# taz.de -- Kapitän zu Seenotrettung im Mittelmeer: „Die können sich nicht bewegen“
       
       > Dariush ist Kapitän auf einem Seenotretter. Er hat hunderte Menschen in
       > Holzbooten gesehen. Die libysche Küstenwache nennt er ein
       > Fantasiekonstrukt.
       
 (IMG) Bild: Seinen Lebensunterhalt verdient Dariush auf Tankschiffen, in seiner Freizeit rettet er Menschen
       
       Nachtwache auf der [1][„Mare Liberum“, einem hochseetüchtigen Kutter], der
       1917 in den Niederlanden vom Stapel gelaufen ist. Im Auftrag von Mare
       Liberum e. V. ist das Schiff derzeit in der Ägäis vor Lesbos auf
       Beobachtungsposten. Die Brücke glüht in rotem Licht, das Schiff kreiselt in
       der Strömung schwankend um seinen Anker. Hin und wieder geht Dariush nach
       draußen und blickt mit dem Feldstecher ins Dunkel. In dieser Nacht ist
       wenig los, ein auf Grund gelaufener Segler, ein vermisster Fischer, der
       Funkverkehr ist sporadisch. 
       
       Dariush: Ich hab hier ein Ohr am Funk, hoffentlich stört das nicht.
       
       taz am wochenende: Aber nein. Wie lange machst du das schon? 
       
       Mit der Seenotrettung? Das hier ist meine fünfte Mission. Dreimal war ich
       mit der „Iuventa“ und „Jugend rettet“ auf dem Mittelmeer, einmal mit der
       „Sea Watch“. Und jetzt bin ich hier mit der „Mare Liberum“.
       
       Und vorher bist du Frachter gefahren? 
       
       Um Geld zu verdienen, fahre ich Tankschiffe. Seit drei Jahren habe ich
       keinen Urlaub gehabt. Stattdessen mache ich das hier. Ich bin eigentlich
       Binnenschiffer, Hamburger Hafen, Elbe, die Kanäle in Norddeutschland,
       zurzeit vor allem Diesel. Auf NGO-Schiffen habe ich als Steuermann
       angefangen und mich dann langsam „hochgeschlafen“. Rechtlich sind das ja
       Sportboote. Selbst die „Sea Watch 3“, ein 50-Meter-Offshore-Supplier,
       eigentlich also ein großes Frachtschiff, ist als Sportboot angemeldet.
       Flüsse sind zwar nur Flüsse, aber da bin ich schon jahrelang
       180-Meter-Schiffe gefahren.
       
       Wo sind wir hier? 
       
       Östliches Mittelmeer, Ägäis, zwischen Lesbos und dem türkischen Festland.
       Wir retten, wenn nötig, schauen aber vor allem Frontex auf die Finger.
       Unser Ankerplatz ist nach Wind- und Strömungsverhältnissen so ausgesucht,
       dass hier abgetriebene Flüchtlingsboote vorbeikommen.
       
       Wodurch unterscheidet sich eine [2][Mission in der Ägäis] von einer Mission
       vor Libyen? 
       
       Die Menschen, die sich im zentralen Mittelmeer auf Boote begeben, sind in
       Seenot, sobald sie sich fünfzig oder achtzig Meter vom Strand entfernt
       haben.
       
       Ist das so? 
       
       Wenn es überladen ist, Schwangere oder Verletzte an Bord hat und nicht
       genug Treibstoff, um selbstständig den nächsten sicheren Hafen zu
       erreichen? Wenn niemand an Bord ist, der sich auskennt und das Schiff
       vernünftig steuern kann? Im zentralen Mittelmeer begegnen uns Boote, mit
       denen vielleicht 30 bis 40 Leute eine bequeme Ausfahrt machen könnten. Aber
       nicht 150.
       
       Schlauchboote sind das aber nicht … 
       
       Doch, da reden wir auch von Schlauchbooten. Es gibt verschiedene
       Kategorien. Schlauchboote, wie man sie aus Funk und Fernsehen kennt, die
       mit bis zu 150 Leuten vollständig überladen sind. Dann gibt’s Holzboote,
       Fischerboote, Beiboote, da sind dann bis zu 70 Menschen drauf. Selbst die
       sind zu voll, um eine ernsthafte Überfahrt über das Mittelmeer zu machen.
       
