# taz.de -- Gesetz gegen Holocaustleugnung: Alles über Paragraf 130 III StGB
       
       > Die Geschichte des Verbots der Holocaustleugnung ist ambivalent. Nicht
       > nur für Nazis gibt es gute Gründe, gegen ein Verbot zu sein.
       
 (IMG) Bild: Wie weit hilft das Strafgesetzbuch, Rechtsextreme zu bekämpfen?
       
       Was ist verboten? 
       
       Die Leugnung des Holocausts in Deutschland ist ein Meinungsdelikt. Mit
       Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft, „wer eine
       unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung“, womit
       Völkermord gemeint ist, „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen
       Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet
       oder verharmlost“. So steht es in Paragraf 130 Strafgesetzbuch (StGB),
       Absatz 3.
       
       Aber es gibt doch Meinungsfreiheit! 
       
       Ja, Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die Meinungsfreiheit, doch für sie
       gibt es drei Schranken. Sie kann durch „allgemeine Gesetze“,
       Jugendschutzgesetze oder das Recht der persönlichen Ehre eingeschränkt
       werden. „Allgemeine Gesetze“ sind Gesetze, die nicht eine bestimmte Meinung
       verbieten („der VfB Stuttgart ist doof“). Sie müssen meinungsneutral einem
       bestimmten Zweck dienen, nämlich ein anderes Rechtsgut schützen.
       
       Und welches Rechtsgut wird im Falle der Holocaustleugnung verletzt? 
       
       Die Würde der Opfer und ihrer Angehörigen. Sie müssen sich nicht gefallen
       lassen, dass ihr Schicksal geleugnet wird.
       
       Moment: Erst hieß es, es dürfe kein Gesetz gegen bestimmte Meinungen geben.
       Jetzt wird die Leugnung des Holocausts doch hervorgehoben. 
       
       Das stimmt, der Paragraf nennt keinen anderen Völkermord. Es gab schon in
       den 80er Jahren Debatten dazu. Abgeordnete der CSU wollten sogar das
       Vertreibungsschicksal der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten
       besonders schützen. Doch im Bundestag setzte sich die Auffassung durch, der
       Holocaust sei das singuläre Ereignis der deutschen Geschichte und damit
       Begründung für ein eigenes Gesetz. Nachdem der Paragraf 130 im Jahr 1994 um
       den Absatz 3 ergänzt worden war, in dem die Verfolgung im
       Nationalsozialismus explizit genannt wird, segnete das
       Bundesverfassungsgericht ihn ab.
       
       Jetzt geht es hier immer nur um Absatz 3. Was steht denn noch drin in
       diesem Paragrafen? 
       
       Die Holocaustleugnung ist Teil des Volksverhetzungsparagrafen. Der Paragraf
       ist sehr viel älter als der Holocaust, er stammt noch aus der Kaiserzeit.
       Damals stellte er die „Anreizung zum Klassenkampf“ unter Strafe und diente
       zur Unterdrückung von Sozialisten und Kommunisten. Die Nazis nutzten ihn
       anschließend, um Pfarrer zu verfolgen, die kritisch predigten. Paragraf 130
       StGB ist also ein ambivalenter Paragraf, der schon in unterschiedliche
       Richtungen scharf gemacht wurde. Bis in die Mitte der 1950er Jahre galt der
       Wortlaut aus der Kaiserzeit, es war Kalter Krieg und der Feind stand links.
       Die KPD wurde schon vor ihrem Verbot 1956 mit politischem Strafrecht
       verfolgt, das weit in die Meinungsfreiheit eingriff.
       
       Heißt das, in der frühen Bundesrepublik war es noch erlaubt, den Holocaust
       zu leugnen? 
       
       Nein. Überlebende der Shoah und nahe Angehörige der von Nazis Ermordeten
       konnten sich wehren, indem sie Strafantrag stellten nach Paragraf 185 StGB
       (Beleidigung) oder Paragraf 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens
       Verstorbener). Stellten aber weder Beleidigte noch nahe Angehörige
       Strafantrag, passierte nichts. 1960 wurde aus der Anreizung zum
       Klassenkampf dann der Volksverhetzungsparagraf; die Leugnung des Holocausts
       fiel darunter, sie konnte jetzt auch ohne den Antrag von Angehörigen
       verfolgt werden. In den 80er Jahren wurden die Gesetze gegen
       Volksverhetzung weiter verschärft, 1994 wurde der heutige Absatz 3 des
       Paragrafen 130 StGB eingeführt, der die öffentliche Leugnung, Billigung
       oder Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen unter Strafe stellt.
       
       Welche Aussagen sind konkret verboten? 
       
       Eine Leugnung des Holocausts: „Das ist nicht passiert.“ Eine Verharmlosung:
       „So viele waren das doch gar nicht.“ Strafbar ist auch eine Relativierung,
       indem man etwa Auschwitz mit dem „Bombenholocaust“ von Dresden vergleicht.
       Oder wenn man die Opferzahlen mit den schlechten hygienischen Verhältnissen
       in den Lagern begründet.
       
