# taz.de -- Musik gegen Rechtsextremismus: Eine Kleinstadt im Ausnahmezustand
       
       > Die Band Feine Sahne Fischfilet tourt gegen rechts durch
       > Mecklenburg-Vorpommern. Letzte Woche war sie mit Marteria und Campino in
       > Anklam.
       
 (IMG) Bild: Der Rapper Marteria nimmt ein Bad in Menge
       
       ANKLAM taz | Der lauwarme Konzertabend auf dem Bahnhofsvorplatz von Anklam
       neigt sich gerade dem Ende zu, etwa 2.000 feiernde Menschen machen
       Wellenbewegungen mit den Händen, der Rapstar Marteria singt von „Lila
       Wolken“ und einer „Welt der Wunder“, die hier für einen Moment fast möglich
       scheint, da stehen Monique Krauel und Frank Buth seitlich von der Bühne und
       freuen sich über das Bild, das sie sehen. Das Bild eines anderen Anklam.
       
       Monique Krauel und Frank Buth sind in der Kleinstadt im nordöstlichen
       Winkel der Republik aufgewachsen und leben hier. Sie kennen die Gleichung,
       die man von ihrer Heimatstadt erstellt: Anklam = Nazis. „Unsere Stadt hat
       einen sehr schlechten Ruf“, sagt Krauel, 37 Jahre alt, freundliches
       Gesicht, Brille, lange dunkle Haare. „Aber es gibt auch viele vernünftige
       Menschen in Anklam, endlich wird das hier sichtbar. Endlich wird mal
       positiv über unsere Stadt berichtet.“
       
       Ja, es ist sind einige Kamerateams unterwegs am frühen Dienstagabend, die
       ARD ist da, Reporter von Zeitungen schreiben genauso mit wie der von der
       taz, was die Menschen von Anklam ihnen in die Blöcke und Smartphones
       diktieren. Aber vielleicht bedarf es auch gar nicht so vieler gesprochener
       Worte, sondern nur dieser Eindrücke, um die Geschichte des Abends zu
       erzählen: Eine Stunde Abrissparty. Eine Stunde feiernde Kleinstadtkids, die
       sich teils ihrer Klamotten entledigen, Bengalos zünden und blaue, orange,
       gelbe Rauchschwaden gen Himmel ziehen lassen wie im Fußballstadion. Und die
       laut den Chorus „Alerta, alerta, antifascista“ anstimmen.
       
       Verantwortlich für die gute Stimmung ist der im nahen Rostock groß
       gewordene Hip-Hop-Musiker Marteria, der von der subkulturellen Nische bis
       in den Mainstream geschätzt wird. Seinen einzigen Auftritt in diesem Jahr
       spielt er ausgerechnet in dem 13.000-Einwohner-Nest, das vor Usedom liegt.
       
       Dass er dies tut, hat wiederum mit den Nazis und den fremdenfeindlich
       gesinnten Menschen zu tun, die hier leben; denn es gibt sie natürlich, es
       gibt sie nicht zu knapp, wie man sehen wird. Marteria reiste nach Anklam,
       nachdem ihn die Punkband Feine Sahne Fischfilet (FSF) kurzfristig angefragt
       hatte, ob er an ihrer Tour teilhaben wolle.
       
       ## „Nicht komplett im Arsch“
       
       Die Gruppe aus Mecklenburg-Vorpommern organisiert in diesen Tagen
       Veranstaltungen im ganzen Bundesland, bei denen es nicht vorrangig um Musik
       geht, sondern darum, vor den Landtagswahlen am kommenden Sonntag gegen den
       Rechtsruck mobilzumachen. „Noch nicht komplett im Arsch“ haben sie die
       Reihe an Lesungen, Konzerten und Partys genannt. Zwei Mails und zwei
       Telefonate, so berichtet FSF-Sänger Jan Gorkow alias Monchi, hätten
       gereicht, um Marteria ins Boot zu holen – und auch Campino von den Toten
       Hosen schloss sich kurzerhand an. Gegen Ende des Abends, als alle drei ein
       Lied zusammen spielen und längst alle Dämme gebrochen sind, wird Monchi
       grölend das Motto dieser Tour verifizieren: „Mecklenburg-Vorpommern ist
       noch nicht komplett im Arsch, Digga!“
       
       Erst einen Tag zuvor hat man das Konzert angekündigt, nun steht Marteria
       vor seinem Auftritt in den Räumlichkeiten des Demokratiebahnhofs, den das
       Jugendzentrum Anklam hier vor einiger Zeit installiert hat. Er ist baff,
       wie viele Leute da sind: „Vielleicht entsteht daraus ja etwas, vielleicht
       rücken die Menschen enger zusammen“, sagt der 33 Jahre alte Musiker, „dann
       wäre viel erreicht.“ Aber: „Das muss weitergehen, auch nach den Wahlen. Es
       darf sich nicht auf einen Tag beschränken.“
       
       Schreitet man vorher, am späten Nachmittag, durch das kleine Städtchen,
       könnte man an ein friedliches Ortsbild glauben: Die tief stehende Sonne
       scheint durch das Steintor, einen rotbraun-schimmernden Backsteinbau im
       Zentrum. Ein leichter Wind lässt die nahe Ostsee erahnen. Auf der Straße
       sieht man aber nur wenige Menschen. Dafür Wahlplakate, die meisten von der
       AfD, der NPD und von Alfa. Vereinzelt heulen in den Straßen Motoren auf,
       blitzblanke Autos mit dunkel getönten Scheiben fahren vorbei, auf einigen
       Parkplätzen treffen sich junge Erwachsene mit ihren Karossen.
       
