# taz.de -- Zwei Literaturdebüts: Wütende junge Frauen
       
       > Die Autorinnen Alexandra Kleeman und Anneliese Mackintosh erzählen von
       > der Verzweiflung, an falschen Erwartungen zugrundezugehen.
       
 (IMG) Bild: Können wütend machen: auf Angepasstheit und Äußerlichkeit fixierte Vorbilder
       
       Es ist eine kleine, bohrende Frage, die die Debüts dieser beiden jungen
       Autorinnen verbindet: Wie fühlt es sich an, normal zu sein? Und was ist
       eigentlich normal?, möchte man noch anfügen. Denn auch diese Frage liegt
       subkutan unter dem Erzählten in den Büchern „So bin ich nicht“ von
       Anneliese Mackintosh und „A wie B und C“ von Alexandra Kleeman.
       
       Mackintosh ist Britin und in Deutschland geboren. Sie lebt in Cornwall.
       Kleeman ist US-Amerikanerin und lebt in New York.
       
       Mackintoshs „So bin ich nicht“ ist eine autobiografische
       Kurzgeschichtensammlung, von der die Autorin selbst schreibt, 68 Prozent
       seien wirklich so passiert. Kleemans „A wie B und C“ ist ein ziemlich
       abgedrehter, dystopisch-gruseliger und parabelhafter Roman, bei dem man von
       Glück sagen kann, dass er der Realität ein Stück weit entrückt ist. Aber
       nur gerade so viel, dass man zumindest anfangs ins Zweifeln kommt, ob das
       alles nicht doch auch wahr sein kann.
       
       Greta, Machintoshs Kurzgeschichten-Protagonistin, durchleidet auf sehr
       körperliche und selbstzerstörerische Art und Weise (Ritzen, Alkoholismus,
       wahlloses Vögeln, Fitnesswahn) die verschiedenen Phasen der Trauer um ihren
       verstorbenen Vater, das seltsam entfremdete Verhältnis der Eltern, die
       suizidale Schwester, scheiternde Beziehungen und Einsamkeit.
       
       ## Wassereis und Wodka
       
       Bei A, der Protagonistin in Kleemans Roman, ist das Leiden diffuser, es
       findet eher in Gedanken statt und äußert sich körperlich in einer
       anorektischen, auf Auflösung ausgelegten Weigerung, Nahrung zu sich zu
       nehmen, die nicht aus Wassereis, Wodka, Orangen oder gänzlich
       nährstoffbefreiten „Kandy Kakes“ besteht.
       
       Einiges unterscheidet die beiden Autorinnen und ihre Bücher also. Die
       Erzählung aber, die beiden Werken zugrunde liegt, weist starke Parallelen
       auf. Nämlich die Beschreibung eines weiblichen Verlorenseins in der Welt;
       die verzweifelte Suche nach der eigenen Identität, in einer Gesellschaft,
       die für junge Frauen fast ausschließlich auf Stereotype angelegte und auf
       Unauffälligkeit, Angepasstheit und Äußerlichkeit fixierte Vorbilder
       bereithält.
       
       Es geht in beiden Büchern auch um die Verzweiflung darüber, diesen
       unrealistischen Vorbildern entsprechen zu sollen. Mehr noch: an diesen
       nicht erfüllbaren Erwartungen (beinahe) zugrunde zu gehen.
       
       Die verstörendste und deshalb stärkste Kurzgeschichte von Anneliese
       Mackintosh liegt weiter zurück in ihrer Vergangenheit, die sie mit jeder
       neuen Story ein Stück weiter entrollt, chronologisch und sich an den
       Untiefen, die ihre Seele birgt, entlang hangelnd. Die Geschichte beginnt
       harmlos, mit dem Wunsch lesbisch zu sein, und mit Wodka. Und sie gipfelt in
       einer Gruppenvergewaltigung, über die Greta, die Protagonistin, nie
       wirklich mit jemandem spricht.
       
       ## Grenzüberschreitungen
       
       Wohl auch deshalb, weil sie und ihre Freundin sich nicht wehren, wie so
       oft, wenn es zu Grenzüberschreitungen kommt. Warum sie sich nicht wehren,
       wird aus der Geschichte nicht ganz klar, und das muss es auch nicht,
       einfach weil die Ursache oft nicht eindeutig zu benennen ist. Eine Mischung
       aus zu viel Alkohol und der Scheu, nein zu sagen, der Scheu, eine Szene zu
       machen, dem Bestreben, nicht unangenehm aufzufallen? Könnte sein.
       
       Am Ende jedenfalls gehen beide Mädchen mit ihren Vergewaltigern ein Bier
       trinken und lassen sich noch mal mit ihnen ein, weil: auch schon egal. Und
       das ist viel wahrhaftiger als jede
       Fremder-Mann-in-der-dunklen-Gasse-Vorstellung von Vergewaltigung. Und es
       ist ein Graubereich, über den fast nie jemand spricht. Mackintosh
       beschreibt diese und andere Ausreißer aus dem sozial Erwünschten, und das
       ist in dieser Ehrlichkeit ungemein befreiend.
       
