# taz.de -- Promi-Bäcker über sein wildes Leben: „Saufen bringt nur kurzzeitig was“
       
       > Jochen Gaues war als „Promi-Bäcker“ auf Partys und in den Medien, dann
       > kamen Hygieneprobleme und zwei Insolvenzen.
       
 (IMG) Bild: In der Regenbogen-Presse nannten sie ihn „Champagner-Jochen“: Bäcker Jochen Gaues
       
       taz: Herr Gaues, Sie sind einer der bekanntesten Bäcker Deutschlands, haben
       in Norddeutschland mittlerweile 18 Filialen. War Ihre Karriere durch Ihre
       Eltern vorgezeichnet? 
       
       Jochen Gaues: Meine Eltern sind beide Akademiker, ich dagegen habe nur
       einen Hauptschulabschluss. Mit acht Jahren sind sie mit mir zum Psychologen
       gegangen, weil ich immer Bäckereien gemalt habe. Andere haben Autos gemalt,
       ich Bäcker. Meine Eltern hielten mich für hochintelligent. Aber der
       Psychologe meinte: „Der will wirklich nur Bäcker werden.“ Allerdings war
       mein Onkel Bäcker, das hat mich wohl geprägt. Ich habe dann mit 16 eine
       Lehre gemacht. Sieben Jahre später habe ich mich selbständig gemacht. Das
       ist jetzt genau 30 Jahre her.
       
       Kennen Sie Ängste? 
       
       Früher hatte ich Existenzängste. Mittlerweile war ich zwei Mal insolvent,
       jetzt weiß ich, wie es läuft. Es ist so, wie es ist.
       
       Eine dramatische Scheidung haben Sie auch erlebt, sie verloren teure Autos
       und ihr Eigenheim. Das muss Ihnen doch schlaflose Nächte bereitet haben. 
       
       Richtig schlecht ging’s mir vor drei Jahren. Mir war immer schwindelig, ich
       hatte einen irre hohen Blutdruck. Ich hatte richtig Angst. Da haste zwei
       Pleiten überlebt, bist daraus gestärkt hervorgegangen und stirbst ganz
       jämmerlich. Also habe ich 20 Kilogramm in drei Monaten abgenommen.
       
       Sie haben dem Alkohol immer viel zugesprochen … 
       
       Ich hab’s richtig krachen lassen. Ich bin immer einen saufen gegangen, habe
       aber auch Leute kennengelernt, die Ahnung hatten. Sonst hätte ich längst
       eine Leberzirrhose. Ich hatte einen Weinkeller mit 400 Kisten Bordeaux,
       Grand Cru Classé. Ich konnte jede Marke Champagner am Geschmack erkennen.
       Mein Schweizer Onkel sagte: Du musst deine Freunde in der Branche haben und
       dich mit Essen und Trinken auskennen. Er hat mir kistenweise Wein
       subskribiert. Irgendwann kam eine Rechnung. Ich bin aus allen Wolken
       gefallen: Ich sollte 30.000 Franken für 30 Kisten zahlen. Heute wären die
       vielleicht eine Million wert.
       
       Bereuen Sie die Trinkgelage? 
       
       Saufen bringt nur kurzzeitig was. Früher war es einfacher, danach wieder
       zur Arbeit zu gehen. Aber: Wenn ich irgendwo versacke, bin ich trotzdem am
       nächsten Tag in der Backstube. Vielleicht etwas später. Ich beobachte schon
       eine gewisse Unruhe in mir, wenn ich fünf Tage nicht getrunken habe. Wenn
       ich das schon so sage, dann muss da eine gewisse Abhängigkeit sein.
       
       Wie kam es zur ersten Insolvenz im Jahr 2002? 
       
       Die erste Insolvenz kam, weil ich viel zu überheblich war. Wir haben viel
       zu viel Geld ausgegeben. Wir hatten einen Kassenbestand von 200.000 Euro,
       aber die waren nicht da. Ich habe alles, was nicht schuldenbelastet war, an
       meine damalige Frau übertragen. Dann hat sie die Scheidung eingereicht und
       dann sollte ich 10.000 Euro Unterhalt im Monat zahlen.
       
       Sie mussten wieder von vorne anfangen. 
       
       Wir haben so eine kleine Pimmelbäckerei aufgemacht, für die wir 500 Euro
       Miete gezahlt haben. Da war ein Ofen von 1968 drin. Wir bekamen immer mehr
       Zulauf, alle fanden das Brot geil. Bruce Willis hat dann Brote gekauft, und
       durfte sie nicht mit ins Flugzeug nehmen, weil die für Bomben gehalten
       wurden. Das war natürlich super PR. Aber um die Buchhaltung haben wir uns
       nicht gekümmert. Wir haben so viel Geld verdient, das glaubste gar nicht.
       Meine zweite Frau Betti hat mir einen Ferrari zum Geburtstag geschenkt.
       
