# taz.de -- „B.Z.“-Chefredakteurin über Boulevard: „Auch ohne Haudraufmentalität“
       
       > Haltung sei wichtig, weniger die politische Richtung, findet Miriam
       > Krekel, die neue „B.Z.“-Chefredakteurin. Ein Gespräch über Inhalte,
       > Klischees und Chancen.
       
 (IMG) Bild: Fing als Polizeireporterin an: Melanie Krekel
       
       taz.am wochenende: Frau Krekel, Sie sind Chefredakteurin der B.Z., einer
       Boulevardzeitung, die zuletzt öfter mit linken Themen aufgefallen ist –
       feministisch, antirassistisch, pro Homo. Der Springer-Verlag gilt als
       konservativ. Wie passt das zusammen?
       
       Miriam Krekel: Was Sie ansprechen, sind keine rein linken Themen mehr,
       Feminismus und Antirassismus sind längst in der Mitte der Gesellschaft
       angekommen. Eine breitere Masse identifiziert sich inzwischen damit. Berlin
       ist ohnehin eine liberale Stadt. Grundsätzlich entsteht unsere
       Themenauswahl aus einer blattmacherischen Logik, indem wir uns über
       konkrete Themen unterhalten und weniger über politische Ausrichtungen.
       
       Die B.Z. wird also auch unter Ihnen keine linke Zeitung? 
       
       Nein. Es gibt auch überhaupt keinen Grund, sich in eine politische Richtung
       zu orientieren. Man kann Haltung zeigen oder Meinungen stark machen, ohne
       dass man sich als explizit rechts oder links begreift.
       
       Boulevard simplifiziert und emotionalisiert. Nach der Kölner Silvesternacht
       aber hat die B.Z. die Aufregung kritisch hinterfragt. Das kann die B.Z.
       ihren LeserInnen zumuten?
       
       Emotionen wecken wir alle. Dass aber Fakten und deren Überprüfung wichtiger
       denn je sind – das wird bei Bild im Übrigen genauso gesehen –, gehört zur
       aktuellen politischen Debatte. Je mehr Angriffsfläche wir durch
       Falschnachrichten bieten, desto weniger erreichen wir das Ziel, extremen
       Lagern entgegenzuwirken.
       
       Das zeigt auch die Bild-Geschichte über den Sexmob in Frankfurt, die
       offenbar unsauber recherchiert war. Wo sehen Sie ethische und qualitative
       Grenzen des Boulevards? 
       
       Wenn Fehler passieren, stehen wir dazu. Bild hat sich für diesen Fall
       entschuldigt. Dabei hat jede journalistische Marke ihren eigenen Weg, um
       Qualität sicherzustellen und mit den Lesern in Austausch zu treten. So hat
       Bild kürzlich mit Ernst Elitz in der Position des Ombudsmannes einen
       Ansprechpartner geschaffen, den Leser kontaktieren können, wenn sie ihre
       politische Ansicht oder eine Debatte falsch oder verzerrt dargestellt
       finden, Zweifel an Fakten oder Fragen zur Quellenlage haben.
       
       Im Kern geht es doch um die Frage: Wie sehr vertrauen uns die Leser, in
       komplizierten Zeiten zu informieren. Dabei müssen wir uns auf unsere
       Quellenlage verlassen und auf unsere Reporter, die mit Sorgfalt an
       Geschichten herangehen und auch mit einem ethischen Kompass.
       
       Worin besteht der? Nach schlimmen Ereignissen lässt der Boulevard Menschen
       – überspitzt gesagt – einmal ins Blatt weinen. Sogenanntes Witwenschütteln. 
       
       Na, jetzt schütteln Sie aber gerade mich mit alten Klischees. Der Boulevard
       hat sich insgesamt sehr gewandelt. Ich habe als Polizeireporterin
       angefangen und hatte schon damals oft mit Menschen zu tun, die schlimme
       Dinge erlebt haben. Wenn jemand bereit ist, seine Geschichte zu erzählen,
       wenn ihm möglicherweise sogar daran gelegen ist, sie zu erzählen, dann
       bringen wir diese Geschichten. Von unserer Redaktion wird niemand jemanden
       nötigen, etwas zu tun, das er nicht will.
       