       Wir sind aber auch auf größere Holzboote gestoßen, da waren 600 bis 900
       Menschen an Bord. Die sind dann noch auf zwei oder drei Decks verteilt.
       Unter Deck sind welche, die sitzen im sogenannten Maschinenraum direkt
       neben dem Motor. Da steht dann das Wasser, und da ist kaum Luft drin. Dort
       findet man dann oft die Toten und Zerquetschten.
       
       Wer steigt da freiwillig ein? 
       
       Niemand, erst recht nicht in die Schlauchboote. Das sind Leute aus der
       Subsahara, die haben noch nie das Meer gesehen. Wer sich weigert, wird
       direkt am Strand erschossen. Das ist natürlich ein Motivationsschub für die
       anderen. Es gibt aber auch welche, die haben einen unerschütterlichen
       Glauben, die sagen sich: „Gott will, dass ich es sicher auf die andere
       Seite schaffe.“ Und es gibt die, die lieber auf der See sterben, als noch
       länger in den Lagern zu bleiben.
       
       Wie besorgt man so ein Boot? 
       
       Über das Internet. Auf Seiten wie alibaba.com beispielsweise bekommst du
       ein Flüchtlingsboot ab 600 Dollar. Dann besorgst du dir noch einen billigen
       Motor und Bretter, um damit den Boden ein wenig zu verstärken. Weil das
       Boot sonst sofort untergehen würde. Also werden dicke Holzböden
       eingeschraubt. Natürlich so, dass sie ins Schiff gucken, die Leute also
       noch auf den Schrauben stehen. Und dann werden sie halt losgeschickt.
       
       Nach Norden? 
       
       Genau. Sechzig Seemeilen vor der Küste gibt es eine Offshore-Anlage zur
       Förderung von Gas. Die Lichter sieht man wirklich weit, und die fahren
       natürlich in der Nacht los. Da wird den Leuten am Strand gesagt: „Dort,
       diese Lichter, das ist Italien!“
       
       Und das wäre zu schaffen. 
       
       Du siehst Lichter, so wie wir jetzt da drüben die Lichter der Türkei sehen.
       Das traut sich auch jemand zu, der keine Ahnung von Seefahrt hat und dem
       man zeigt: „Hier ist der Motor, da geht’s nach rechts, da geht’s nach
       links, so geht’s ein bisschen schneller, bis zu diesen Lichtern musst du’s
       schaffen …“. Dass sie diese Lichter schon nicht mehr sehen, wenn sie auf
       dem Meer sind und es da Wellen gibt, dass sie dann noch lange nicht auf
       Malta oder in Italien sind, das ist den Leuten nicht bewusst.
       
       Und nach einer Stunde erkennen sie, dass sie verschaukelt wurden? 
       
       Nach einer Stunde? Nee, die fahren höchstens zwei Knoten. Das heißt, nach
       fünf bis sechs Stunden sind sie gerade mal aus der Zwölfmeilenzone raus.
       Bei den Lichtern sind die dann noch lange nicht. Da brauchst du anderthalb
       Tage. Meistens haben die so gängige Motoren mit gerade mal 45 PS und nicht
       genug Benzin, um überhaupt zu dieser Offshore-Plattform zu kommen.
       
       Ein Seenotretter fährt dann in diesen Gebieten bestimmte Manöver? 
       
       In meinen ersten zwei Jahren waren wir teilweise acht NGO-Schiffe da unten.
       Da konnten wir uns das Gebiet keilförmig aufteilen. Einige Schiffe
       westlich, einige Schiffe östlich dieser Plattform. Die „Aquarius“ fährt
       dann vierzig Meilen entfernt, die „Sea Watch“ dreißig Meilen, wir fahren
       zwanzig Meilen. Und dann drehen wir ewig Kreise oder fahren gegeneinander.
       Weil die Fluchtboote so langsam sind, hat man ganz gute Chancen, das Areal
       abzudecken. Aber diese Schiffe fahren alle nicht mehr …
       
       Wie weit kann man sehen? 
       
       Mit Glück kannst du so ein Boot mit dem Fernglas auf fünf bis acht
       Kilometer entdecken. Aber das Meer ist gigantisch. Acht von zehn Booten
       werden uns vom MRCC Rom (Maritime Rescue Coordination Center Rom; Anm. d.
       Red.) gemeldet, der zuständigen Rettungsleitstelle.
       
       Was geschieht praktisch, wenn ein Boot gesichtet wird? 
       