       In den nuller Jahren war Anklam die Stadt mit der höchsten
       Arbeitslosenquote in Deutschland (mit mehr als 30 Prozent), heute liegt sie
       bei 15 Prozent. Dennoch wirkt der Ortskern seltsam leblos, auch jetzt, vor
       der Wahl, in einer hochpolitischen Zeit. Vom Wahlkampf hätte sie –
       abgesehen von den Plakaten – bis zu diesem Tage so gut wie nichts gespürt,
       es finde „wenig in Anklam statt“, erzählt Monique Krauel später beim
       Konzert: „Man fühlt sich hier von keiner Partei vertreten.“ Ihr Freund
       Frank Buth versucht sich in Optimismus: „Vor einigen Jahren lag hier noch
       vieles brach, nun sieht es schon viel besser aus. Trotzdem fühlt man sich
       hier manchmal vergessen.“
       
       ## Der Platz am Katzentisch
       
       Anklam profitiert wenig von den Ostseeurlaubern, die zwar in unmittelbarer
       Nähe, aber eben nicht hier ihre Zelte aufschlagen. Während Orte wie Wolgast
       oder Ueckermünde und jene auf Usedom alle ihr Stück vom Tourismuskuchen
       abbekommen, scheint Anklam am Katzentisch zu sitzen.
       
       Die wahren Problemzonen aber sind woanders. In der Pasewalker Straße hat
       die NPD seit fast zehn Jahren ein großes Parteigebäude in einem ehemaligen
       Möbelhaus. Am Tag des Konzerts zeigen Partei und Kameraden demonstrativ
       Präsenz. Zwei große NPD-Flaggen sind gehisst. Etwa 30 bis 40 Neonazis
       sitzen auf Bierbänken oder stehen bei einem Bier in der Runde vor dem
       Gebäude. Sie haben den Grill angeschmissen. Jeden, der vorbeikommt und zum
       Festival geht, fixieren sie mit Blicken. Die Polizei steht mit Wagen an
       jeder Ecke, es kommt zu keinen Übergriffen an diesem Tag.
       
       Wirft man durch die Scheiben einen Blick in das NPD-Gebäude, sieht man
       einen großen Schriftzug „Für Volk und Heimat“. Und gefüllte Bücherregale.
       Hier hat nicht nur der Landesverband der Partei seine Adresse, man hat auch
       eine „Pommersche Volksbibliothek“ eingerichtet. Wenige hundert Meter weiter
       befindet sich ein Szeneladen für einschlägige Nazibekleidung. Bei der
       Kommunalwahl 2014 bekam die NPD in Anklam knapp 10 Prozent, 1.241 Stimmen.
       Während die NPD jahrelang unbehelligt agitieren konnte, scheint sich ganz
       langsam etwas mehr Widerstand zu regen: im Demokratieladen, im
       Demokratiebahnhof, bei Gegendemonstrationen.
       
       Mit der Tour will man auch der Arbeit dieser Leute Tribut zollen. „Ich
       glaube, wir können uns das gar nicht vorstellen, was es heißt, täglich mit
       diesem auch subtilen Druck von rechts in diesen Orten umzugehen“, sagt
       Toten-Hosen-Sänger Campino am Rande des Events. „So ein Konzert kann den
       engagierten und guten Leuten in der Region ein bisschen Mut machen. Und wer
       weiß, vielleicht lernen sich da draußen ein paar Leute kennen und
       verabreden sich fürs nächste Wochenende, dann wäre schon was gewonnen.“
       
       ## Ein Lob von Heiko Maas
       
       Die Euphorie jedenfalls ist groß. Marteria initiiert als allerletzten
       Rausschmeißer-Song noch einen Rave: Hüpfen zu Beat-Geballer. Nach dem
       Konzert leert sich der Platz nur langsam, Marteria gibt Autogramme, und
       viele tragen das grelle, neonfarbene Plakat der Veranstaltung mit sich
       herum. Auch einige syrische Flüchtlinge trifft man, sie berichten, es sei
       die erste Veranstaltung dieser Art gewesen, die sie in der Region besucht
       hätten.
       
       Während an diesem Tag in Anklam von den Parteien – abgesehen von der NPD –
       wenig zu sehen ist, lobt Justizminister Heiko Maas die Aktion von Feine
       Sahne Fischfilet im Nachhinein auf Twitter. Die Band antwortet ihm am
       Freitag: „Auch deine #SPD glänzt nur mit Abwesenheit in Regionen wie
       #Anklam“, schreibt sie. Dass Feine Sahne Fischfilet vom
       Landesverfassungsschutz als „linksextremistische“ Gruppe gelistet ist und
       zugleich vom Bundesjustizminister gefeiert wird, passt ins Gesamtbild.
       
       Als es dunkel wird in Anklam, fegen Pfadfinder die Scherben des Konzerts
       zusammen und helfen abzubauen. Sie räumen den Lkw leer, der die Bühne
       bildete. Vor dem Demokratiebahnhof sitzen bis in den späten Abend noch
       Teenagergrüppchen. Ganz im Sinne der Initiatoren.
       
       28 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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