# taz.de -- Kommentar Urteil im NSU-Prozess: Nur der Anfang
       
       > Was muss noch Grausameres geschehen als zehn Morde, um tatsächliche
       > Aufarbeitung einzulösen? Das Urteil im NSU-Prozess darf nicht das Ende
       > sein.
       
 (IMG) Bild: Der Prozess ist nach 430 Prozesstagen erstmal zu Ende – die Aufklärung aber nicht
       
       Manchmal erkennt man Geschichte erst im Nachhinein. Diesmal ist es anders:
       Der NSU-Prozess ist [1][tatsächlich zu Ende] – nach mehr als fünf Jahren
       Verhandlung. Allein schon die Dimension ist einzigartig: ein
       Verhandlungsstoff über eine zwölf Jahre währende Terrorserie mit zehn
       Toten, im Gerichtssaal 75 Anwälte, mehr als 600 gehörte Zeugen und am Ende
       438 Prozesstage. Und nun ein Urteil mit Signalwirkung: [2][lebenslängliche
       Haft] für Beate Zschäpe und Haftstrafen bis zu zehn Jahren für die
       Mitangeklagten.
       
       Das wird in die Geschichte eingehen. Aber nicht nur ob der schieren Größe.
       Der Prozess wird auch ein Symbol bleiben, für zwei beschämende Niederlagen
       dieses Staates.
       
       Die erste war die ungebremste Radikalisierung der rechtsextremen Szene nach
       der Wende, von den Pogromen in Hoyerswerda, Rostock und Solingen bis
       schließlich zu einem selbsternannten „Nationalsozialistischen Untergrund“,
       der meinte, sich zum Richter über Leben und Tod aufschwingen zu können. Es
       war eine Entwicklung, der dieser Staat lange zusah, die er teils noch
       befeuerte.
       
       Das zweite Versagen: Wie dieses Land damals mit seinen Einwanderern umging,
       [3][es teils bis heute tut]. Auch hierfür steht der NSU-Komplex als Fanal.
       Neun Migranten wurden durch die Rechtsterroristen ermordet, Dutzende zu
       Opfern ihrer Bombenanschläge. Doch der Staat ermittelte nicht nach rechts –
       sondern verdächtige die Opfer und deren deutschtürkische Community. Nach
       dem ersten Mord, nach dem zweiten, und auch noch nach dem neunten. Immer
       und immer wieder. Stärker kann man Misstrauen, Nichtzugehörigkeit, nicht
       markieren.
       
       ## Bis heute begründete Zweifel
       
       Es sind diese zwei bitteren Lehren, die bleiben. Der Prozess selbst kann
       diese nur etwas lindern. Richter Manfred Götzl führte ihn mit Strenge, mit
       nüchterner Akkuratesse. Er arbeitete sich in Details vor, ließ den Anträgen
       der Angeklagten Raum, ging immer wieder auch auf Beate Zschäpe zu. Auch
       wenn man manches hätte beschleunigen können: Götzl gewährte dem Rechtsstaat
       die Zeit, die dieser brauchte. Das ist ein Verdienst. Und das Gegenteil
       eines Schauprozesses, wie die rechte Szene bis heute ätzt.
       
       Dennoch blieb am Ende oft nur noch eine Frage: Wie lange geht dieser
       Prozess denn noch? Dieser Tag, dieses Urteil, machen nun noch einmal
       deutlich, dass es um etwas ganz anderes geht. Um rechtsextremen Terror, der
       einen Teil der Bevölkerung aus diesem Land jagen wollte. Und um zehn
       Menschen, die deshalb völlig sinnlos sterben mussten: Enver Simsek,
       Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail
       Yaşar, Theodoros Boulgarides, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter. Der Staat
       kann darauf nur mit Härte reagieren. Er hat es getan. Zumindest für Beate
       Zschäpe. Dass einige der Mitangeklagten, vor allem der Vollblut-Nazi André
       E., glimpflich davonkommen, muss die Opfer schmerzen.
       
       Der größte Makel aber bleibt: Dass dieser Staat weiter viele Fragen zu der
       Terrorserie offen lässt, viel zu viele. Hat er wirklich ausreichend nach
       den Helfern der Terroristen gesucht? Wussten sein Geheimdienst und dessen
       V-Leute wirklich nicht mehr über das NSU-Treiben? Hätte man das Trio nicht
       doch aufspüren können – und die Morde so verhindern? An all dem gibt es bis
       heute begründeten Zweifel.
       
       Der Prozess hatte diese Fragen weitgehend ausgeklammert. Aber es gab mal
       ein Versprechen der Kanzlerin: Dieses Land werde „alles tun, um die Morde
       aufzuklären und die Helfershelfer aufzudecken“. Im Prozess aber sagten
       Ermittler aus, die nichts falsch gemacht haben wollten. Und
       Verfassungsschützer, die sich an wenig erinnern mochten – während in deren
       Ämtern NSU-Akten durch den Schredder liefen. Das Aufklärungsversprechen?
       Doch nur eine Floskel. Was muss denn noch Grausameres geschehen als zehn
       Morde, um eine tatsächliche Aufarbeitung einzulösen? Ja, was?
       
       ## Was haben wir gelernt?
       
       Es bleibt der Eindruck: Der Schock über den NSU, er ist längst verdrängt.
       Immer schriller werden in diesem Land die Ausfälle gegen Flüchtlinge und
       Muslime. Vokabeln von einer „Umvolkung“ und „raumfremden Menschen“ ziehen
       sich inzwischen bis in den Bundestag. Pegida marschiert, Flüchtlingsheime
       brannten. Hat die Gesellschaft aus dem NSU-Versagen etwas gelernt? Davon
       ist nichts mehr zu merken.
       
       Vielleicht kann dieses Urteil aber doch zu etwas Gutem führen. Wenn es als
       Mahnung verstanden wird, wohin einmal losgetretener Rassismus führen kann.
       Als Auftrag zum Innehalten. Und zu einem Auftakt zu [4][tatsächlicher
       Aufklärung] über die NSU-Verbrechen. All dies wäre dringend nötig.
       
       11 Jul 2018
       
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