# taz.de -- Neuer Film von Ben Wheatley: Das große Schießen
       
       > Der Gangsterfilm „Free Fire“ schwelgt in den siebziger Jahren. Der
       > makabre Hedonismus des Regisseurs macht Lust auf mehr.
       
 (IMG) Bild: Szene aus Wheatleys „Free Fire“
       
       Wie in früheren Filmen etabliert der britische Regisseur Ben Wheatley auch
       in seinem neusten Film „Free Fire“ schon in den ersten Einstellungen den
       Referenzrahmen: Die Luftaufnahmen eines nächtlichen Highways in Boston –
       der Beton und Asphalt wird durch das Licht der Strahlenlaternen und
       Autoscheinwerfer in warme, gelb-grünliche Farben getönt – nähern sich
       zunehmend einem weißen Lieferwagen.
       
       In dem Lieferwagen sitzen Bernie und Stevo – zwei Möchtegerns, die
       geradewegs einem Genrefilm der 70er Jahre entstiegen zu sein scheinen. Eben
       darum geht es in „Free Fire“: ein Genrefilm, schwelgend im Look der 1970er
       Jahre, dessen Handlung rund um einen entglittenen Waffendeal arrangiert
       ist.
       
       Mit leichter Verspätung schaffen es Bernie und Stevo zum Treffpunkt mit den
       beiden IRA-Leuten Frank und Chris. Mit ihnen im Auto sitzt Justine, die die
       beiden mit dem Waffenhändler und Egomonster Vern zusammengebracht hat.
       Einige Minuten später nähert sich ein Mann mit Hipstervollbart,
       Rollkragenpullover und türkisblauem Sakko der Gruppe – Ord, Verns
       Bodyguard.
       
       Das Treffen in einer alten Fabrik ist vom ersten Moment an aufgeladen. Da
       ist der egomane Vern, der den selbstsicheren Iren Chris nicht abkann, ihm
       aber zugleich andere Waffen als die bestellten verkaufen will, um die
       eigentlich zugesagten M16-Sturmgewehre an Libyer zu verkaufen und doppelt
       zu kassieren. Als die Iren dem Handel schließlich unwillig zustimmen, rollt
       auf Verns Signal per Funk ein roter Lieferwagen in die Fabrikhalle, die
       sich zu den Klängen des Autoradios in einem magischen Moment mit der
       sanften Stimme John Denvers füllt: „You fill up my senses / Like a night in
       a forest / Like a mountain in springtime / Like a walk in the rain …“
       
       Dann kippt der Deal: Der Fahrer des Wagens entpuppt sich als der Bruder
       jener jungen Frau, der Stevo am Abend zuvor eine Flasche über den Kopf
       gezogen hat. Für einige Momente scheint es noch so, als würden beide Seiten
       sie davon abhalten können, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, bis
       Harry, der Fahrer des Wagens, eine Waffe zieht und auf Stevo schießt.
       Innerhalb von Minuten wandelt sich die Situation und alle Beteiligten. Sie
       verschanzen sich, so gut es geht und schießen um sich.
       
       ## „Free Fire“ wirkt leicht tarantinoisiert
       
       Wie frühere Filme von Ben Wheatley ist auch „Free Fire“ wohltuend
       durchzogen von den Obsessionen des Regisseurs, in denen sich Genreelemente
       wie die Vorliebe für Blut und Körperlichkeit mit Elementen von
       Autorenfilmen wie der wiederkehrenden Wahl laborartiger Settings und großer
       Detailverliebtheit verbinden. Wie in Wheatleys vorangegangenem Film „High
       Rise“, der das Scheitern des funktionalen Bauens als Scheitern einer
       Vorstellung von Gesellschaft in eine blutige Satire übersetzte,
       unterstreicht die Wiederkehr eines Songs (hier „Annie’s Song“ von John
       Denver) die Eskalation der Handlung.
       
