# taz.de -- Europäische Union und Rechtspopulismus: Ein Kontinent auf Tauchstation
       
       > Die Furcht vor einem Durchmarsch der Rechtspopulisten lässt die
       > europäischen Politiker verstummen. 2017 könnte zum Annus horribilis
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Wie er es macht, macht er es falsch. Deswegen ist Kommissionspräsident Juncker erstmal abgetaucht
       
       Brüssel taz | Jean-Claude Juncker wollte ein wenig Hoffnung verbreiten.
       „Nein, Marine Le Pen wird nicht die nächste Präsidentin Frankreichs“, sagte
       der Chef der EU-Kommission in einem Interview. „Nein, die Wahlen in
       Italien, Frankreich und Deutschland bedrohen nicht die Zukunft Europas“,
       fügte er hinzu.
       
       Nicht die Bürger seien das Problem, sondern die Populisten, die Stimmung
       gegen Europa machen, betonte der Luxemburger. Doch seine Worte verfehlten
       die erhoffte Wirkung. Denn Juncker wandte sich auch gegen ein
       EU-Referendum, wie es nach einem Wahlsieg des Rechtspopulisten Norbert
       Hofer in Österreich denkbar wäre.
       
       „Wir haben schon mehr als genug Kontroversen, das brauchen wir nicht auch
       noch“, warnte Juncker. Prompt fielen die europafeindlichen britischen
       Medien über ihn her. Sogar das rechtsradikale Online-Magazin Breitbart aus
       den USA schlachtete Junckers Warnung aus. „Nicht gewählter EU-Präse ordnet
       Verbot von EU-Referenden an“, titelte das [1][Kampforgan der Trump-Fans].
       
       Was auch immer Juncker zum Vormarsch der Nationalisten und Populisten sagt
       – er kann es niemandem recht machen. Wenn er vor einem Sieg der EU-Gegner
       warnt, heißt es, dass die EU-Kommission schon vor Angst zittere. Wenn er
       von Volksabstimmungen abrät, heißt es, er sei ein Feind der Demokratie.
       Juncker hat daraus seine Schlüsse gezogen – und ist in der Versenkung
       verschwunden.
       
       ## „Kommission der letzten Chance“
       
       Die meisten EU-Politiker sind auf Tauchstation gegangen. Kurz vor dem
       Wahlsonntag in [2][Österreich] und [3][Italien], der ein doppeltes Debakel
       für die EU-Anhänger bringen könnte, herrscht in Brüssel ein vielsagendes
       Schweigen.
       
       Dabei wissen natürlich alle, dass die Lage ernst ist, sehr ernst sogar.
       Schon bei seiner Amtseinführung im Herbst 2014 sprach Juncker von seiner
       „Kommission der letzten Chance“. Schon nach dem Brexit-Votum im Sommer
       schworen die EU-Politiker, es dürfe kein „Weiter so“ geben. Aber es ging
       weiter so, bis heute.
       
       Vor allem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verhinderte einen Neustart. Sie
       bremste die Brexit-Verhandlungen aus und setzte durch, dass die
       verbleibenden 27 EU-Mitglieder keine weitreichenden Beschlüsse fassen, die
       der EU ein neues Gesicht geben. Damit ist auch jetzt nicht zu rechnen.
       
       Erst im März, beim Sondergipfel zum 60. Jahrestag der europäischen Verträge
       in Rom, will die EU erste Reformen einleiten. Allerdings sind diese bisher
       nur als Reaktion auf den Brexit gedacht – und nicht auf einen möglichen
       Vormarsch der FPÖ in Österreich oder der Fünfsternebewegung in Italien.
       
       ## Zu hoch gepokert
       
       Nicht einmal das Europaparlament hat einen Plan B. Zwar hatten die
       Europaabgeordneten nach dem Brexit-Votum einen Konvent gefordert, manche
       wollten die EU so schnell wie möglich neu gründen. Doch daraus wurde
       nichts, Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs verhindertes
       das. Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) nahm es schweigend hin.
       
       Selbst überzeugte Europäer wie der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf
       Lambsdorff wirken ratlos. Man solle die Wahl in Österreich „nicht
       überhöhen“, schließlich sei der Bundespräsident doch für Brüssel nicht so
       wichtig, sagt er. Und was ist mit Italien? „Das beunruhigt mich schon ein
       bisschen“, sagte Lambsdorff. Premierminister Matteo Renzi habe zu hoch
       gepokert.
       
       Doch was passiert, wenn Renzi verliert und der Euro abschmiert – aus Angst,
       dass Italien unregierbar wird? Darauf weiß nicht einmal Eurogruppenchef
       Jeroen Dijsselbloem eine Antwort. Jedenfalls werde man dann nicht die
       Budgetdisziplin lockern, kündigte Dijsselbloem an. Es klang wie Pfeifen in
       dunklem Wald. Denn mit Disziplin allein wird man diese Krise nicht lösen.
       