       Ist Ihre Frau auch in der Backstube aktiv? 
       
       Sie war meine Backstubenleiterin, daher kennen wir uns. Wir teilen uns die
       Arbeit, sie kommt auch mit auf Messen. Betti schaut genau wie ich nach dem
       Teig. Beim Ciabatta machen wir immer 100 Kilo. Da kommen 45 Kilo Sauerteig
       ran, 60 Liter Wasser und eine Schaufel Salz, keine Hefe, außer wenn es
       wirklich kalt ist. Dann geht es um die Knetzeiten. Wie viel Wasser kommt zu
       Anfang rein? Wie warm ist es in der Bäckerei? Wann schiebst du die Brote in
       den Ofen? Es ist die Summe der Kleinigkeiten.
       
       Sie haben zu Ihren besten Zeiten mehr als 60 Köche mit mindestens einem
       Michelin-Stern beliefert, in ganz Deutschland. 
       
       Cornelia Poletto und Tim Mälzer in Hamburg, Sven Elverfeld in Wolfsburg,
       die halten noch immer die Fahne für mich hoch. Ich habe sie alle beliefert,
       das Drei-Sterne-Restaurant Aqua in Osnabrück, Ali Güngörmüș in München,
       sogar nach Paris gingen die Pakete. Ich dachte, daher kommen die
       Baguettes?! Die kriegen Ware per UPS, für schlappe 400 Euro im Monat. Aber
       es lohnt sich, die sind wie Außendienstmitarbeiter, die keine Kohle
       kriegen.
       
       Sie waren ständig auf Partys, hatten in der Presse bald Ihre Spitznamen
       weg: „Champagner-Jochen“, oder „Dieter Bohlen der Backstube“. 
       
       Ich hatte positive Presse, ganz, ganz positive Presse und ganz schlechte
       Presse. Ich war weder in Kundus noch in Haiti und war angeblich dennoch im
       Gespräch fürs Bundesverdienstkreuz. Ich habe den Bundespräsidenten mit
       meinem Brot beliefert! Und nur ein halbes Jahr später wurde überlegt, ob
       meine Frau, die als Geschäftsführerin fungierte, Berufsverbot bekommen
       soll. Als wir zuvor geprüft worden waren, wurde nur eine einzige Sache
       beanstandet: Am Carport sei etwas dreckig. Das war alles. Dabei sah es in
       der Bäckerei aus wie Sau, da war eine Strohdecke drin. Wir waren
       betriebsblind, haben das gar nicht wahrgenommen.
       
       Das waren unappetitliche Geschichten, da war die Rede von Mäusekot in der
       Backstube. 
       
       Heute achte ich da mehr drauf, früher standen die Brotkörbe halt auf dem
       Boden, da habe ich nie drüber nachgedacht. Die Hygienebestimmungen sind
       aber zum Teil auch seltsam. Es muss gar nicht wirklich sauber sein, es muss
       nur protokolliert werden. Wenn du einen Bartschutz trägt, musst du dich
       tierisch jucken, und dann gehen die Haare erst ab. Mäuse gibt es überall.
       Aber dann musst du den Müll eben zwei Mal die Woche abholen lassen. Das
       kostet. Wir zahlen heute 4.500 Euro im Monat nur für die Müllabfuhr, sind
       deshalb zum Wachsen verdonnert. Damals war das scheißegal, wir haben alles
       in einen Presscontainer geworfen.
       
       Aber es dauerte Jahre, bis das Gesundheitsamt dann 2011 Ihre Backstube
       beanstandete. 
       
       Erst, als ich durch die Sache mit dem Bundespräsidenten richtig bekannt
       geworden war, hatten wir auf einmal 160 Beanstandungen. Da gab es den
       Hygieneskandal. Die hatten es auf uns abgesehen, der Typ vom Amt meinte:
       „Ihnen nehmen wir den Ferrari noch ab!“ Da meinte ich: „Ich hab doch zwei,
       du Pfeife.“ Das war ein Fehler.
       
       Und ihre Promikunden haben Ihnen die Hygieneprobleme nicht übel genommen? 
       
       Cornelia Poletto hat gesagt, bei dem Gaues müsse man sich das eben gefallen
       lassen, sonst bekäme man keine Ware mehr. Fand ich gut. Der Mälzer hat auch
       zu mir gehalten. Du musst allerdings aus deinen Fehlern lernen. Wenn du das
       nicht tust, hast du keine Berechtigung mehr, am Markt zu sein. Wenn das
       noch ein drittes Mal passiert, stehe ich nicht noch mal auf.
       