       Im Fall des Politikers Claus-Brunner, der sich und einen Kollegen getötet
       hatte, hat die B.Z. suggeriert, dass es zu sexuellem Missbrauch gekommen
       sei – eine Behauptung, die die Staatsanwaltschaft umgehend dementierte. Ist
       da keine Grenze überschritten? 
       
       Das war eine typische Geschichte, wie sich eine Berichterstattung unnötig
       überschlagen kann. Zuerst haben sich alle Medien und Politiker betroffen
       gezeigt, bis plötzlich der ganze tragische Umfang dieses schrecklichen
       Ereignisses bekannt wurde. Entsprechend schnell entwickelten sich vor dem
       Hintergrund der Szene des Täters in diesem Fall leider auch die
       Spekulationen. Insbesondere im Hinblick auf das Opfer würden wir heute
       vorsichtiger darüber berichten.
       
       Was macht kritischen Boulevardjournalismus aus? 
       
       Man kann Boulevard auch ohne Haudraufmentalität machen. Und man sollte dem
       Leser auch zutrauen, Dinge zu verstehen, die nicht plakativ in drei Worten
       gesagt werden können. Zu unserer BER-Titelseite der vorletzten Woche
       schrieben uns auf Facebook Menschen, Lieschen Müller verstehe so etwas doch
       nicht. Ein anderer Nutzer reagierte darauf und schrieb den großartigen
       Satz: „Warum unterschätzen wir eigentlich alle immer Lieschen Müller.“ Das
       trifft’s. Was ich schlimm finde, ist, zu orakeln, wie der Leser gerne etwas
       hätte und wie wir es ihm aufbereiten sollten.
       
       Die B.Z. hat in den letzten Jahrzehnten zwei Drittel ihrer Auflage
       eingebüßt. Soll die Auflage gehalten werden? 
       
       Ich nehme mir vor, mit der Art von Journalismus, wie wir ihn gerade
       betreiben, auch neue Leser zu gewinnen. Menschen, die sich sonst nicht als
       Boulevardleser oder jedenfalls nicht als B.Z.-Leser gesehen hätten und
       jetzt sagen: Den Titel finde ich so witzig oder berührend, den kaufe ich
       mir. Daher ist es in jedem Fall richtig, mal etwas anders zu machen.
       
       Wer sollen diese neue LeserInnen sein? 
       
       Wir wollen gar nicht eine genaue Zielgruppe festlegen. Wir wollen einfach
       etwas merklich anders machen. Unerwarteter.
       
       Wie soll denn „anders, neu, mutiger“ unter Miriam Krekel konkret aussehen? 
       
       Inhaltlich sind wir schon jetzt jeden Tag anders, neu und mutiger. In
       diesem Sinne möchte ich den Kurs von Peter Huth fortsetzen und
       weiterentwickeln.
       
       Vier Wochen vor dem Mutterschutz Chefin werden ist ungewöhnlich. Wie haben
       Sie das praktisch geregelt? 
       
       Mein Stellvertreter Jorin Verges wird für die Redaktion da sein. Sicher
       werde ich mit ihm in Kontakt stehen. Zunächst muss ich sehen, was es für
       ein Kind wird. Mein erstes hat sehr schnell gut durchgeschlafen, in dem
       Fall könnte ich bald wieder einsteigen. Ich habe aber die Möglichkeit,
       selber zu entscheiden, in welchem Rahmen und Zeitraum ich das hinbekomme.
       
       Was würden Sie einer Kollegin raten, die unsicher ist, ob sie sich um eine
       Führungsposition bewerben soll, weil sie bald eine Familie gründen möchte? 
       
       Wenn sie sich für die Familie und gegen eine Führungsposition entscheidet,
       dann ist das erst mal ihr gutes Recht. Ich würde aber immer sagen: Guck dir
       mich an, guck dir andere Kolleginnen an, bei denen es funktioniert hat –
       und vielleicht unterhalten wir uns dann noch mal darüber, wie es gehen
       kann. Ich glaube, dass inzwischen alles möglich ist. Und das sehe nicht nur
       ich, das sehen auch männliche Chefs bei Axel Springer so.
       
       12 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Weissenburger
       
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