# taz.de -- Flucht und Asyl: Bereit für ein neues Leben
       
       > Nouralla Sharro aus Syrien wartet seit über einem Jahr auf die
       > Entscheidung, ob er Asyl bekommt. Die Angst und das erzwungene Nichtstun
       > machen ihn mürbe.
       
 (IMG) Bild: Zwei Syrer, die endlich „richtig“ ankommen wollen in Berlin: Nouralla Sharro (r.) und Abdulhalim Atta
       
       Manchmal fällt Nouralla Sharro in ein tiefes Loch. Zu verzweifelt und
       aussichtslos scheint dem Syrer seine Lage. Wozu aufstehen, wenn er nichts
       tun kann außer warten? Wozu weiter Deutsch büffeln, wozu sich abmühen, wenn
       das alles wohl nichts nützen wird?
       
       Seit August 2015 lebt der 34-Jährige, der in seiner Heimatstadt Kamischli
       Französischlehrer war, in der Notunterkunft Colditzstraße in Tempelhof. Er
       führt die Journalistin in den vierten Stock des ehemaligen Bürogebäudes, wo
       er sich mit sechs weiteren Syrern ein 25-Quadratmeter-Zimmer teilt: Betten,
       Spinde und ein Kühlschrank reihen sich an den Wänden auf, in der Mitte
       steht ein Tisch mit vier Stühlen. „Die anderen sind beim Integrationskurs“,
       erklärt Sharro, während er Wasser für einen Schwarztee aufbrüht.
       
       Auch er würde lieber heute als morgen damit anfangen, aber aus für ihn
       unerfindlichen Gründen wird er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
       (BAMF) mit „Staatsangehörigkeit unbekannt“ geführt – und nur Syrer, Iraker
       und Eriträer dürfen den Integrationskurs schon während des laufenden
       Asylverfahrens beginnen.
       
       Er habe sich davon zunächst nicht entmutigen lassen, erzählt Sharro, habe
       einen der Deutschkurse an Volkshochschulen besucht, die in Berlin allen
       Asylbewerbern offenstehen. Allerdings gibt es dort nur das Anfängerniveau
       A1/A2 – und darüber ist der ehrgeizige Lehrer, der zusätzlich noch
       Deutschkurse von Ehrenamtlichen besucht, längst hinaus. „Es muss endlich
       etwas passieren“, klagt der hagere Mann.
       
       ## Man braucht „Glück“ bei der Behörde
       
       Doch die Mühlen der Asylbürokratie mahlen langsam. Zuerst musste Sharro
       sieben Monate auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und
       Flüchtlinge (BAMF) warten. Als er im März endlich seinen Termin hatte und
       seine Entscheiderin fragte, warum das so lange gedauert hat, habe sie
       gesagt: „Sie haben eben kein Glück!“
       
       Dass es eine Frage des Glücks sein soll, wie schnell ein Asylantrag
       bearbeitet wird, kann Sharro nicht verstehen. „Wieso haben andere, die
       später kamen als ich und teilweise nicht mal zum Deutschkurs gehen, schon
       ihren Aufenthalt bekommen?“ Auch diese Ungerechtigkeit nagt an ihm.
       
       Dazu kommt die Angst: Wie wird das BAMF entscheiden, wenn es denn endlich
       mal entscheidet? Viele Syrer, die Sharro kennt, bekommen gemäß der neuen
       Politik zumeist nicht mehr volles Asyl, sondern nur noch „subsidiären
       Schutz“. Das aber heißt, nur noch ein Jahr Aufenthaltserlaubnis statt drei,
       und vor allem: drei Jahre lang keinen Familiennachzug. Für Sharro, der Frau
       und Kind in Syrien und den erst acht Monate alten Sohn noch nie gesehen
       hat, ist diese Aussicht unerträglich: „Wenn meine Frau und mein Kind nicht
       nachkommen dürfen, gehe ich zurück.“
       
       Dasselbe sagt sein Freund Abdulahim Atta, der ebenfalls aus Kamischli kommt
       und dort vier Kinder und eine Frau hat. Auch er wartet seit März auf eine
       Entscheidung des BAMF. „Ich bin nicht hierher gekommen, um zu essen und zu
       schlafen, sondern um meinen Kindern eine Zukunft zu geben.“ Wenn er das
       hier nicht kann, könne er nicht bleiben.
       