       ## Einblick in Abgründe
       
       Überhaupt, dieses von Charlotte Roche („Feuchtgebiete“, „Schoßgebete“,
       „Mädchen für alles“) oder der Hamburger Frauenband Schnipo Schranke
       („Pisse“) in der deutschen Popkultur salonfähig gemachte
       Sich-an-Themen-Wagen, die sich eigentlich nicht ziemen, entweder weil sie
       einen zu tiefen Einblick in Abgründe gewähren, die „frau“ besser für sich
       behält, oder weil sie schlicht eklig sind – auch das zeichnet beide Bücher
       aus.
       
       Alexandra Kleeman geht in der Abstraktionsebene viel weiter als ihre
       britische Kollegin. „You too can have a Body like mine“ heißt ihr Buch auf
       Englisch und dieses Werbeversprechen nimmt einen Großteil ihrer
       messerscharfen und detaillierten Beobachtungen ein.
       
       Mit einem Blick, der so lange auf alltägliche Dinge starrt, bis sich deren
       Seltsamkeit von selbst entlarvt, beschreibt sie seitenlang menschliche
       Körper von innen und außen, Lebensmittel und deren Verpackungen, Waren im
       Supermarkt sowie Kosmetikwerbeclips und Spots für die bereits erwähnten
       „Kandy Kakes“, denen ein Comic-Kater in brutalisierter Tom-und-Jerry-Manier
       verzweifelt nachjagt, ohne sich jemals eine der ersehnten Süßigkeiten
       einzuverleiben, und dabei dem Hungertod – genau wie die Protagonistin –
       ziemlich nahekommt.
       
       Kleemans Erzählung beginnt mit einer in ihrer grenzenloser Bewunderung
       übergriffigen Mitbewohnerin B. Diese ist so sehr darauf fixiert, A
       äußerlich immer ähnlicher zu werden, dass sich die Protagonistin angesichts
       der Austauschbarkeit ihrer Personen ziemlich schnell selbst verliert.
       
       ## Frauenfreundschaften
       
       Damit karikiert Kleeman en passant eine Eigenschaft, die vielen
       Frauenfreundschaften eigen ist: den jegliche Distanz auflösenden und daher
       bisweilen ziemlich beklemmenden Wunsch, sich einander anzugleichen und
       optische und charakterliche Unterschiede zu negieren. Wohl auch deshalb,
       weil so keine Konkurrenz entsteht.
       
       Boyfriend C, dem A ihr Problem mit der Mitbewohnerin schildert, ist viel zu
       sehr damit beschäftigt, sich für Haifisch-Dokus, Pornos und für die
       Idealvorstellungen einer lebensbejahenden, problemlosen Freundin zu
       interessieren, um deren Nöte zu erkennen oder auch nur ernst zu nehmen.
       Stattdessen erklärt er A für verrückt und will sie von ihren Neurosen
       kurieren.
       
       Auch das ein Motiv, das in beiden Werken vorkommt: Männer, die Frauen und
       ihre Sorgen pathologisieren und damit in den klischeebehafteten Bereich des
       Weiblich-Hysterischen abschieben. Dorthin also, wo sie keine Rolle spielen.
       
       ## Der Superfoodwahnsinn
       
       Schließlich nimmt die Handlung Fahrt auf. Immer häufiger verschwinden Väter
       und ganze Familien, und A scheint der einzige Mensch zu sein, der sich mit
       diesem „Disappearing Dad Syndrome“ befasst. So lange, bis sie eines Tages
       selbst in den Einfluss der „Kirche der vereinigten Esser“ gerät, die –
       symptomatisch für Kleemans dezidierte Konsumkritik – Anteile an der
       Supermarktkette Wally’s und an der menschenverachtenden Gameshow „Das ist
       mein Partner“ hält.
       
       Der Sekte beigetreten, bemüht sich A so sehr, die Regeln zu befolgen, dass
       sie an der immer skurriler werdenden Selbstoptimierungslogik zu sterben
       droht. Mit der Unterscheidung in „dunkle“ und „helle Lebensmittel“, die die
       Kirche sanktioniert, trifft Kleeman den real existierenden Detox- und
       Superfoodwahnsinn unserer Zeit ins Mark. As Scheitern ist aber auch ein
       Verzagen an einer Welt, die stetig komplizierter wird und die für Frauen
       nach wie vor zu wenige mögliche Rollen gutheißt.
       
       Sowohl Mackintosh als auch Kleeman sind darum bemüht, das weibliche
       Erlebnisrepertoire, das öffentlich legitim artikuliert werden kann, zu
       erweitern. Damit rücken sie den immer noch in erster Linie männlich
       geprägten literarischen Blick auf die Welt ein wenig mehr ins
       Gleichgewicht. Was aber viel wichtiger ist: Sie finden Worte und Bilder für
       bislang viel zu selten wahrgenommenes oder debattiertes Leid.
       
       27 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marlene Halser
       
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