# taz.de -- Krise in Brasilien: Brasilien wird neoliberal
       
       > Das südamerikanische Land steht vor einer Zeitenwende. Die Amtsenthebung
       > von Präsidentin Rousseff kommt, der Neue will Renten und Löhne kürzen.
       
 (IMG) Bild: Diese Dame demonstrierte am 9. Mai für eine Amtsenthebung der Präsidentin
       
       Rio de Janeiro taz | Noch ist Michel Temer nicht Präsident Brasiliens, doch
       fleißig bastelt er bereits an einem neuen Kabinett und plädiert für eine
       Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik. Der Vizepräsident hofft, schon nach
       der Abstimmung am Mittwoch De-facto-Interimspräsident zu werden.
       
       Der Senat wird in einer 20-stündigen Marathonsitzung bis in die Nacht zum
       Donnerstag endgültig über die Aufnahme eines Amtsenthebungsverfahrens gegen
       Dilma Rousseff abstimmen. Das erwartete Ja-Votum würde die Präsidentin bis
       zu 180 Tage suspendieren und Temer, dessen Zentrumspartei PMDB im März mit
       der Regierung brach, die Vollmachten des höchsten Staatsamts bringen.
       
       Seit Wochen protestieren Gewerkschaften, soziale Bewegungen und
       Unterstützer der noch regierenden Arbeiterpartei PT gegen die
       Amtsenthebung. Für sie handelt es sich um einen Staatsstreich, mit dem die
       Opposition mit Unterstützung von Medien, Unternehmerverbänden und Teilen
       von Justiz und Polizei eine gewählte Regierung aus dem Amt treibt. Und sie
       befürchten, dass Arbeiterrechte und Sozialmaßnahmen abrupt zurückgestutzt
       werden.
       
       Laut Vagner Freitas, Präsident des Gewerkschaftsdachverbands CUT, wird die
       neue Rechtsregierung „die Lohnzuwächse der vergangenen Jahre und viele
       Rechte der arbeitstätigen Bevölkerung rückgängig“ machen. „Aufgrund der
       materiellen Besserstellung der Arbeiter unter Rousseff und davor unter
       Expräsident Lula wird der Präsidentin jetzt der Prozess gemacht“, betonte
       Freitag am 1. Mai. Auch PT-Präsident Rui Falcão griff Vizepräsident Temer
       an und bezeichnete ihn als „Verräter“. Dessen geplantes Wirtschaftsprogramm
       kritisierte Falcão als „gefährlichen Rückschritt“.
       
       ## Gewerkschaften loben Rousseff
       
       Für den wichtigen Job des Finanzministers wird der frühere Zentralbankcchef
       Henrique Meirelles gehandelt. Der hat erklärt, das Vertrauen von Investoren
       und Konsumenten in die nationale Wirtschaft zurückgewinnen zu wollen. „Eine
       der ersten Maßnahmen wird die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben sein“,
       so Meirelles. Die jüngste Erhöhung der Sozialhilfe „Bolsa familia“ müsse
       eingehend geprüft werden. Temer hat Unternehmen zugesagt, keine Steuern zur
       Sanierung des Haushalts zu erhöhen.
       
       Das Rezept zur Krisenüberwindung enthält die bekannten neoliberalen
       Instrumente: Sparmaßnahmen, Senkung der Lohnkosten und Erleichterungen für
       Unternehmen. Letzteres umfasst auch die Wiederaufnahme von Privatisierungen
       und eine einfachere Ausbeutung von Bodenschätzen auch für Privatinvestoren.
       
       Gewerkschafter besorgt vor allem, dass Konzessionen zur Erschließung der
       gigantischen Erdölreserven vor der Küste leichter vergeben werden.
       Umstritten ist auch, dass Temers Partei die gesetzlich vorgeschriebene
       prozentuale Koppelung der Ausgaben für Bildung und Gesundheit an das
       Bruttoinlandsprodukt und die regionalen Etats aufheben will. Auch eine
       Rentenreform, die insbesondere Geringverdiener, die schon früh ins
       Arbeitsleben einsteigen mussten, benachteiligt, steht auf dem Programm.
       
       Unbestritten ist nur, dass etwas getan werden muss. 2015 schrumpfte die
       Wirtschaft Brasiliens um 3,5 Prozent, die Prognose für 2016 ist ähnlich
       düster. Die Inflation liegt bei rund 10 Prozent, die Arbeitslosigkeit
       kletterte vergangenen Monat auf 10,9 Prozent, nachdem sie Ende 2014 noch
       bei 6,5 Prozent lag.
       
       Für die Opposition ist allein Rousseffs Politik schuld an der Lage: zu hohe
       Staatsausgaben im sozialen Bereich, zu wenig Investitionsanreize und zu
       viele Auflagen bei Großprojekten. Die Regierung macht die internationale
       Rohstoffkrise und die Blockadepolitik des Kongresses für die desaströse
       Lage verantwortlich.
       
       11 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Behn
       
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