       Der erste Griff ist der Hebel, um Vollgas zu geben. Der zweite Griff geht
       zum Telefon, um das MRCC anzurufen. Ich hatte einen Fall, der wurde uns von
       einem Frachtschiff gemeldet. Die kamen da nicht hin zu dem Boot mit 150
       Leuten, die konnten mit zwanzig Meter hohen Bordwänden einfach nichts
       machen. Als wir endlich die Stelle erreichten, konnten wir nur noch ein
       paar Stunden herumfahren und ein paar Leichen herausholen, mehr nicht. Vier
       haben wir gefunden und geborgen, der Rest war weg. Da kann keiner
       schwimmen, die haben keine Rettungswesten. Das geht irre schnell.
       
       Ihr schickt Schnellboote voraus? 
       
       Die Dinger heißen bei uns Ribs, für Rigid Inflatable Boats, das sind so
       Festrumpfschlauchboote. Die fahren hin und erst einmal in sicherem Abstand
       im Kreis. Wir schätzen ab, wie viele Leute da drauf sind und nähern uns auf
       Rufweite. Dann nehmen wir Kontakt auf und versuchen jemanden zu finden, der
       die Sprache spricht. Du weißt ja nie, wen du triffst, ob das nun Eritreer
       oder Pakistaer sind. So eine Rib ist bestenfalls mehrsprachig besetzt.
       Englisch, Französisch oder Arabisch, das reicht meistens schon. Irgendeiner
       kann das immer. Der wird dann als Kontaktperson festgesetzt. Mit dem reden
       wir.
       
       Worüber? 
       
       Weißt du, wie viele Frauen und Kinder an Bord sind? Habt ihr
       Schwerverletzte? Die werden dann sofort auf das kleine Schnellboot geholt
       und zum Schiff gebracht, weil es da ein kleines Hospital mit Arzt und einer
       Schwester gibt. Dann geben wir als erstes Rettungswesten aus. Sobald die
       150 Leute eine Rettungsweste anhaben, haben sie auch eine Überlebenschance.
       Die hatten sie bis dahin nämlich nicht. Wenn das Ding kentert, dann gehen
       die sofort unter. Oft kamen wir zu einem gekenterten Boot … kein Mensch
       mehr da.
       
       Und die Bergung von Leuten, die noch im Wasser schwimmen? 
       
       Schwer. Einmal hatten wir das Glück, einen spanischen Feuerwehrmann an Bord
       zu haben. Das war ein echtes Tier, so „Rambo“-Niveau. Der hat morgens immer
       50 Klimmzüge gemacht. Und danach noch 200 Liegestütze. Der Typ ist halt
       wirklich ins Wasser gesprungen und hat die Leute aus zwei, drei Metern
       Tiefe wieder hochgedrückt und dann auf unser Rib geworfen. Geworfen!
       Meistens hast du da Leute wie mich, so semisportliche oder auch
       unsportliche. Eigentlich bräuchte man immer einen spanischen Feuerwehrmann
       an Bord.
       
       Was passiert, nachdem die Rettungswesten ausgegeben sind? 
       
       Je nach Größe des havarierten Schiffs fährt das Rib längs und nimmt jeweils
       durchschnittlich zwölf Leute auf, die werden dann nach und nach zum
       Mutterschiff transportiert. Wir versuchen, die Leute zu beruhigen. Dazu
       brauchst du eine gute Person für den Erstkontakt. Der muss charismatisch
       sein, zugleich aber sehr bestimmt mit den Leuten reden.
       
       Und wenn das Mutterschiff noch nicht da ist? 
       
       Werfen wir eine Leine rüber und sagen: „Die müsst ihr jetzt alle
       festhalten!“ Dann wird ganz langsam das Schlauchboot zum Schiff geschleppt.
       Das geht nicht bei jedem NGO-Schiff. Die „Iuventa“ hat eine sehr flache
       Rescue Zone, wo man vom Schlauchboot aufs Schiff kommt. Da geht das. Auf
       der „Sea Watch 3“ ist das wesentlich höher und schwierig, so was zu machen.
       
       Gibt es so etwas wie Stoßzeiten? 
       
       Die gibt es. Bei der letzten Mission mit der „Iuventa“ waren wir beteiligt
       am Nach-Ramadan-Rush. Innerhalb von vier Tagen wurden damals fast 12.000
       Menschen aus dem Wasser gerettet. Da waren in einer Nacht gleichzeitig zehn
       Schlauchboote und vier Holzboote unterwegs. Wir haben die Boote mit dem Rib
       an die Seite des Schiffs gedrückt, dass sie schnell an Bord kommen.
       
