# taz.de -- Feministinnen unter Leistungsdruck: Zu allem fähig, zu Tode erschöpft
       
       > Feministisch geprägte Frauen haben Leistungsdruck mit Freiheit
       > verwechselt. Doch ihr Erfolg wird ihnen geneidet. Es ist Zeit für einen
       > Generalstreik.
       
 (IMG) Bild: Einfach mal Pause machen, was Schickes anziehen und sich selbst feiern: hier beim Maracatu Karneval in Brasilien.
       
       Letzte Woche traf ich mich mit einer Freundin im Teenageralter zum
       Kaffeetrinken. Sie ist in ihrem letzten Schuljahr und wurde gerade an einer
       der besten Universitäten des Landes angenommen. Schon jetzt ist sie eine
       erfolgreiche Autorin und Aktivistin. Sie ist ehrgeizig, wortgewandt und
       wunderschön. Sie ist, wie eine junge Frau sein sollte. Und doch ist sie
       todunglücklich.
       
       Meine junge Freundin bemüht sich, gut auf sich selbst achtzugeben. Sie
       schickt mir regelmäßig mitten in der Nacht SMS-Nachrichten, wenn sie noch
       wach ist und für die Schule büffelt, nur wenige Stunden bevor es schon
       wieder Zeit ist aufzustehen und zum Unterricht zu gehen.
       
       Sie hat nicht die Zeit, sich emotional mit dem Missbrauch
       auseinanderzusetzen, den sie bereits durch Männer erlitten hat. Sie ist
       wegen einer Essstörung stationär behandelt worden und kürzlich vor
       Erschöpfung zusammengeklappt. Je mehr sie erreicht, umso mehr scheinen die
       Erwachsenen in ihrem Leben von ihr zu erwarten. Zumal sie eine junge Frau
       of colour mit nicht traditionellem Hintergrund ist.
       
       Sie hört fast nie, dass sie so, wie sie ist, gut genug ist. Und das
       Traurigste daran ist, dass dieses Mädchen kein Einzelfall ist – es ist die
       Geschichte zahlloser junger Frauen, die ich kenne, die unter dem Druck
       einer Gesellschaft zusammenbrechen, die ihnen vorhält, dass egal, wer sie
       sind, und egal, was sie tun, sie nicht genügen. Und nie genügen werden. Es
       scheint, als sei der beste Weg, junge Frauen davon abzuhalten, etwas zu
       erreichen, sie zu zwingen, alles zu erreichen.
       
       ## Es fehlt an Durchschlagskraft
       
       Während meine Freundin ihren Kaffee trank, merkte ich, wie ich in Rage
       geriet und mich fragte, wieso wir immer noch jungen Frauen beibringen, sich
       selbst zu hassen. Der Druck ist heutzutage sogar noch stärker als zu der
       Zeit, als ich meinen Zusammenbruch als Jugendliche hatte. Feministische
       Ideen durchzucken die Popkultur, doch junge Frauen stehen heute stärker auf
       dem Prüfstand als je zuvor. Mit immer mehr Botschaften, die ihnen
       verkünden, härter zu arbeiten und weniger Raum zu beanspruchen. Wir haben
       uns dazu hinreißen lassen zu glauben, dass der Druck, höchste Leistungen in
       jedem Bereich des spätkapitalistischen Lebens – sei es in der Schule, bei
       der Arbeit oder in Liebe und Beziehung – zu erbringen, gleichbedeutend sei
       mit Freiheit für Frauen.
       
       Stimmt nicht. Es gibt einen Spruch unter den mir nahestehenden
       Feministinnen. Der geht so: „Herr, gib mir das Selbstvertrauen eines
       mittelmäßigen Mannes.“ Es ist für jedeN schwer, in einer Welt voller
       Einschränkungen aufzuwachsen, die in sich selbst zusammenzufallen scheint.
       Aber es ist immer noch schwerer, als Frau in dieser Welt aufzuwachsen.
       
       Wenn junge Männer größeres Selbstbewusstsein haben, so liegt das nicht
       daran, dass sie stärker und mutiger sind. Es liegt daran, dass sie sich
       nicht jahrzehntelang anhören mussten, dass sie nicht gut genug, nicht dünn
       genug, nicht nett genug, nicht hübsch genug, nicht klug genug und nicht
       schnuckelig genug seien. Junge Männer haben ihre Pubertät nicht damit
       verbracht, erzählt zu bekommen, dass einerseits ihre Sexualität gefährlich
       sei und sie Selbstbeherrschung zeigen müssten. Doch dass sie andererseits
       immer sexy für andere Leute aussehen sollen.
       
