# taz.de -- EuGH-Verfahren zur Justizreform: Polen droht Verurteilung
       
       > Zwölf Verfahren des EU-Gerichtshofs befassen sich mit der bedrohten
       > Unabhängigkeit der Justiz in Polen. An diesem Montag fällt das erste
       > Urteil.
       
 (IMG) Bild: Betroffen von der Reform war auch Małgorzata Gersdorf, die Präsidentin des Obersten Gerichts
       
       Freiburg taz | Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird an diesem Montag
       sein erstes Urteil zur Justizreform in Polen sprechen. Es wird mit einer
       Verurteilung gerechnet. Mehrere weitere Urteile zur polnischen Justizreform
       werden folgen.
       
       Konkret geht es am Montag um eine Herabsetzung des Pensionsalters der
       Richter am obersten Gerichtshof Polens. Dadurch hätten 27 von 72 Richtern
       in den Ruhestand gehen müssen – es sei denn, Präsident Andrzej Duda hätte
       einer Verlängerung ihrer Amtszeit zugestimmt. Betroffen war auch die
       Präsidentin des Gerichts, [1][Małgorzata Gersdorf], eine vehemente
       Kritikerin der bisherigen Justizreformen der nationalkonservativen
       PiS-Regierung.
       
       Zuvor hatte die polnische Regierung durch ähnliche Manöver bereits für eine
       regierungsfreundliche Mehrheit am polnischen Verfassungsgericht und im
       Justizverwaltungsrat, der die polnischen Richter ernennt, gesorgt.
       
       Im Oktober 2018 klagte die Kommission beim EuGH gegen die Änderung der
       Altersgrenzen am obersten Gerichtshof. Im November 2018 erließ der EuGH
       eine einstweilige Verfügung, mit der Polen verpflichtet wurde, die Reform
       bis zum endgültigen Urteil auszusetzen. Polen akzeptierte die Verfügung und
       ließ die Richter, inklusive Gersdorf, auf ihre Posten zurückkehren. Im
       November nahm das Parlament sogar die gesetzliche Regelung zurück.
       
       ## Generalanwalt schlug in Schlussanträgen Verurteilung vor
       
       Dennoch schlug EuGH-Generalanwalt Evgeni Tanchev im April in seinen
       Schlussanträgen, die das Urteil vorbereiten, vor, Polen zu verurteilen. Das
       Land habe durch die zeitweiligen Maßnahmen das Prinzip der Unabsetzbarkeit
       von Richtern verletzt. Eine Änderung des Ruhestandsalters dürfe keine
       Rückwirkung haben. Auch die Unabhängigkeit des obersten Gerichtshofs sei
       missachtet, wenn Präsident Duda über die Verlängerung der Amtszeit von
       Richtern hätte entscheiden können.
       
       Eine andere Vertragsverletzungsklage hatte die Kommission schon im April
       2018 gegen Polen erhoben. Hier ging es vor allem um die Absenkung des
       bisherigen Pensionsalters an normalen polnischen Gerichten. Die bisherige
       Pensionsgrenze von 67 Jahren wurde auf 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für
       Frauen gesenkt. Hier hat Generalanwalt Tanchev erst am vorigen Donnerstag
       seine Schlussanträge vorgetragen. Auch in jenem
       Vertragsverletzungsverfahren sah der Generalanwalt das Prinzip der
       Unabsetzbarkeit von Richtern und die Unabhängigkeit von Gerichten verletzt.
       
       Zusätzlich ging es in jenem Verfahren auch um Geschlechtsdiskriminierung
       durch unterschiedliche Pensionsgrenzen für Männer und Frauen (an normalen
       Gerichten und auch am obersten Gerichtshof). Polen hatte dies als „positive
       Diskriminierung“ von Frauen gerechtfertigt, was der Generalanwalt jedoch
       zurückwies. Eine positive Diskriminierung müsse Frauen ermöglichen, „unter
       den gleichen Bedingungen wie Männer eine berufliche Laufbahn zu verfolgen“.
       Eine Ruhestandsregelung helfe bei der beruflichen Karriere aber überhaupt
       nicht. Zudem sollten Regelungen, die die herkömmliche Rollenverteilung
       fortschreiben, so der Generalanwalt, nicht als Maßnahmen zur Förderung der
       Gleichstellung betrachtet werden.
       
       Daneben liegen beim EuGH noch zehn Verfahren zur polnischen Justizreform
       vor, die von polnischen Gerichten initiiert wurden.
       
       ## Rechtsstaatlichkeitsverfahren im Hintergrund
       
       In den Hintergrund gerückt ist zuletzt das von der EU-Kommission bereits
       2016 eingeleitete sogenannte Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen. An
       dessen Ende könnte Polen zwar die Stimmrechte in der EU verlieren, was aber
       unwahrscheinlich ist, weil Ungarn den erforderlichen einstimmigen Beschluss
       der EU-Staaten wohl verhindern würde. Die jüngste Entwicklung zeigt, dass
       juristische Verfahren beim EuGH letztlich wirkungsvoller sind als das rein
       politische Rechtstaatlichkeitsverfahren.
       
       Das Rechtsstaatlichkeitsverfahren hat allerdings durch die bloße Einleitung
       schon Auswirkungen auf die Auslieferung nach Polen. Weil die EU-Kommission
       die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte anzweifelt, müssen nun Gerichte
       aus anderen EU-Staaten stets prüfen, ob einer Person, die nach Polen
       ausgeliefert werden soll, dort ein unfaires Verfahren droht. Dies
       [2][entschied der EuGH bereits im Juli 2018]. Damit wird der Grundsatz
       gegenseitigen Vertrauens bei der Justizzusammenarbeit durchbrochen.
       
       24 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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