# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Der falsche Stolz
       
       > Dumm ist es, auf die eigene Herkunft stolz zu sein, ebenso, wie es dumm
       > ist, Menschen wegen ihrer Herkunft lächerlich zu machen.
       
 (IMG) Bild: Astra-Werbung in Hamburg: Für wen ist sie lustig?
       
       Ich war im Urlaub in Brandenburg, und trotz der Hitze war es dort sehr
       schön. Ich habe jeden Tag in einem türkisblauen See gebadet und liebe
       Menschen getroffen. Kurz bevor ich dorthin fuhr, habe ich gelesen, dass es
       in Brandenburg sehr rassistisch sei, ganz allgemein, und tendenziell mag es
       stimmen. Ich habe keine Statistiken studiert. Während ich dort war, musste
       ich immer wieder daran denken, was andere Leute, Leute, die zum Beispiel in
       Hamburg leben, über die Menschen in Brandenburg, oder im Osten allgemein,
       denken.
       
       Ich wohne ja selber seit über 25 Jahren in Hamburg und denke manchmal
       selber ein bisschen so, als käme auch ich nicht aus diesem Brandenburg, das
       die meiste Zeit, in der ich dort wohnte, gar nicht Brandenburg, sondern
       Bezirk Frankfurt/O. hieß.
       
       Ich traf dort also verschiedene liebe Menschen, die moralisch absolut
       integer sind, die sich mutig gegen Rassismus und jede andere Art von
       Ungerechtigkeit stellen, und ich schämte mich ein wenig. Wenn man Menschen
       nicht aufgrund ihrer Haltung, sondern aufgrund ihrer Herkunft pauschal
       verurteilt, dann ist das ja wohl Rassismus. Im Übrigen treffe ich auf diese
       Art von Rassismus auch bei Linken, die irgendwie „die Schnauze voll haben“
       und deshalb, der Einfachheit halber, zum Pauschalisieren neigen, wenn es um
       den Osten geht.
       
       Ich kam also nach Hamburg zurück und stieß in den sozialen Netzwerken auf
       die Diskussion um die Astra-Werbung, wo ein infantil grinsender Inder im
       Seejungfrauenkostüm einen Rosenverkäufer mit mangelnden Deutschkenntnissen
       nachäfft. Lustig. Und ich stand an der Bushaltestelle und dachte über diese
       ganzen Sachen nach. Und über Stolz.
       
       Stolz ist ein heißes Eisen, danach verlangt es besonders den Rechten, aber
       auch den strammen Muslimen, alle Arten von Extremisten haben richtig viel
       Bock auf Stolz, aber auch ich halte Stolz für nicht unwichtig. Aber den
       richtigen Stolz. Den, der mit der Würde verwandt ist.
       
       Den Stolz auf die eigene Arbeit, den Stolz auf das eigene Menschsein, auf
       seine Klugheit, Güte, den Stolz, der uns am Ende demütig macht, weil wir
       dankbar sind, denn beruhen alle diese Leistungen und Fähigkeiten auch auf
       einem Geschenk, auf dem Geschenk der richtigen Geburt, der Gesundheit, dem
       Leben in einer demokratischen Gesellschaft, dem Zugang zu Bildung und einem
       öffentlichen Gesundheitswesen. Wir können unsere Möglichkeiten nutzen.
       Unsere Kinder haben Chancen. Und das ist wichtig, damit sie zu Menschen mit
       Rückgrat heranwachsen können.
       
       Dumm ist es, auf die eigene Herkunft stolz zu sein, ebenso, wie es dumm
       ist, Menschen wegen ihrer Herkunft lächerlich zu machen. Es ist gemein,
       falsch und gefährlich, die Ostmenschen lächerlich zu machen, wie ich es in
       letzter Zeit verstärkt wahrnehme, weil sie aus dem Osten kommen. Die lesen
       das, die hören das, und was passiert dann? Wie sollen die sich fühlen? Wie
       sollen deren Kinder sich fühlen, wenn man sie verurteilt, bevor sie
       überhaupt eine Chance hatten, sich moralisch zu verhalten?
       
       ## Menschen sind empfindlich, wenn man sie abwertet
       
       Menschen, besonders heranwachsende, sind sehr empfindlich, wenn man sich
       über sie lustig macht, wenn man sie abwertet, wenn man sie mit Klischees
       belegt, nur weil sie aus einem Ort stammen, aus einer Region. Wie soll sich
       ein indischer Junge fühlen, ein indisches Mädchen, wenn sie diesen infantil
       grinsenden Inder im Seejungfrauenkostüm sehen? Stolz? Ist es lustig? Für
       wen? Für junge Inder? Ist es lustig, ein rassistisches Klischee zu
       bedienen, Stereotype zu bedienen? Ha, ha. Ich lache müde. Inder laufen nun
       mal rum und sagen „Wolle Rose kaufen.“ So sind Inder nun mal, oder nicht?
       Und Brandenburger sind nun mal Nazis.
       
       Und weil es so schön einfach ist: Deutsche sind wie Hitler. Deutsche fangen
       Kriege an, die sie verlieren. Deutsche tragen Lederhosen. Deutsche Frauen
       haben stramme Dekolletés. Deutsche Männer essen viele Würste. Deutsche
       können keinen Sex. Deutsche können keinen Humor. Lustig. Sehr lustig. Ich
       lach mich tot.
       
       15 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Würde
 (DIR) Schwerpunkt Ostdeutschland
 (DIR) Klischee
 (DIR) DDR
 (DIR) Schwerpunkt Ostdeutsche und Migranten
 (DIR) Lesestück Interview
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ehemalige deutsch-deutsche Grenze: Im Randgebiet
       
       Die ehemalige innerdeutsche Grenze war von beiden Seiten aus betrachtet das
       Ende der Welt: Auf normalem Wege kam man nicht durch.
       
 (DIR) Debatte Deutsche Identitäten: Phantomschmerz Ost
       
       Die DDR ist Vergangenheit. Warum die eigene Erinnerung dennoch wertvoll
       ist, wenn es um die Beurteilung aller Ostler geht.
       
 (DIR) Astra stoppt rassistische Werbekampagne: Was dagegen? Oh ja!
       
       Die Biermarke Astra hat einen Shitstorm abbekommen: User von sozialen
       Netzwerken kritisierten ein Werbeplakat als rassistisch und sexistisch.
       
 (DIR) Professorin über Identitäten: „Ostdeutsche sind auch Migranten“
       
       Ostdeutsche und Migranten erleben Stigmatisierung gleichermaßen, sagt Naika
       Foroutan. Unser Autor, in der DDR geboren, hat mit ihr diskutiert.