# taz.de -- Zwangsbehandlung psychisch Kranker: Schutz vor sich selbst
       
       > Psychisch Kranke, die nicht mehr laufen können, dürfen künftig
       > zwangsbehandelt werden. Doch das Urteil der Karlsruher Richter überzeugt
       > nicht.
       
 (IMG) Bild: Karlsruher Tipp: Besser vorsorgen, solange man gesund ist
       
       Muss man Bürger vor sich selbst schützen? Manchmal, sagt das
       Bundesverfassungsgericht, insbesondere bei psychisch Kranken, die keinen
       „freien Willen“ mehr haben. Das Gericht verpflichtete jetzt sogar den
       Bundestag, Regeln zu schaffen, die die Zwangsbehandlung von psychisch
       Kranken häufiger als bisher erlauben.
       
       Der zugrundeliegende Fall ist tragisch. Eine 63-jährige Frau aus dem Raum
       Stuttgart litt an einer schweren psychischen Krankheit, einer Mischung aus
       Schizophrenie, Manie und Depression. Und dann wurde bei ihr 2014 auch noch
       Brustkrebs festgestellt. Doch die Frau verweigerte jede Behandlung, sie
       lehnte sowohl Operation als auch Bestrahlung ab.
       
       Daraufhin beantragte ihre Betreuerin eine Zwangsbehandlung. Diese ist bei
       psychisch Kranken zwar grundsätzlich möglich – laut Gesetz aber nur, wenn
       der Kranke zwangsuntergebracht ist. Im Fall der Stuttgarterin hatten die
       Gerichte eine Zwangsunterbringung jedoch abgelehnt, denn die Frau war so
       krank und schwach, dass sie eh nicht mehr davonlaufen konnte und auch
       keinen Willen hatte, sich der Unterbringung zu entziehen. Der Fall ging
       durch die Instanzen, die Gerichte waren ratlos. Der Bundesgerichtshof legte
       das Problem dann im Juli 2015 dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung
       vor.
       
       Karlsruhe forderte nun den Gesetzgeber auf, auch die Zwangsbehandlung von
       derart „immobilen“ psychisch Kranken zu erlauben. Und da ein Gesetz nicht
       vom Himmel fällt, erlaubte das Gericht die Zwangsbehandlung mit sofortiger
       Wirkung selbst. Diese Vorgabe war dem Gericht so wichtig, dass es das
       Verfahren auch noch fortführte, nachdem die Frau gestorben war – „im
       Dienste der objektiven Rechtsklärung“.
       
       Das Urteil erntete schnell Protest: „Bundesverfassungsgericht erlaubt
       Folter immobiler Behinderter“, empörte sich ein engagierter Anwalt. Die
       organisierten „Psychiatrie-Erfahrenen“ wollen Zwangsbehandlungen auf keinen
       Fall ausweiten, sondern gänzlich abschaffen.
       
       ## „Recht auf Krankheit“
       
       Auf den ersten Blick überzeugt jedoch die Karlsruher Unterscheidung: Der
       Patientenwille ist nur dann maßgeblich, wenn es ein „freier Wille“ ist.
       Dann kann der Patient auch Entscheidungen treffen, die andere für
       unvernünftig halten, kann lebenserhaltende Therapien ablehnen, sich zum
       Sterben entschließen oder ein „Recht auf Krankheit“ wahrnehmen.
       
       Wenn aber jemand aufgrund seiner psychischen Krankheit dazu nicht in der
       Lage ist, könne der geäußerte Wille nicht entscheiden. Die Richter
       urteilten: „Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen nicht
       einfach sich selbst überlassen.“ Aus den Grundrechten folge eine
       Schutzpflicht des Staats, die hier ausnahmsweise auch zu konkreten
       Pflichten des Gesetzgebers führe.
       
       Trotz der grundsätzlichen Begründung lassen die Richter aber offen, ob
       künftig auch bei psychisch Kranken, die ambulant behandelt werden,
       Zwangsbehandlungen möglich sein sollen. Der Bundesrat war vor einigen
       Jahren dafür, der Bundestag auf Anraten von Sachverständigen dagegen. Es
       würde die Therapie psychisch Kranker gefährden, wenn diese zur Behandlung
       anderer Krankheiten immer wieder zwangsweise in die Klinik gebracht werden
       müssten.
       
       Was aber ist mit der Therapie immobiler psychisch Kranker? Leidet deren
       Therapie unter der Zwangsbehandlung weniger? So richtig überzeugen kann das
       Karlsruher Urteil nicht. Die Richter hätten dem Bundestag die Entscheidung
       überlassen sollen. Immerhin geben die Richter einen wichtigen Hinweis: Wer
       sichergehen will, dass er nicht zwangsbehandelt wird, muss dies rechtzeitig
       in einer Patientenverfügung anordnen. Dieser Wille ist auch nach Ausbruch
       einer Psychose verbindlich.
       
       25 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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