# taz.de -- Ausstellung und Festakt: Zurück in der Vergangenheit
       
       > Der Senat begeht das 50-jährige Jubiläum eines besonderen Progamms: der
       > Einladung an exilierte Juden, wieder ihre frühere Heimat Berlin zu
       > besuchen.
       
 (IMG) Bild: Helga Melmed, Holocaust-Überlebende, bei der Gedenkveranstaltung in Berlin
       
       „Als sie zurückkamen aus dem Exil, 
       
       drückte man ihnen eine Rose in die Hand. 
       
       Die Motoren schwiegen. 
       
       Versöhnung fand statt 
       
       auf dem Flugplatz in Tegel. 
       
       Die Nachgeborenen begrüßten die Überlebenden. 
       
       Schuldlose entschuldigten sich für die Schuld 
       
       ihrer Väter. 
       
       Als die Rose verwelkt war, flogen wir zurück in das Exil 
       
       ihrer zweiten, dritten und vierten Heimat. 
       
       Man sprach wieder Englisch. 
       
       Getränke verwandelten sich wieder in drinks, 
       
       aus Trauer wurde wieder sorrow. 
       
       Als sie sich der Küste von Long Island näherten, 
       
       sahen sie die Schwäne auf der Havel an sich vorbeiziehen, 
       
       und sie weinten.“ 
       
       Obige Zeilen verfasste der Autor und Übersetzer Hans Sahl (1902–93) nach
       einem Besuch Berlins im Jahre 1979. Als Jude und Linker war er 1939 vor den
       Nazis geflüchtet, erst nach Paris, 1940 weiter in die USA. Sahl zählte zu
       dem Heer von 80.000 Berliner Juden, denen die rechtzeitige Flucht ins Exil
       gelang. 55.000 Zurückgebliebene fielen dem Holocaust zum Opfer.
       
       50 Jahre sind vergangen, seit der Westberliner Senat beschloss, diese
       80.000 Ausgestoßenen zu Besuchen in ihre ehemalige Heimat einzuladen – als
       eine Geste, dass sie nicht vergessen seien und weiterhin zu den Mitbürgern
       der Stadt zählten. Und deshalb ist an diesem Mittwochabend Helga Melmed aus
       Florida ins Berliner Rote Rathaus gekommen. Die 92-Jährige zählt zu den
       sechs Ehrengästen, die der Senat anlässlich dieses Jubiläums zu einem
       Festakt und der Eröffnung einer Ausstellung über dieses Besuchsprogramm
       eingeladen hat.
       
       Dieses Mal, sagt sie der taz, sei es für sie nicht so schwierig gewesen,
       nach Berlin zu kommen, anders als 1977, bei ihrem ersten Besuch auf
       Einladung der Stadt. „Damals war es sehr schwer. Die Vergangenheit kehrte
       zurück. Ich hatte Angst davor, die Plätze wieder zu sehen. Ich misstraute
       allem und jedem. Es war sehr emotional und sehr seltsam.“
       
       ## Dankbarkeit und Angst
       
       Melmed zählte nicht zu jenen, denen in der NS-Zeit die rechtzeitige Flucht
       gelungen war. Im Oktober 1941 wurde sie, zusammen mit ihren Eltern, mit dem
       ersten Deportationszug in das Ghetto Lodz im besetzten Polen gezwungen.
       Mutter und Vater starben, sie selbst überlebte das Ghetto, die
       Konzentrationslager Auschwitz und Neuengamme und wurde 1945 in
       Bergen-Belsen befreit.
       
       Von den exilierten 80.000 Berlinern folgten im Lauf von 50 Jahren etwa
       35.000 der Einladung zu einem Besuch ihrer alten Heimat. Viele von ihnen
       hatten sich lange nicht vorstellen können, jemals wieder einen Fuß nach
       Deutschland zu setzen, so wie Robert Rosen, der sich zuvor noch geweigert
       hatte, bei einer Zwischenlandung in Frankfurt auch nur das Flugzeug zu
       verlassen, weil er deutschen Boden nicht betreten wollte. Manche weigerten
       sich bis zu ihrem Tod.
       
