesbischen Politikerin Franco habe sie schwer
       erschüttert. Ob Bolsonaro wirklich etwas damit zu tun hat, sei schwer zu
       sagen. „Aber mittlerweile gibt es doch ein paar Zufälle zu viel.“ So lebte
       einer der Verdächtigen in der gleichen Luxus-Wohnanlage wie der Präsident.
       
       Seine Komplize ließ sich mit Bolsonaro fotografieren. Und
       Familienmitglieder eines weiteren Verdächtigen waren im Büro von
       Präsidentenspross Flávio angestellt. Die Verdächtigen sollen allesamt
       Milizen sein – und der Familie Bolsonaro werden Verbindungen zu diesen
       paramilitärischen Gruppen nachgesagt.
       
       Die Rolle des Pförtners gibt weiter Rätsel auf. „Irgendjemand hat ihn zu
       der ersten Aussage gezwungen, um Bolsonaro zu schaden“, sagt der Mann im
       Copan-Gebäude. Andere Brasilianer*innen vermuten, dass die
       Ermittlungsbehörden von ganz oben unter Druck gesetzt wurde – und deshalb
       zurückgerudert wurde.
       
       Es bleiben viele Fragen: Wer spielte Globo die Informationen zu – und
       warum? Welche Rolle spielen Bolsonaros Söhne? Und hat Bolsonaro vielleicht
       per Telefon aus Brasília die Gegensprechanlage beantwortet? Nur eins ist
       klar: Fast 600 Tage nach dem Mord an Marielle Franco ist immer noch unklar,
       wer ihn in Auftrag gegeben hat.
       
       1 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Brasilianische-Feministin-Marielle-Franco/!5491931
 (DIR) [2] https://g1.globo.com/jornal-nacional/noticia/2019/10/29/suspeito-da-morte-de-marielle-se-reuniu-com-outro-acusado-no-condominio-de-bolsonaro-antes-do-crime-ao-entrar-alegou-que-ia-para-a-casa-do-presidente-segundo-porteiro.ghtml
 (DIR) [3] /Verdacht-gegen-Brasiliens-Praesidenten/!5637514
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Niklas Franzen
       
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