       Und wie bei fast allen Filmen hat Wheatley auch dieses Mal das Drehbuch
       zusammen mit seiner Frau Amy Jump verfasst. Neu ist der Produktionskontext:
       „Free Fire“ ist der erste Film Wheatleys, der in Amerika entstand, mit
       Martin Scorsese als ausführendem Produzenten. Gegenüber Wheatleys
       bisherigen Filmen wirkt „Free Fire“ dadurch leicht tarantinoisiert.
       
       Die Vorliebe für die 1970er Jahre, die in Wheatleys letztem Film „High
       Rise“ wie eine zeitlose Stilisierung wirkte, kippt in „Free Fire“ ins
       leicht Manieristische. Anders als Tarantino verweist Wheatley nicht auf
       konkrete Filme, Autoren oder Produktionszusammenhänge, sondern allgemein
       auf einen filmischen Stil und eine Härte der Inszenierung, die sich mit den
       Genreproduktionen der 1970er Jahre verbinden.
       
       Auf der Habenseite ist zu verbuchen, dass sich die konsequente gradlinige
       Dramaturgie von „Free Fire“ – in den Twists der Handlung ist Wheatleys
       Fernseherfahrung deutlich erkennbar – wohltuend vom verquasten
       Hollywoodkino der Gegenwart abhebt. Die Reduktion der Handlung auf einige
       wenige Charaktere und nur einen Hauptschauplatz erinnert an die
       Großstadtkriminalitätsfilme der 1970er Jahre – einem Subgenre, zu dem
       Martin Scorsese einige wichtige Filme beigetragen hat wie „Mean Streets“
       (Hexenkessel) oder „Taxi Driver“.
       
       „Free Fire“ markiert einen Scheideweg in Wheatleys Werk, was mit den
       veränderten Produktionsbedingungen zusammenhängt. Ob Wheatleys Filme von
       diesen profitieren, wird davon abhängen, ob sie dem Ballast der
       Produktionslogiken, des Starsystems und der aktuellen Vermarktbarkeit von
       Retroschlonz anheimfallen oder sich gegen diese Widerstände die
       Idiosynkrasien bewahren, die seine Filme bisher prägten. Der makabere
       Hedonismus, der „Free Fire“ durchzieht, ist jedenfalls ansteckend und macht
       Lust auf mehr solche Filme.
       
       6 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Tietke
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Neu im Kino
 (DIR) Quentin Tarantino
 (DIR) 70er
 (DIR) Actionfilm
 (DIR) Schwerpunkt Berlinale
 (DIR) Apfel
 (DIR) Theater
 (DIR) Los Angeles
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Actionfilm „Baby Driver“: Reifen quietschen im Rhythmus
       
       Edgar Wrights Spielfilm „Baby Driver“ überzeugt mit einer präzisen
       Verquickung von Soundtrack, Rhythmus und Action.
       
 (DIR) „Tiger Girl“ auf der Berlinale: Frauen, die hauen
       
       In „Tiger Girl“ ziehen zwei Frauen prügelnd durch Berlin. Einfach so, weil
       sie es können – der Regisseur verzichtet auf jede Psychologisierung.
       
 (DIR) Symbolik des Apfels im Film: Zwischenmahlzeit der Zwielichtigen
       
       Bösewichte in Filmen und Serien essen Äpfel, dass es nur so spritzt und
       kracht. Aber warum? Beim Schurkenapfel geht es um die Symbolik.
       
 (DIR) Theatermacher Paul Grootboom: Die Fragen nach Schwarz und Weiß
       
       Tarantino der Townships wird Paul Grootboom genannt. Der südafrikanische
       Dramatiker macht die Konflikte in der Post-Apartheid-Gesellschaft sichtbar.
       
 (DIR) Transgender-Komödie „Tangerine L.A.“: Stolz und Sprachwitz in Los Angeles
       
       Sean Baker lässt Trans*-Menschen vom Straßenstrich in Los Angeles erzählen:
       humorvoll, schnell und mit minimalem technischem Aufwand.