# taz.de -- Gedenken an NS-Verfolgte: Lebendige Erinnerungen
       
       > „Denk mal am Ort“ erinnert am Wochenende an Menschen, die in der NS-Zeit
       > verfolgt und ermordet oder versteckt und gerettet wurden. Dabei sind
       > Überlebende und ZeitzeugInnen.
       
 (IMG) Bild: Dimitri R. Stein 1938 in Berlin. Heute lebt er 98-jährig in New York
       
       Die Fenster sind mit Brettern vernagelt. Auf dem Steinboden liegt nur eine
       Matratze. Es ist 1945 und die siebenjährige Rahel R. Mann versteckt sich im
       Keller eines Berliner Hauses. Sie ist allein. Ihre Eltern wurden von den
       Nazis deportiert. Manns Eltern sind Juden, zumindest nach der Definition
       der Nazis. Es sind Bekannte der Familie, die Rahel Mann schon seit fünf
       Jahren verstecken. Eine Hauswartsfrau versteckt sie bis zum Kriegsende fünf
       Monate im Kellerverschlag. „Frau Vater“, nannte das Kind sie. „Ich wusste
       gar nicht, dass ich Jüdin bin“, erzählt Mann heute, „ich dachte, ich werde
       versteckt, weil ich ein uneheliches Kind bin.“ Das Haus, in dem sie erst
       wohnte und sich dann versteckte, gibt es noch. Es steht in der Starnberger
       Straße 2 in Schöneberg. Als einziges in der Reihe blieb es von den Bomben
       verschont.
       
       An diesem Wochenende wird Rahel Mann dorthin zurückkehren und von der Zeit
       im Keller berichten. Darüber, wie sie fast auch nach Sachsenhausen
       deportiert worden wäre. Darüber, wie sie acht Jahre lang nicht sprach. Wie
       ihr die Hauswartsfrau im Kellerverschlag Lesen und Schreiben beibrachte.
       Mann nimmt teil an der Aktion „Denk mal am Ort“, die am 5. und 6. Mai zum
       dritten Mal in Berlin stattfindet. An 28 Orten wird von BerlinerInnen und
       Zeitzeugen in Häusern, Höfen und Straßen jener Menschen gedacht, die
       während der NS-Zeit aus der Gesellschaft ausgegrenzt, verfolgt, deportiert,
       ermordet – oder versteckt und so gerettet wurden.
       
       ## „Die Kraft von Geschichten“
       
       „Ein Denkmal ist ein Ort, an dem man denken soll“, sagt Dr. Pascal Decker.
       „Wir arbeiten mit der Kraft von Geschichten. Durch sie wollen wir uns
       erinnern.“ Decker ist der geschäftsführende Vorstand der Stiftung
       Brandenburger Tor, die die Aktion in diesem Jahr unterstützt. Ihre
       Begründerinnen sind die Historikerin und Künstlerin Jani Pietsch und ihre
       Tochter Marie Rolshoven. Das Projekt „Open Jewish Homes“, das seit 2012
       jährlich in Amsterdam stattfindet, hatte Pietsch und Rolshoven inspiriert.
       „Jedes Haus hat eine Geschichte zu erzählen und es ist gut, einmal im Jahr
       das Licht darauf zu richten“, sagte dort dessen Begründerin Denise Citroen.
       Pietsch und Rolshoven nahmen das so ernst, dass sie seit 2016 in Berlin das
       Gleiche tun. In der Rosenheimerstraße 40 wird Rolshoven am Wochenende auch
       selbst wieder an die Verfolgung, Enteignung und Deportation von neun
       Mieter:innen in ihrer Wohnung erinnern. Dimitri Stein, der Patenonkel ihrer
       Mutter Jani Pietsch, überlebte versteckt von Pietschs Vater und anderen
       Universitätskollegen das Ende des 2. Weltkriegs.
       
       „Diese Geschichten müssen weitererzählt werden“, sagt Petra Michalski. Wie
       Rahel R. Mann erzählt auch sie am Wochenende aus ihrer eigenen
       Familiengeschichte. An der Albert-Einstein-Gedenkstele wird sie berichten,
       was ihr Onkel János Plesch mit Albert Einstein in Berlin erlebte, bis der
       nach Belgien ins Exil ging. Weil ihr Mann, Franz Michalski, einen
       Schlaganfall erlitt, wird sie außerdem seine Geschichte erzählen. „Wieso
       kauft ihr bei den Michalskis, das sind Juden“, hatten die Nazis über die
       Eltern ihres Ehemannes gesagt, bis ein SS-Mann selbst in deren Geschäft
       einkaufte. Als die Michalskis deportiert werden sollten, floh Franz’ Mutter
       mit ihren Kindern nach Breslau.
       
       Auf der Pressekonferenz des Projekts werden die Zeitzeug:innen gefragt: Hat
       der Antisemitismus in Deutschland zugenommen? Rahel R. Mann stimmt sofort
       zu, die Michalskis lächeln müde. Einer ihrer Enkelsöhne ist Oskar Michalski
       – der ganzen Republik bekannt: In seiner Schule in Berlin-Friedenau wurde
       Oskar monatelang antisemitisch beleidigt und verprügelt.
       
       Auch deswegen sagen die Michalskis, Rahel Mann und alle anderen: „Das
       Erinnern darf nicht aufhören.“
       
       5 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Meyer zu Eppendorf
       
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