# taz.de -- Martin Schulz’ politische Karriere: Der Europäer auf Abruf
       
       > Er startete als Provinzpolitiker. Seine Karriere in Brüssel beendete
       > Martin Schulz als machtbewusster Präsident des Europäischen Parlaments.
       
 (IMG) Bild: Immer nah am roten Teppich und den Mikrofonen: Martin Schulz beim EU-Gipfel im April 2015
       
       Brüssel taz | Der Abschied aus Brüssel ist ihm nicht leicht gefallen. Aber
       er war typisch für Martin Schulz. Nicht wie gewöhnliche Abgeordnete im
       Pressesaal des Europaparlaments, sondern auf dem Podium für hohe
       Staatsgäste verkündete Schulz im letzten November seinen Abschied von der
       europäischen Bühne.
       
       Auf Deutsch, Englisch und Französisch trug der Präsident sein „Adieu“ vor –
       damit es auch alle Europäer mitbekommen. Es war eine Inszenierung, die
       nicht bloß einen Ortswechsel, sondern das Ende einer Ära markieren sollte.
       
       22 Jahre lang hat sich der heute 61-Jährige für die EU ins Zeug gelegt,
       fünf Jahre hat er die Straßburger Kammer geführt. „Mehr Sichtbarkeit und
       mehr Glaubwürdigkeit“ – das sind die Stichworte, mit denen Schulz seine
       Leistung an der Spitze der Volksvertretung beschreibt.
       
       Ein wenig Stolz klingt da mit, aber auch eine gehörige Portion Wehmut.
       
       Schließlich war es hier, wo sich Schulz seine Statur erarbeitet hat – und
       nicht in Berlin, wo er nun für die SPD die Kanzlerin herausfordert. Schulz
       ist Deutschlands bekanntester Europapolitiker, bundespolitisch ist er ein
       Anfänger.
       
       ## Als Hinterbänkler gestartet
       
       Von all dem war nichts zu ahnen, als Schulz 1994 zum ersten Mal ins
       Europaparlament gewählt wurde. Als Hinterbänkler ist er gestartet –
       politische Erfahrung hatte er zuvor nur als Bürgermeister der Kleinstadt
       Würselen bei Aachen gesammelt.
       
       Eigentlich wollte er kein Politiker werden, sondern Fußballprofi. Doch das
       klappte nicht und der junge Schulz tröstete sich im Alkohol. Schulz:
       „Irgendwann sagte ich mir: Entweder mache ich einen radikalen Schnitt oder
       ich gehe kaputt. Ich wollte mein Leben nicht wegwerfen: Mit 27 hatte ich
       dann meine eigene Buchhandlung, von da an ging’s bergauf“.
       
       In Straßburg stieg der Genosse aus der Provinz schnell zum Fraktionschef
       der Sozialdemokraten auf. Vor allem sein lockeres Mundwerk und seine
       kumpelhafte Art machten ihn bekannt und beliebt. International war er aber
       immer noch ein Nobody – bis 2003, als Silvio Berlusconi kam.
       
       Der italienische Ministerpräsident hielt eine Rede im Parlament und wurde
       von Schulz unterbrochen. Da platzte Berlusconi der Kragen: „In Italien wird
       gerade ein Film über die Nazi-Konzentrationslager gedreht, ich schlage Sie
       für die Rolle des Lagerchefs vor“, fuhr er Schulz an.
       
       Der Eklat war perfekt, die Attacke machte weltweit Schlagzeilen. Seitdem
       ist Schulz ein Star. Doch hat er sich erst später, 2012, selbst erfunden.
       Da wurde er zum ersten Mal zum Präsidenten des Parlaments gewählt.
       
       Schulz versprach, die Straßburger Kammer zu einem Ort der „demokratischen
       Debatte“ zu machen. Bisher dämmerte sie vor sich hin, nun wurde es richtig
       munter.
       
       Allerdings weniger für die Abgeordneten, umso mehr aber für ihren neuen
       Präsidenten. Schulz lud sich selbst zu den EU-Gipfeln ein und präsentierte
       sich so, als stehe er selbst einem Staat vor – der Europäischen Union.
       