       Wie sind die Menschen drauf, wenn sie gerettet wurden? 
       
       Kommt darauf an, wie lange sie an Bord waren. Meistens fahren die in Libyen
       zwischen 21 Uhr und Mitternacht los. Wenn du sie morgens um sechs findest,
       waren sie nur die ganze Nacht unterwegs. Kommt dann noch der Tag dazu,
       schutzlos in der Sonne mit einem halben Liter Wasser pro Person, dann sind
       die ziemlich fertig. Dann gibt es Boote, die sind schon seit drei, vier
       Tagen unterwegs, da haben die seit zwei Tagen nichts mehr getrunken oder
       gegessen.
       
       Die stehen dann in einer zwanzig Zentimeter hohen Lauge aus Benzin,
       Salzwasser, Pisse, Kotze, Scheiße, die ziehst du an Bord – die kippen um
       und schlafen ein. Beim letzten Einsatz mit der „Sea Watch“ hatten wir ein
       Boot, das war ziemlich leer, weil es recht wellig war, da waren auf dem
       Schlauchboot nur 50 Leute, und die waren nach etwa acht Stunden noch
       relativ fit. Die kamen an Bord und haben Freudentänze gemacht, laut
       gejubelt, lagen sich in den Armen und haben geweint – mit der Crew
       inklusive.
       
       Und Auseinandersetzungen auf dem Flüchtlingsboot selbst? 
       
       Die können gar nicht aufeinander losgehen. Die können sich gar nicht
       bewegen. Einen Fall gab es, über den berichtet wurde, bei dem 112 Leute auf
       einem Boot unterwegs waren. Mehrere Schiffe haben sie gesehen und sind
       weitergefahren. Ein Hubschrauber, vermutlich italienisch, hat Trinkwasser
       abgeworfen. Irgendwann war das Benzin alle. Und nach zwei Wochen wurden sie
       durch die Südströmung wieder zurück nach Libyen getrieben, fünfzig
       Kilometer von dem Strand bei Tripoli, wo sie losgefahren sind. Überlebt
       haben das bloß elf Leute.
       
       Warum fahren Schiffe weiter? 
       
       In jedem Frachthafen im Mittelmeer gibt es inzwischen Seelsorger für die
       Matrosen, die haben alle einen an der Klatsche. Normalerweise arbeiten
       Matrosen die ganze Zeit, die streichen oder klopfen Rost. Im Mittelmeer
       gehen die inzwischen gar nicht mehr raus.
       
       Und die Offiziere? 
       
       Die gucken eh schon nicht mehr. Da gibt es, und sei es durch die Blume, von
       Reedereien die Ansage, da nichts zu unternehmen. Kostet ja Geld. Mit Pech
       bekommst du von der MRCC noch aufgedrückt, dass du die Leute aus dem Wasser
       holen sollst. Und die meisten dieser Frachter trauen sich nicht mal, eine
       Verzögerung von zwei oder drei Stunden in Kauf zu nehmen.
       
       Aber die [3][libysche Küstenwache] … 
       
       … ist ein Fantasiekontrukt. Da hat sich einfach die stärkste Miliz der
       Gegend ein paar Uniformen schneidern lassen und an die Europäer gewendet:
       „Wenn ihr uns soundsoviel Millionen gebt, sorgen wir dafür, dass keiner
       mehr aufs Wasser geht.“ Von Italien haben sie schnelle Einsatzschiffe und
       ein großes Kriegsschiff zur Verfügung gestellt bekommen, als
       Einsatzzentrale. Letztes Mal beim Einsatz, wenn da die libysche Küstenwache
       angerufen hat, kam das mit einer italienischen Vorwahl. Ich konnte selbst
       schon auf Fotos dokumentieren, wie die an ein Flüchtlingsboot rangehen –
       und den Motor abnehmen. Der ist ja kostbar dort.
       
       Das machen die Partner von Europa am laufenden Band. Flüchtende erzählen,
       dass das im Endeffekt sogar die gleichen Leute sind. Der selbe Mensch, dem
       sie abends das Geld geben, damit er sie aufs Boot zwängt, ist dann der, bei
       dem sie am nächsten Tag mit dem Schiff wieder nach Libyen zurückgebracht
       werden. Und das dann teilweise drei-, viermal hintereinander. Die kassieren
       pro Kopf von den Leuten, dass sie sie aufs Wasser bringen. Und von Europa,
       dass sie die zurückbringen. Total gutes Geschäftsmodell.
       