       30 Nov 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5357042/
 (DIR) [2] /Wahlkampf-in-Oesterreich/!5358841/
 (DIR) [3] /Referendum-in-Italien/!5357318/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jean-Claude Juncker
 (DIR) Europäische Union
 (DIR) Rechtspopulismus
 (DIR) Norbert Hofer
 (DIR) Marine Le Pen
 (DIR) PVV
 (DIR) Film
 (DIR) Europa
 (DIR) Lesestück Interview
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Italien
 (DIR) Matteo Renzi
 (DIR) Europa
 (DIR) Rechtspopulisten
 (DIR) Italien
 (DIR) Bundespräsident Österreich
 (DIR) Schwerpunkt TTIP
 (DIR) Vereinte Nationen
 (DIR) Rechtspopulismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Essay zur Zukunft der EU: Der Europäische Frühling ist nah
       
       Die EU ist wieder beliebter – nicht trotz, sondern wegen Brexit und Trump.
       Und ein neuer Hoffnungsträger ist aufgetaucht.
       
 (DIR) Stummfilm über Judenverfolgung: Aus der Dystopie lernen
       
       Der Film „Stadt ohne Juden“ war lange nur in Teilen vorhanden. Nun wird der
       „Most Wanted of Austrias Silent“ gerettet.
       
 (DIR) Nachfolger für Martin Schulz: Europas Konservative greifen ins Klo
       
       Die EVP nominiert den Berlusconi-Adlatus Antonio Tajani als designierten
       Präsidenten des Parlaments. Sozialisten, Grüne und Linke sind dagegen.
       
 (DIR) Expertin über sprachliche Manipulation: „Finger weg vom AfD-Wording!“
       
       Rechtspopulisten sind Meister des Framings: Trump und die AfD setzen auf
       emotionale Geschichten, nicht auf Fakten. Elisabeth Wehling erklärt, wie
       das geht.
       
 (DIR) Vor der Wahl in Frankreich: Postenwechsel in Paris
       
       Cazeneuve ersetzt Valls als Regierungschef. Der will Frankreichs Linke vor
       dem Debakel retten. Für viele aber verkörpert er die Politik Hollandes.
       
 (DIR) Kommentar Referendum in Italien: Calmatevi!
       
       Das Votum der Italiener ist kein Sieg der Populisten und keine Absage an
       die Demokratie. Wer vor Europas Untergang warnt, macht Panik.
       
 (DIR) Nach Verfassungsreferendum in Italien: Matteo Renzi tritt zurück
       
       Nur etwa 40 Prozent stimmten für die Reformpläne des Ministerpräsidenten.
       Für Italien und die EU bedeutet das Instablität. Fünf Sterne wollen
       Neuwahlen.
       
 (DIR) Demokratie in Europa: Druck von rechts
       
       Nicht weniger als die politische Einigung Europas steht 2017 auf dem Spiel.
       Ein Überblick von Rom bis Berlin.
       
 (DIR) Kommentar zu verzagten Demokraten: Fürchtet euch nicht!
       
       Hofer? Puh. Le Pen? Oh Gott! Wir sollten damit aufhören, die Teufel an die
       Wand zu malen. Das motiviert nur die Falschen.
       
 (DIR) Referendum in Italien: Spiel mit der Apokalypse
       
       Italien steht kurz vor der Verfassungsreform: Für Ministerpräsident Renzi
       geht es um alles oder nichts. Die Ablehnung scheint zu überwiegen.
       
 (DIR) Wahlkampf in Österreich: Trumps Geist in Wien
       
       Es ist das erste TV-Duell des zweiten Wahlkampfes zwischen Hofer und Van
       der Bellen. Der US-Triumph der Rechten schwingt mit.
       
 (DIR) Die EU nach dem Sieg Trumps: Großalarm in Brüssel
       
       Trumps Triumph ist für die EU ein Schock. Sie will den Republikaner auf
       gemeinsame Werte verpflichten, so schnell wie möglich – doch wie?
       
 (DIR) Kommentar Rechtspopulismus: Europa, der hässliche Kontinent
       
       Den jordanischen UN-Hochkommissar für Menschenrechte gruselt es wegen der
       Rechtspopulisten in Europa. Kann man es ihm verdenken?
       
 (DIR) Debatte Rechtspopulismus: Sie müssen gar nicht regieren
       
       Von Frankreich bis Polen, von Österreich bis Schweden: Längst haben die
       großen Volksparteien rechtsextreme Themen übernommen.