       ## „Türsteher der Großen Koalition“
       
       Bei der Europawahl 2014 landete Schulz dann seinen größten Coup: Er
       übernahm das bisher auf EU-Ebene völlig unbekannte Konzept des
       „Spitzenkandidaten“ – und ließ sich selbst zum ersten Frontrunner der
       Sozialdemokraten küren.
       
       Das handelte ihm Hohn und Spott ein, zeigte aber Wirkung: Auch die
       konservative Europäische Volkspartei – in der CDU und CSU mitarbeiten –
       nominierte einen Spitzenkandidaten. Dass die Wahl auf Jean-Claude Juncker
       fiel, war Pech für Schulz, aber irgendwie auch ein Glücksfall.
       
       Denn die beiden kannten und verstanden sich gut. Fortan konnten sie
       gemeinsam zur besten Fernsehsendezeit um die Gunst der Wähler streiten.
       Wobei der Streit eher langweilig ausfiel – in den meisten Fragen waren sich
       Schulz und Juncker schon damals einig, nach dem lahmen „Duell“ lagen sie
       sich in den Armen.
       
       Die Nähe nutzte allerdings vor allem dem Christsozialen Juncker. Bei der
       Europawahl 2014 fuhr Schulz’ „Progressive Allianz der Sozialisten und
       Demokraten“ (S&D) mit 25,4 Prozent ein miserables Ergebnis ein. Die
       Fraktion verlor vier Sitze, Populisten und Nationalisten legten massiv zu.
       
       Die Schulz-Show hatte nicht verfangen, Juncker wurde zum neuen Präsidenten
       der EU-Kommission gewählt. Danach wurde es eine Zeit lang still um den
       ehemaligen Buchhändler. Wenn schon nicht Kommissionschef, so wollte er nun
       wenigstens EU-Kommissar werden – doch Merkel sagte Nein. Dem SPD-Mann blieb
       nichts anderes übrig, als erneut das EU-Parlament zu übernehmen.
       
       Wieder kungelte er mit den Schwarzen, um seine Wiederwahl zu sichern.
       Schulz habe sich als „Türsteher der Großen Koalition“ verstanden, schimpfte
       Fabio de Masi, Finanzexperte der Linken im Europaparlament. Der SPD-Mann
       habe dafür gesorgt, dass zwischen der Großen Koalition in Berlin und der
       heimlichen Allianz in Brüssel alles wie geschmiert lief.
       
       Für Ärger sorgte auch die „G 5“, die Schulz mit Juncker aus der Taufe hob.
       Bis ins Detail wurden in dieser fünfköpfigen Kungelrunde in einem feinen
       Brüsseler Restaurant europäische Initiativen abgesprochen.
       
       ## Mit Macht, ohne Handschrift
       
       Unter Schulz’ Ägide zogen Brüssel, Berlin und Straßburg an einem Strang.
       Doch Grüne und Linke, die nicht in die Große Koalition eingebunden waren,
       hatten dabei nichts zu lachen.
       
       Selbst die Sozialdemokraten mussten zurückstecken. Unter der Führung ihres
       machtbewussten Genossen konnten sie kaum eigene Akzente setzen. Im
       Schuldendrama um Griechenland 2015 ging die sozialdemokratische Handschrift
       völlig unter.
       
       Im Wahlkampf hatte die SPD noch einen „Marshallplan für Griechenland“
       gefordert. Nun trat Schulz in deutschen Talkshows auf und forderte,
       Premierminister Alexis Tsipras zu entmachten und eine
       Technokratenregierung einzusetzen.
       
       Hinterher lud Schulz Tsipras zwar zur Aussprache ein. Doch der Bruch mit
       der Linken ist bis heute nicht gekittet. Profitiert hat davon ausgerechnet
       die EU-feindliche Rechte. Nigel Farage und Marine Le Pen haben das
       Parlament als Bühne genutzt – und einen Erfolg nach dem anderen
       eingefahren.
       
       Genau das hat Schulz eigentlich verhindern wollen. Und dass am Ende auch
       noch ausgerechnet mit dem Italiener Antonio Tajani ein Berlusconi-Buddy
       seine Nachfolge antritt, dürfte ihn zusätzlich wurmen.
       
       Tajani wurde mit den Stimmen von Konservativen, Liberalen und EU-Skeptikern
       zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt. Die Sozialdemokraten finden sich
       nach Schulz’ Abgang allein und machtlos wieder. Ein bitteres Erbe.
       
       25 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
       
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