# taz.de -- Die EU zwischen Brexit und Italien-Krise: „Aufbruch für Europa“ ist anderswo
       
       > Brüssel hat diese Woche Härte bewiesen. Trotzdem muss die EU den Verlust
       > gleich zweier Staaten betrauern. Bei der Europawahl droht ein Desaster.
       
 (IMG) Bild: Aufbruch? Horizonte? Dazu ist nix zu sehen in der EU
       
       Auf den ersten Blick war es eine starke Vorstellung, die die Europäische
       Kommission in dieser Woche hingelegt hat. Gleich zweimal hat die sonst so
       halbherzige Brüsseler Behörde energisch durchgegriffen: Im [1][Budgetstreit
       mit Italien] und beim [2][Brexit-Deal mit Großbritannien].
       
       Italien wurde wegen seiner Schulden in die Schranken gewiesen. Die
       populistische Regierung muss mit einem Defizitverfahren rechnen, das mit
       hohen Geldstrafen enden kann. Für den starken Mann in Rom, Matteo Salvini,
       läuft es nicht rund. Er steht unter Druck – nicht nur aus Brüssel, sondern
       auch an den Finanzmärkten.
       
       Auch London muss zurückstecken: Der Brexit-Deal trägt zu 99 Prozent die
       europäische Handschrift. Die britische Premierministerin Theresa May konnte
       sich nur auf dem Papier durchsetzen, in der Praxis gibt die EU die Linie
       vor.
       
       Doch die Freude über das harte Durchgreifen hat einen bitteren
       Beigeschmack. Wenn Großbritannien am 29. März 2019 wie geplant austritt,
       rutscht Europa über Nacht im Ranking der größten Wirtschaftsmächte ab – auf
       Platz drei hinter den USA und China. Auch in Italien verliert die Union. In
       keinem anderen Land ist die Zustimmung zur EU so stark gefallen, war das
       Wachstum so schwach und die soziale Krise so verheerend. Dabei haben sich
       die letzten Regierungen an die Vorgaben aus Brüssel gehalten.
       
       ## Schlafende Hunde an der Börse
       
       Der nun eingeschlagene harte Kurs wird an diesem traurigen Befund nichts
       ändern, im Gegenteil: Die Rezepte der EU-Kommission dürften die Krisen noch
       verschärfen. Brüssel bietet nur rote Linien, aber keine neuen Perspektiven,
       wie sie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2017 in seiner Sorbonne-Rede
       gefordert hatte.
       
       Besonders krass zeigt sich das am Beispiel Italiens. Das Land steht nun vor
       zwei unmöglichen Alternativen: einlenken und den gescheiterten EU-Sparkurs
       fortsetzen, was die Misere verlängern dürfte – oder aufrecht untergehen.
       
       Wenn die „Stabilitätswächter“ aus Brüssel die schlafenden Hunde an den
       Börsen wecken, ist das Schlimmste zu befürchten. Selbst wenn nicht gleich
       die ganz große Eurokrise ausbricht, riskiert die EU in Italien mit einem
       Defizitverfahren einen gefährlichen politischen Flurschaden. Die EU-Gegner
       wie Salvini reiben sich die Hände, bei der Europawahl droht ein Desaster.
       
       Auch für Großbritannien hat die EU keine guten Perspektiven. Der Entwurf
       für einen „Zukunftspakt“ enthält zwar viele schöne Worte. Und der
       Austrittsvertrag könnte den „Worst Case“ verhindern – einen ungeordneten
       Brexit mit riesigen ökonomischen und sozialen Verwerfungen.
       
       ## Nichts zu feiern
       
       Doch Brüssel entlässt London nicht etwa in die ersehnte Freiheit, sondern
       in ein dubioses Zwischenreich. In der Übergangsphase nach dem Brexit, die
       bis 2022 dauern könnte, muss London alle EU-Regeln einhalten und seine
       Beiträge zahlen, ohne in Brüssel mitreden zu dürfen. Selbst danach bleibt
       das Land an die EU gebunden.
       
       Großbritannien wird deshalb nicht gleich zum „Vasallenstaat“, wie die
       Brexit-Hardliner schreien. Doch glücklich dürfte das Land mit dem neuen
       Status auch nicht werden. „Reisende soll man nicht aufhalten“, heißt eine
       Binse. Die EU macht das Gegenteil – und kettet die Briten an sich. So
       gleicht sie einem Club, aus dem es kein Entrinnen gibt.
       
       Es gibt also nichts zu feiern in dieser Woche, in der die EU ihre Muskeln
       spielen ließ. Eher gibt es Grund zu trauern: Über die Scheidung von
       Großbritannien, die nun besiegelt wird. Über den Verlust Italiens, das die
       innere Kündigung vollzogen hat und auf Konfrontationskurs geht. Und über
       das völlige Versagen bei einer Aufgabe, die einmal als „Aufbruch für
       Europa“ bezeichnet wurde.
       
       Was ist denn aus diesem Aufbruch geworden, den Kanzlerin Angela Merkel
       versprochen hat? Wo sind die neuen Horizonte, die Emmanuel Macron so
       leidenschaftlich beschwor? Sie sind nicht mehr zu erkennen. Sechs Monate
       vor der Europawahl geht es nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern.
       
       23 Nov 2018
       
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