# taz.de -- Zum Tod von Carolee Schneemann: Extrem einfallsreich, extrem radikal
       
       > Die Perfomancekünstlerin Carolee Schneemann schrieb Kunstgeschichte. Sie
       > fand es richtig, weibliche Lust und Begehren in die Kunstwelt zu bringen.
       
 (IMG) Bild: Carolee Schneemann im Frankfurter MMK1, im Hintergrund der Film „Body Collage“ (1967)
       
       Sie tat, was man von ihr, der Frau im Kunstbetrieb, erwartete und
       präsentierte sich und ihre Schönheit; stellte sich nackt auf einen Tisch
       und drehte und wand sich in all den lächerlichen Posen des akademischen
       Aktmodells. Aber dann tat sie, was unmöglich erwartet wurde: Sie sagte, sie
       würde aus ihrem Buch „Cezanne, sie war einen große Malerin“ vorlesen, zog
       stattdessen aber einen aufgerollten Papierstreifen aus ihrer Vagina und las
       den darauf stehenden Text vor.
       
       Der lautete „sei darauf vorbereitet, dass man dir deine Ideen klaut, dass
       man die Ideen missversteht, dass man dich schlecht behandelt, egal ob dein
       Erfolg zu- oder abnimmt, dass Herabsetzung und Bewunderung im Gleichschritt
       miteinander gehen …“.
       
       Dass ihre Performance „Interior Scroll“ (1975) höchst umstritten war, lässt
       sich denken. Aber sie machte Carolee Schneemann über einen kleinen Kreis
       von Kennerinnen hinaus bekannt. Der Text richtete sich übrigens an die
       einflussreiche Kunsthistorikerin Annette Michaelson, die an der New York
       University den damals neuen Fachbereich Cinema Studies eingerichtet hatte.
       
       Schneemann meinte, Michaelson weigere sich, ihre Filme anzuschauen. Der
       Angriff hatte es durchaus in sich. Denn in der Ablehnung Michaelsons sich
       mit Schneemanns Arbeiten auseinanderzusetzen, kann man sehr wohl die
       Hintergrundfolie dafür sehen, dass Künstlerinnen generell in der
       Kunstgeschichtsschreibung nicht vorkommen.
       
       Extrem einfallsreich, extrem radikal und am Ende erfolgreich intervenierte
       Carolee Schneemann gegen diese Zurückweisung weiblicher Kreativität. 2017
       erhielt sie auf der Biennale von Venedig den Golden Löwen für ihr
       Lebenswerk. An der Kunstakademie ausgebildet, verstand sich die 1939 in
       Pennsylvania geborene Künstlerin immer als Malerin. Allerdings wollte sie
       Bewegung in ihre abstrakten Bilder bringen, wollte sie ihre schon
       rhythmisch dynamisierten Bilder selbst in Bewegung bringen, weswegen sie
       zunächst Motoren in sie einbaute und Dosen an sie dran hängte. Die machten
       dann beim Drehen der Gemälde Geräusche.
       
       Später suchte sie ihre eigene körperliche Energie und Erotik ins Bild
       einzubringen. Das führte zum Überschreiten der Grenzen der Malerei und zu
       den von Michaelson ignorierten Filmen, etwa „Meat Joy“ (1964), eine Orgie
       aller Geschlechter samt toter Fische und gerupfter Hühner, oder zu „Fuses“
       (1979), als sie sich und ihren Mann beim Sex filmte.
       
       Damit wurde sie zu einer maßgeblichen Pionierin feministischer Kunst –
       trotzdem ihr damals von feministischer Seite Exhibitionismus und Narzissmus
       vorgeworfen wurde. Da, so sagte sie später in einem Interview anlässlich
       ihrer Ausstellung, die vom [1][Museum der Moderne in Salzburg] ins MMK1
       2017 in Frankfurt [2][gewandert war], sei ihr klar geworden, „dass ich mit
       dem Konzept, gleichzeitig Bild und Bildproduzentin zu sein, auf etwa
       Zentrales gestoßen war.“
       
       Sich selbst zu zeigen, wie es auch Frida Kahlo tat, eröffne die Möglichkeit
       der herrschenden Konstruktion von Sexualität zu entgehen und schaffe „einen
       Moment von Wahrhaftigkeit“.
       
       Und tatsächlich schrieb sie mit ihrem Moment der Wahrhaftigkeit
       Kunstgeschichte. Ihre Performance-Film-Arbeit wurde maßgeblich für ganze
       Generationen nachfolgender Künstler*innen. Sie war, wie sie sagte, immer
       davon überzeugt, dass es richtig war weibliche Lust und Begehren, aber auch
       weiblichen Widerstand und Ironie in die Kunstwelt zu bringen. „Das war
       nötig. Man wird eines Tages erkennen, dass etwas fehlt“. Nun fehlt sie.
       Carolee Schneemann ist am Mittwoch im Alter von 79 Jahren gestorben.
       
       8 Mar 2019
       
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