       Was auch immer sie leisten, junge Frauen können davon ausgehen, dass sie
       von denjenigen angegriffen oder lächerlich gemacht werden, die ihnen ihren
       Erfolg übel nehmen. Sie müssen – und das viel zu oft – damit rechnen, von
       Männern sexuell belästigt oder körperlich misshandelt zu werden. Männer,
       die in dem Glauben aufgewachsen sind, Frauen seien keine echten Lebewesen
       mit eigener Handlungsfähigkeit. Junge Frauen bekommen Druck, aber keine
       Durchschlagskraft. Sie bekommen Pflichten, aber keine Macht. Sie sollen
       keine Liebe und Fürsorge verlangen, doch werden selbst dazu ermuntert,
       andere Menschen zu lieben und zu umsorgen, bis nichts mehr für sie selbst
       übrig ist.
       
       Selbst in den radikalen Bewegungen und Subkulturen, denen ich angehört
       habe, werden Frauen abgewiesen, die nicht als schön gelten und verspottet,
       wenn sie ihre eigenen Vorstellungen zum Ausdruck bringen und
       Leitungsfunktionen übernehmen. In Kultur, Kunst und Politik werden Frauen
       nicht ermutigt, quer zu denken oder diejenigen zu sein, die Risiken
       eingehen oder als Exzentrikerinnen die Gesellschaft mit ihrer Kunst und
       ihren Ideen voranzubringen. Stattdessen legt man uns nahe, uns anzupassen.
       Und die Tatsache, dass das heutzutage bedeutet, dass wir außer perfekten
       Frauen, Müttern und Geliebten auch noch perfekte Schülerinnen und perfekte
       Arbeitskräfte sein müssen, befreit uns nicht.
       
       ## Hart arbeiten, flink denken
       
       Was wäre, wenn junge Frauen und queere Personen in Streik treten würden?
       Was wäre, wenn wir uns weigerten, die Arbeit, die allseits von uns erwartet
       wird, umsonst zu verrichten, um das Leben im Spätkapitalismus etwas
       erträglicher zu gestalten? Was wäre, wenn wir uns schlichtweg weigerten –
       und sei es nur für kurze Zeit –, hübsch auszusehen, freundlich zu lächeln
       und unsere Freizeit damit zu verbringen, uns um alle anderen zu kümmern?
       
       Was wäre, wenn wir aufhörten, seelische, affektive und fürsorgliche Arbeit
       gegen geringe oder ganz ohne Bezahlung zu leisten? Aufhörten zu glauben,
       dass unsere Leben und Körper nicht uns gehören? Dass Schönheit und
       Anpassung der Tribut seien, den wir der Welt für unsere Existenz schuldig
       sind? Die sozioökonomische Grundlage der modernen Gesellschaft wäre bis ins
       Mark erschüttert. Aber das ist nicht wichtig – sei’s drum. Viel wichtiger
       wäre, dass die jungen Frauen und queeren Personen des frühen 21.
       Jahrhunderts unter Umständen, ganz eventuell, das Vertrauen wiederentdecken
       würden, das sie bräuchten, um eine bessere, unerschrockenere und
       liebenswürdigere Gesellschaft zu schaffen. Vielleicht, ganz eventuell,
       würde es ihnen dann gelingen, ihre Körper, ihre Leben und ihre Träume ganz
       auszuleben.
       
       Heute sind junge Frauen, queere Personen und people of colour dazu erzogen
       worden, hart zu arbeiten, schnell zu denken und gegen enorme Widerstände
       anzugehen, wenn sie überleben wollen, und zwar unter Verwendung aller
       technologischen Möglichkeiten, mit denen sie aufgewachsen sind – anstelle
       der Stabilität, deren sich die Generation ihrer Eltern noch erfreuen
       konnte. Sie haben gelernt, Erwachseneneinrichtungen zu misstrauen und sich
       aufeinander zu verlassen, wenn sie Unterstützung brauchen. Vielleicht
       hätten die, die vom Status quo profitieren, besser nachdenken sollen, bevor
       sie die jungen Menschen mit all dem Handwerkszeug ausrüsteten, das sie
       brauchen, um die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen. Unsere Kultur
       verwendet endlose Energie darauf, junge Menschen und queere Personen davon
       abzuhalten, sich ihrer eigenen Macht bewusst zu werden. Denn wenn sie es
       tun, wird die Hölle los sein.
       
       Nachdem ich mich von meiner jungen Freundin verabschiedet habe und ihr
       nachschaue, wie sie auf der Hauptstraße entschwindet, ertappe ich mich
       selbst dabei, dass ich denke: Liebling, wenn du es schaffst – und ich
       glaube, dass du es schaffen wirst –, dann wird die ganze Welt erbeben.
       
       Übersetzt aus dem Englischen von Birgit Kolboske
       
       7 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laurie Penny
       
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