       Atta, Sharro und ein dritter Freund, Joussef Alali, sind gemeinsam aus
       Kamischli geflohen im vorigen Sommer. Alle drei sollten zur Armee
       eingezogen werden. Bis vor Kurzem waren sie auch gemeinsam in der
       Tempelhofer Notunterkunft untergebracht, was gut war, so konnten sie sich
       gegenseitig Halt und Trost geben. Doch inzwischen haben Atta und Alali vom
       Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) Plätze in anderen
       Unterkünften zugewiesen bekommen, mit mehr Platz und vor allem: mit
       Kochmöglichkeit. „Bei mir im Zimmer ist auch ein Bett frei“, erzählt Atta.
       Sharro ergänzt: „Aber als ich beim LAF sagte, ich würde gerne zu meinem
       Freund ziehen, hieß es, das geht nicht.“
       
       ## Lange Wartelisten bei Psychiatern
       
       Kürzlich war er so deprimiert, dass er vier Tage lang nichts gegessen hat.
       Sein Freund Atta hat ihn aus Sorge ins Wenkebach-Klinikum gebracht:
       „Ambulante Wiedervorstellung bei einem niedergelassenen Psychiater bei
       Verschlechterung der depressiven Symptomatik“, notierten die Ärzte als
       Empfehlung. Atta hat daraufhin herumtelefoniert – erfolglos. „Die
       Wartelisten bei Psychiatern sind lang“, sagt er.
       
       Englischlehrer Atta wundert dies nicht, er kommt viel in Berliner Heimen
       herum: Seit sieben Monaten macht er eine einjährige Ausbildung zum
       psychosozialen Berater bei der Organisation Ipso (International
       Psychosocial Organisation) und hat in diesem Rahmen regelmäßig
       Sprechstunden in Unterkünften. „Viele Flüchtlinge sind depressiv“, erzählt
       er. „Sie wollen nichts mehr essen, weinen viel. Manchmal kann ich einen Rat
       geben, manchmal nicht – aber oft hilft es ihnen schon, wenn ihnen einfach
       mal jemand zuhört.“ Und auch ihm selbst helfe die Arbeit: „Es geht mir so
       viel besser, seit ich etwas Sinnvolles zu tun habe.“
       
       Endlich arbeiten, sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen können: Auch
       Sharro und Alali wünschen sich nichts sehnlicher. „Wir wollen uns doch
       integrieren. Warum lässt man uns nicht“, fragt Alali. Wie sollen sie Arbeit
       finden, eine Wohnung, wenn sie voraussichtlich nur eine einjährige
       Aufenthaltserlaubnis bekommen werden? „So nimmt uns doch niemand!“
       
       Neulich hat ihnen der ehrenamtliche Deutschlehrer die Hausaufgabe gestellt,
       Vorschläge zu entwickeln, was die Bundesregierung besser machen könnte.
       Sharro liest vor, was er aufgeschrieben hat: „Wenn es klare Gesetze gibt,
       wäre es gut für die Regierung und die Flüchtlinge. Zum Beispiel sollten die
       Flüchtlinge, die Deutsch lernen, das Recht haben, einen Aufenthalt zu
       bekommen. Und die Flüchtlinge, die nicht Deutsch lernen wollen, sie haben
       kein Recht auf Aufenthalt. Der zweite Schritt ist, nachdem die Flüchtlinge
       gut Deutsch sprechen, sie müssen arbeiten.“
       
       Die anderen lachen: „Ah, du bist also AfD?“ – „Nein, nicht AfD. Aber ich
       glaube, es ist besser für uns, wenn die Regierung streng ist.“
       
       3 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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