       War das Geschäft schon immer so räudig? 
       
       Nein, früher war das Geschäft ein anderes. Da sind sie in Tunesien
       losgefahren, Richtung Lampedusa, mit richtigen Holzbooten und einer echten
       Chance. Als das losging, so 2010 bis 2015, waren die Boote bei Weitem nicht
       so überladen. Die hatten oft einen Schlepper an Bord.
       
       Heute ziehen [4][Schlepper ins Kalkül], dass es da NGOs gibt und dass die
       schon helfen werden? 
       
       Ich kann mir nicht vorstellen, wie Schlepper denken. Da bin ich froh
       drüber. Das ist so menschenverachtend und widerlich, das will ich mir gar
       nicht vorstellen können, wie die denken.
       
       Ich spiele auf den sogenannten Pull-Faktor an … 
       
       … den ein rechter Thinktank in den Niederlanden erfunden hat, um es so
       darzustellen, als würden wir durch unsere Präsenz die Menschen erst aufs
       Meer locken. Perfider Schwachsinn. Es geht niemand aufs Meer, weil da ein
       NGO-Schiff ist. Wir sind ja nicht hingefahren, weil wir nichts Besseres zu
       tun hatten und mal sehen wollten, ob vielleicht jemand vorbeikommt. Wir
       sind hingefahren, weil die Boote da sind.
       
       Kannst du sagen, wie vielen Menschen ihr das Leben gerettet habt? 
       
       Die „Iuventa“ war ungefähr ein Jahr lang im Einsatz und ist bis zu ihrer
       Beschlagnahmung am 2. August 2017 genau sechzehn Missionen gefahren. Sie
       allein hat geholfen, 14.000 Menschen zu retten. Bei den Missionen, an denen
       ich beteiligt war, sind es zwischen 4.000 und 5.000 gewesen. Die NGOs
       machen auch nur einen kleinen Teil, das muss man mal ehrlich sagen. 2017
       war ein heftiges Jahr, da waren es vielleicht 40 Prozent aller Rettungen,
       davor und danach etwa 20 Prozent der Rettungen auf dem Mittelmeer.
       
       Und der Rest? 
       
       Das ist Küstenwache, Frontex, Nato oder auch Handelsschiffe. Komisch, dass
       da keiner von einem „Pull-Faktor“ faselt … außer dieser neuen italienischen
       Regierung.
       
       In der Ägäis sieht es anders aus? 
       
       Ja, hier ist die Lage völlig anders. Die Entfernung zwischen der Türkei und
       Griechenland ist an der schmalsten Stelle vor Lesbos nur acht Kilometer.
       Hier schwimmen sogar Leute rüber. Kürzlich ist eine Gruppe von elf Leuten
       angekommen, von denen zwei gar nicht schwimmen konnten – die übrigen haben
       die dann auf Surfbrettern rübergeschoben. Gefährlich vor Lesbos ist die
       steile und steinige Küste. Das ist es, wo die Leute hier sterben, Steine,
       die kurz vor der Küste hängen.
       
       Ich alleine bin drei Stunden lang die Küste runtergefahren und habe fünf
       Wracks gesehen. Keine Ahnung, ob das nun betrunkene europäische Skipper
       waren oder Flüchtlinge, aber so was sieht man sonst nie. Pervers ist es
       aber in allen Seegebieten. Vor Marokko paddeln dann zwei Leute in einem
       aufgeblasenen Treckerschlauch über die Straße von Gibraltar …
       
       Wie geht ihr mit Leichen um? 
       
       Wir bergen sie, wenn das möglich ist. Andere Schiffe haben dafür Kühlräume.
       Auf der „Aquarius“ haben sie sich zuletzt extra zwei weitere Kühlcontainer
       aufs Schiff gestellt. Weil sie davon ausgingen, noch mehr Leichen als sonst
       zu finden. Wir auf der „Iuventa“ hatten nur Body Bags, diese weißen
       Leichensäcke. Es interessiert schon keinen, dass sie gestorben sind. Dann
       wollen wir der Welt und auch den Angehörigen zeigen, dass wenigstens wir
       uns für sie interessieren.
       
       31 Oct 2018
       
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