       Damals, vor 50 Jahren, als sich West-Berlin seiner ausgestoßenen Mitbürger
       erinnerte, war die Stadt Trendsetter. Eine Sonderbeilage in der
       deutsch-jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau von 1970 über das
       Besuchsprogramm macht deutlich, mit wie viel Dankbarkeit, aber auch mit wie
       großen Ängsten die Exilierten reagierten. Viele westdeutsche Kommunen
       entwickelten in dieser Zeit eigene Programme.
       
       Es war ein wichtiger Schritt zur Versöhnung mit den einst Verdammten.
       Manche Besucher fanden in Berlin alte Freunde und Bekannte wieder. Sie
       sahen, wie sich die Stadt entwickelt hatte, dass nicht länger Kommandos,
       Marschmusik und Stechschritt das Leben prägten. Sie gaben ihre Erfahrungen
       an ihre Kinder und Enkel weiter.
       
       ## Zwischen Heimat und Exil
       
       Doch andererseits war Berlin damals noch weit von einer wirklichen
       Auseinandersetzung mit der NS-Zeit entfernt. Johannes Tuchel, Leiter der
       Gedenkstätte Deutscher Widerstand, erinnert in seiner Rede auf dem Festakt
       daran, dass im gleichen Jahr 1969 der Senat die Umwandlung des Hauses am
       Wannsee, wo die Nazis 1942 den Massenmord an den Juden organisierten,
       ablehnte. Die damaligen jüdischen Besucher hatten mit ihren Ängsten nur zu
       recht: Noch prägten älter gewordene Nazis wichtige Facetten der
       Gesellschaft.
       
       Manche Besucher knüpften nach ihrer Reise dauerhafte Kontakte nach Berlin,
       so wie Margot Friedländer, Jahrgang 1921, die nach New York ausgewandert
       war. 2003 reiste sie zum ersten Mal wieder nach Berlin. 2010, im Alter von
       fast 90 Jahren, kehrte sie dauerhaft in ihre Heimatstadt zurück. Ihre
       amerikanischen Bekannten hätten diesen Schritt nicht verstehen können, sagt
       sie am Mittwochabend im Roten Rathaus. „Ich bin Berlinerin“, sagt sie. „Das
       ist meine Heimat. Ich gehöre hierher.“
       
       Sie tritt regelmäßig vor deutschen Schulklassen auf, um ihre Erfahrungen
       weiterzugeben, ebenso wie der 95-jährige Walter Frankenstein, der zwar in
       Stockholm lebt, aber regelmäßig nach Berlin kommt. „Ich lebe in Stocklin
       und komme nach Berlholm“, erklärt er seine Wanderungen zwischen Heimat und
       Exil. Er wolle „jungen Menschen helfen, den richtigen Weg zu gehen“. Berlin
       sei „die Stadt, in der wir die schönsten, aber auch die schlimmsten Tage
       erlebt haben.“
       
       ## Aussöhnung noch nicht abgeschlossen
       
       Für die allermeisten Eingeladenen kam eine Rückkehr freilich nicht in
       Frage. In einer kleinen Vitrine der Ausstellung sind einige der Geschenke
       zu sehen, die sie nach ihrer Rückkehr an den Senat sandten: Da findet sich
       ein Stoff-Koala aus Australien, ein Messerchen mit Porzellangriff aus
       Neuseeland oder eine Flasche Ahornsirup aus Kanada. Es sind kleine Gesten
       der Dankbarkeit.
       
       Im Juni 2010 erreichte die letzte jüdische Besuchergruppe Berlin, es waren
       82 Gäste aus zehn Ländern. Seitdem kommen nur noch einzelne Gäste. Fast
       alle Berliner, die in der NS-Zeit ins Exil gezwungen worden waren, sind
       inzwischen verstorben. Doch abgeschlossen ist dieses Kapitel der Aussöhnung
       deshalb noch nicht: 2016 beschloss der Senat, auch ehemaligen
       Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die in Berlin schuften mussten,
       die Möglichkeit zu bieten, die Stadt noch einmal zu besuchen.
       
       13 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Hillenbrand
       
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