# taz.de -- Kolumne Behelfsetikett: Personal Jesus
       
       > Warum ich David Bowie schon als Kind lieben lernte und lange Zeit keine
       > Schallplatte von ihm kaufen konnte. Ein sehr persönlicher Nachruf
       
 (IMG) Bild: Ein Blumenmeer der Trauer: vor dem Wohnhaus in der Hauptstraße 155 in Schöneberg, wo Bowie in seinen Berliner Jahren lebte.
       
       Früher war eben doch nicht alles besser: Einmal pro Woche bin ich mit dem
       Bus von meinem Heimatkaff in die nächste Kleinstadt gefahren. Der Ikarus
       (eine ungarische Marke) juckelte rund 30 Minuten übers Land. Eine Stunde
       hatte ich Zeit in dem Städtchen an der Elbe, doch das reichte allemal, denn
       ich hatte nur ein Ziel: die „Volksbuchhandlung“.
       
       Rein prophylaktisch suchte ich regelmäßig den einzigen Ort weit und breit
       auf, der Bücher und Schallplatten verkaufte. Ich war auf Raritäten aus Ost
       und West aus. Die neuen Bücher von Christa Wolf oder Klassiker wie „Der
       Fänger im Roggen“ waren absolut schwer zu bekommen, sie ließen sich nicht
       einfach kaufen. Man musste Beziehungen haben, um an diese „Bückware“ zu
       kommen. Bückware hieß es deshalb, weil sich der dem Kunden geneigte
       Verkäufer bücken musste, um die begehrte und zurückgelegte Ware aus den
       Untiefen des Verkaufstresens hervorzuholen. Oder man brauchte Glück. Na ja,
       ich musste Glück haben.
       
       Die Planwirtschaft war völlig unplanbar. In einer Mangelgesellschaft wie
       der DDR wusste der Kunde nie, wann und wo es etwas zu kaufen gab. Mal war
       Papier knapp, dann wieder Druckerfarbe oder Vinyl (also Erdöl), vor allem
       aber fehlten Devisen für Lizenzgebühren fürs Liedgut aus dem
       kapitalistischen Ausland. Mal gab’s aber auch was zu kaufen – aus heiterem
       Himmel.
       
       Natürlich hatte ich ab und an Glück. So kam ich über die Jahre an
       Westplatten von zum Beispiel The Police, Silver Convention, Amanda Lear,
       Abba oder The Cure (und auch ein Salinger-Exemplar fing ich irgendwann
       ein). Es handelte sich um Lizenzpressungen des DDR-Staatslabels Amiga. Und
       so bin ich damals ganz naiv davon ausgegangen, dass ich eines Tages auch
       eine Schallplatte meines Lieblingssängers kaufen könnte. Warum denn nicht?
       Ich musste nur ein paar Jahre warten: Je älter die Westplatte, desto
       geringer die Lizenzgebühren, desto wahrscheinlicher eine DDR-Prägung. Ich
       wusste es eben nicht besser. He, ich muss ungefähr zwölf Jahre alt gewesen
       sein, als ich 1979 im NDR zum ersten Mal „Heroes“ von David Bowie bewusst
       hörte. Das Lied landete natürlich gleich auf dem Rekorder. Ich hatte
       mehrere Versionen auf Kassette, doch kein Mitschnitt war vollständig. Es
       war leider schon zu jener Zeit Usus, dass die Radiomoderatoren so lange auf
       die Musik schwatzten, bis jemand zu singen begann.
       
       ## Es gab nie eine DDR-Platte von David Bowie
       
       Um es kurz zu machen: Eine David-Bowie-Platte konnte ich zu DDR-Zeiten nie
       kaufen. Es wurde nie eine aufgelegt. Erst nach der Wende realisierte ich,
       warum, obwohl ich es hätte wissen können, mein Englisch wäre gut genug
       dafür gewesen. Bowie hatte dank seinem Song über die Helden für einen Tag,
       die sich über die deutsch-deutsche Grenze hinweg lieben, nie eine Chance
       auf eine DDR-Plattenveröffentlichung. Nun, dem Weltstar konnte das herzlich
       egal sein. Ich aber litt Qualen. Und mit mir sicher viele DDR-Jugendliche.
       Vor allem schwule.
       
       David Bowie war meine persönliche Ikone, mein personal Jesus.
       Zusammengesetzt aus wenigen TV-Sequenzen aus dem Westfernsehen und ein paar
       Bildern aus einer in die DDR geschmuggelten Bravo. Der junge, androgyne Typ
       war einfach zauberhaft, engelsgleich, überirdisch schön und unglaublich
       sexy. Seine Lieder, die ausgefallenen Outfits (die engen Hosen!), die
       tollen Frisuren, das irre Make-up, das coole Britischsein, das Glamouröse,
       das Schwule – den Begriff queer gab es damals noch nicht – ach, einfach
       alles! Ich als pummeliger schwuler Junge vom Dorf, alles andere als offen
       schwul, war verliebt in David Bowie. Der durfte so sein, wie er wollte, und
       wirkte auf mich wie jemand von einem anderen Stern. Ein Rollenmodell par
       excellence. Und deshalb angebetet – und so merkwürdig vertraut; ein
       Wegbegleiter durch die Jahrzehnte. Mit seinen Musikstücken ein
       Seelentröster in schwierigen Momenten. Der Song „Heroes“ ist das bis heute
       von mir meist gehörte Lied auf meinem Smartphone.
       
       Und jetzt höre ich „Blackstar“, sein trauriges wie innovatives
       Abschiedsalbum, rauf und runter. Es wimmelt von Todesbotschaften. In
       „Lazarus“ zum Beispiel singt David Bowie „Look up here, I’m in Heaven“.
       
       Es ist zum Heulen.
       
       17 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Hergeth
       
       ## TAGS
       
 (DIR) David Bowie
 (DIR) Westberlin
 (DIR) DDR
 (DIR) Garten
 (DIR) TV-Serien
 (DIR) Comic
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Behelfsetikett
 (DIR) Kaffee
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne „Behelfsetikett“: Die Angst geht um unter Gärtnern
       
       Graben, jäten, grillen, chillen – das Dasein in einer Kleingartenanlage war
       schön, bis der Berliner Bauboom ausbrach. Jetzt wird auf Ordnung gepocht
       
 (DIR) Kolumne Behelfsetikett: Es muss schon ballern für die Quote
       
       Vorbilder gibt es genug: Doch wann kommt endlich eine coole Berlin-Serie?
       
 (DIR) Ausstellung zu queeren Comic-Helden: Batwoman ist lesbisch, Catwoman bi
       
       Die Schau „SuperQueeroes“ im Schwulen Museum Berlin liefert sehenswerte
       Hintergründe zu Ikonen der Comicgeschichte.
       
 (DIR) Kolumne Behelfsetikett: Der Klimawandel – das sind wir
       
       Die Erderwärmung schreitet voran. Was hat das Individuum damit zu tun? Eine
       ganze Menge. Müll trennen und Biowaschpulver allein retten die Welt nicht.
       
 (DIR) Kolumne Behelfsetikett: Sagen wir mal so!
       
       Man sollte öfter über Sprache nachdenken. Das kann eine schöne
       Gedankenreise inspirieren bis hin zu Angela Merkel.
       
 (DIR) Kolumne Behelfsetikett: Die Geschmacksdiktatur lässt grüßen
       
       Kaffee ohne jeden Milchschaum wird jetzt wieder getrunken. Wer auf Milch
       beharrt, hat bisweilen Pech – und fühlt sich an die DDR erinnert.