       Was ist, wenn der Holocaust im Privaten geleugnet wird? 
       
       Das Gesetz stellt nur das öffentliche Leugnen unter Strafe. Das heißt:
       Stammtisch ist noch privat, kleine Versammlung ist schon öffentlich.
       Aussagen in Medien sowieso.
       
       Wie hoch ist die Strafe? 
       
       Normalerweise werden Geldstrafen verhängt. Je nach Einkommen sind das meist
       einige Hundert Euro. Notorische Holocaustleugner saßen in Deutschland aber
       schon im Gefängnis. Neben Horst Mahler waren das zum Beispiel Ernst Zündel,
       Gary Lauck und – erst kürzlich – „Nazi-Oma“ Ursula Haverbeck. All diesen
       Leuten ist gemein, dass sie eine „qualifizierte Holocaustleugnung“
       verbreiteten. Im Unterschied zu einer „einfachen Holocaustleugnung“
       behauptet sie zusätzlich, dass Juden hinter dem Holocaust stecken, um Geld
       zu erpressen oder sonst wie die Weltherrschaft zu erlangen. Eine
       qualifizierte Holocaustleugnung ist strafverschärfend.
       
       In welchen anderen Ländern ist die Leugnung des Holocausts strafbar? 
       
       Vor allem in kontinentaleuropäischen Ländern. In der Begründung eines
       Urteils aus dem Jahr 2015 teilte der Europäische Gerichtshof für
       Menschenrechte die Gesetzgebung zur Leugnung des Holocausts in vier Gruppen
       ein: Neben Deutschland bestrafen Österreich, Belgien, Frankreich, die
       Niederlande und Rumänien nur die Leugnung des Holocausts. Auch in Israel
       wird die Leugnung des Holocausts bestraft. Eine zweite Gruppe von Staaten,
       wie Tschechien und Polen bestrafen die Leugnung nationalsozialistischer und
       kommunistischer Verbrechen. In anderen Staaten wird die Leugnung jeglicher
       Völkermorde bestraft. Zu ihnen gehören zum Beispiel Ungarn, Litauen,
       Lettland und die Schweiz. Die mögliche Haftstrafe ist in Österreich am
       höchsten: bis zu zehn Jahre.
       
       Und wo nicht? 
       
       In den Vereinigten Staaten, in denen das Recht auf freie Meinungsäußerung
       am stärksten geschützt wird. Ebenso wenig im Vereinten Königreich und in
       den skandinavischen Ländern. In Dänemark zum Beispiel erhielt der
       Privatsender Radio Oasis sogar staatliche Unterstützung, obwohl er
       rechtsextreme Propaganda sendete und Nazirock spielte.
       
       Nehmen wir an, die Holocaustleugnung wäre in Deutschland nicht explizit
       verboten. Würden andere Gesetze ausreichen? 
       
       Eigentlich schon. Man konnte Holocaustleugnung ja auch schon vor 1994 mit
       dem Tatbestand der Beleidigung oder Verunglimpfung des Andenkens
       Verstorbener bestrafen, bestimmte Fälle auch mit dem allgemeinen Teil des
       Volksverhetzungsparagrafen.
       
       Ist Paragraf 130 Absatz 3 also überholt? 
       
       Horst Meier, Autor und Jurist, schrieb in seinem Buch „Protestfreie Zonen?“
       (2012) über die zahlreichen Änderungen des Paragrafen 130 StGB: „Die
       Konjunkturen der deutschen Rechtspolitik sind schwindelerregend – zumal
       wenn sie ‚innere Sicherheit‘ und demonstrative Vergangenheitsbewältigung
       verschränken.“ Die Verschärfung der Gesetze habe die Bundesrepublik nicht
       von der „Auschwitzlüge“ befreit, es sei eine „symbolisch-rituelle
       Gesetzgebung“, „ohne praktischen Gebrauchswert“. Sie stelle die
       Meinungsfreiheit potenziell aller zur Disposition. Auch die ehemaligen
       Verfassungsrichter Winfried Hassemer und Wolfgang Hoffman-Riem erklärten,
       man brauche die Rede von der „Auschwitz-Lüge“ nicht länger unter Strafe zu
       stellen.
       
       Aber … 
       
       … anders sieht das der Rechtsextremismusexperte Hajo Funke: „Ich halte das
       Verbot der Holocaustleugnung nicht für überholt. Wir haben
       Rechtsrockkonzerte in Thüringen, auf denen Leute Sieg Heil rufen, wo Sänger
       auftreten, die offen den Holocaust leugnen. Das Grundgesetz ist als Antwort
       auf den Nationalsozialismus entstanden. Wir haben eine spezifisch
       kulturelle Geschichte. Deswegen plädiere ich dafür, am Verbot
       festzuhalten.“
       
       3 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Daum
       
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