       2013 sind Sie ein zweites Mal insolvent gegangen. 
       
       Die Banken geben dir nur einen Schirm, wenn die Sonne scheint. Wir hatten
       damals 2,5 Millionen Euro Umsatz. Es war ein Fehler von mir, zu denken,
       dass ich das Geschäft allein führen kann. Ja, wir haben Steuern
       hinterzogen, blöde Idee. Aber es sollten 1,8 Millionen Nachzahlung und
       300.000 Euro Strafe sein – absurd. Ich habe ja keine Koffer voller Geld
       verschwinden lassen.
       
       Ihre Frau Betti war offiziell Geschäftsführerin, ihr drohte eine
       Gefängnisstrafe. 
       
       Fünf Jahre sollte meine Frau einfahren! Da war der Deal besser, Insolvenz
       anzumelden. Jetzt bin ich pleite auf Lebenszeit. 880.000 Euro muss ich
       abbezahlen, die Sparkasse hat mein Haus verkauft. Freunde meinten zu mir:
       „Ach, Jochen, du hast doch schon das Doppelte von dem versoffen, was die
       von dir haben wollen.“
       
       Sie sehen das also ganz locker? 
       
       Man zahlt schon einen Preis. In der Zeit wurde meine Frau schwer krank,
       hatte einen Schlaganfall. Und dann bekam sie solche Rückenschmerzen, dass
       sie kaum noch laufen konnte. Ein toller Professor hat sie dann gerettet,
       den kannte ich vom Saufen.
       
       Was bedeutet Ihnen Familie? 
       
       Als ich geschäftlich in New York war, kam ich mir vor wie ein kleiner
       Junge. Ich konnte das gar nicht genießen, ich fahre auch nicht gerne in den
       Urlaub. Sechs Tage hatte ich Betreuung rund um die Uhr, und acht Tage war
       ich alleine. Das war eine Katastrophe. Mit den Amis komme ich gut klar,
       auch wenn das Brot furchtbar ist. Ich hab ja lieber oberflächlich Nette als
       echte Arschlöcher. Dennoch bin ich am liebsten da, wo die Familie ist.
       Meine Frau sagte sogar schon: Jochen, du klammerst so. Mit Stiefkindern
       habe ich insgesamt acht Kinder.
       
       Wie läuft das Geschäft aktuell? 
       
       Sehr gut. Es gibt nun eine andere Geschäftsführerin, ich bin nur noch
       Teilhaber, über meinen Sohn. Unsere Backstube hat aktuell nur 200
       Quadratmeter, das ist viel zu wenig, wir müssen expandieren. Wir haben
       aktuell auch nur 24 Bäcker, die haben viel zu tun, weil es wirklich
       Handarbeit ist. Wir werden sicher nicht automatisieren, ich werde niemals
       etwas an den Abläufen ändern. Der Ofen läuft rund um die Uhr, in drei
       Schichten wird gearbeitet.
       
       Wie sind Ihre Margen beim Backen? 
       
       Ein Ciabatta kostet bei uns vom Wareneinsatz 10 bis 15 Cent, im Laden
       kostet es 5 Euro. Und die dummen Bäcker jammern, dass sich die
       Getreidepreise verdoppelt haben! Jetzt müssen die Armen statt einen Cent
       zwei für die Getreidemenge eines Brötchens ausgeben.
       
       Was halten Sie von Bio-Siegeln? 
       
       Das ist Verarsche. Außer Demeter, das ist top. Das schmeckste. Ich sage
       voraus: Der nächste Skandal wird Bio-Getreide betreffen. Wir verwenden kein
       Bio-Getreide, aber Backtriebmittel oder Phosphat gibt es bei Gaues nicht.
       Es kommt uns zugute, dass die anderen Bäcker so scheiße sind. Hört sich
       arrogant an, aber es ist so.
       
       Wie sind Sie wieder aus den Schulden rausgekommen? 
       
       Friedrich Knapp, der Besitzer der Kette New Yorker, hat mich gerettet. Der
       hat mir das Geld ohne Vertrag gegeben. Das war wie beim Monopoly, nur mit
       echtem Geld. Der ist durchgeknallt wie ich, aber anders. Der trinkt auch
       keinen Alkohol. Er hat mir eingebläut: Fehler nur einmal machen. Und: keine
       anderen dafür verantwortlich machen. Er hatte recht. Ich bin ja nicht wie
       Trump, nein, ich war immer selber schuld.
       
       1 Apr 2019
       
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 (DIR) Jan Paersch
       
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