# taz.de -- Film aus Äthiopien: Eine Gesellschaft im Umbruch
       
       > Erstmals lief ein äthiopischer Film bei den Festspielen von Cannes.
       > „Ephraim und das Lamm“ ist ein zärtliches Porträt der Bauern des Landes.
       
 (IMG) Bild: Szene aus „Ephraim und das Lamm“ von Yared Zeleke mit Rediat Amare als Ephraim.
       
       Der kleine Held in Yared Zelekes Langfilmdebüt „Ephraim und das Lamm“
       steigt einmal mit seinem Lieblingstier Chuni auf die höchste Felsenkuppe
       nahe der Farm seines Onkels und betrachtet wie eine Figur der romantischen
       Malerei das grandiose Panorama grüner Hügel und Bergrücken im äthiopischen
       Hochland, das sich unter ihm ausbreitet.
       
       Hier oben träumt der neunjährige Ephraim (Rediat Amare) von seiner
       verstorbenen Mutter und sehnt die Rückkehr des Vaters herbei, der in der
       Stadt Arbeit sucht. Hier nimmt er Abstand vom Zwist über seine Rolle in der
       Familie der Verwandten, zu denen ihn der Vater gegeben hat.
       
       „Ephraim und das Lamm“, der erste äthiopische Film, der jemals zu den
       Filmfestspielen in Cannes eingeladen wurde, ist von einem solch zärtlichen
       Spürsinn für die Schönheit und Vitalität des Landes geprägt, dass selbst
       die Zerreißproben, die der fremde kleine Außenseiter in seinem
       rückständigen, von Armut und Ernteeinbußen geplagten Umfeld durchleiden
       muss, in einer harmonischen Coming-of-age-Geschichte aufgehen.
       
       Im selben Alter wie Ephraim musste der 37-jährige Regisseur seine Heimat
       verlassen, als sein Vater vor dem Diktator Haile Mariam Mengistu in die USA
       floh. Yared Zeleke studierte Film an der New York University und kehrt nun
       mit dem Blick eines die Zukunft träumenden Ethnografen in die ländlichen
       Kultur seines Heimatlandes zurück.
       
       ## Dank der Städter für die Bilder vom Land
       
       „Mein Film“, erklärt er im Interview, „ist ganz bestimmt ungewöhnlich für
       Äthiopien, weil das Publikum dort romantische Upper-Class-Komödien gewohnt
       ist, die von der kleinen Filmindustrie dort produziert werden. Aber viele
       Städter haben mir nach der Premiere in Addis Abeba gedankt, weil es kaum
       warme und lebensnahe Porträts des Landlebens gibt, die sie an ihre
       ländlichen Verwandten erinnern.“
       
       Äthiopiens Wirtschaftskraft steige, der Lebens- und Bildungsstandard
       ebenso, „daher wird die Migration vieler junger kluger Äthiopier nach
       Europa und zu gefährlicheren Zielen im Mittleren Osten und in Südafrika
       nachlassen“, ist er sicher.
       
       Die Einladung nach Cannes für „Ephraim und das Lamm“ könnte mehr Filmen in
       Äthiopien den Weg ebnen, die das Leben der Bauern reflektieren, die zu
       „über 85 Prozent der Bevölkerung heute für ihre Subsistenz arbeiten“, so
       Yared Zeleke. „Sie leiden unter der Abholzung der Wälder und den deutlichen
       Anzeichen des weltweiten Klimawandels, aber mir war wichtig zu zeigen, dass
       keine Hungersnot in Äthiopien herrscht und wir trotz wachsender
       Modernisierung noch kein McDonald’s-Land sind.“
       
       Der kleine Ephraim hat den Vater bekocht, solange die beiden
       zusammenlebten. Bei den Verwandten besteht der Junge darauf, dass man sein
       geliebtes lebendiges Kuscheltier Chuni in Ruhe lässt, und empfiehlt sich
       dafür als Koch. Der Onkel (Surafel Teka) hat andere Pläne, er will dem
       Jungen das Hacken und Pflügen mit seinen archaischen Werkzeugen beibringen,
       männlich konnotierte Landarbeit, die er bei Ephraim jedoch nicht
       durchsetzen kann.
       
       ## Tsion entzieht sich den Heiratskandidaten
       
       „Der Platz am Feuer gehört den Frauen“, diese Zuschreibung ist in Yared
       Zelekes Film ebenso verhandelbar geworden wie die tradierte Bestimmung der
       Töchter zur Ehefrau und Mutter. Tsion (Kidisit Siyum), die älteste Tochter,
       lässt ihr Haar ungebändigt, gibt giftige Widerworte, entzieht sich ihren
       Heiratskandidaten und liest stattdessen lieber die Zeitung.
       
       Da findet sie Ratschläge für resistente Getreidesorten und natürliche
       Düngemittel – warum nicht mit dem Urin der Farmfamilie? Tsions Held ist der
       äthiopisch-amerikanische Botaniker Gebisa Ejeta, der für seine Forschungen
       über Getreide für Trockenzonen internationale Preise gewann.
       
       Yared Zeleke räumt ein, dass der coole Teenager sein „utopischer Traum
       einer Zukunfts-Figur“ sei, betont aber auch, dass er sich „von seinen auf
       dem Land lebenden Cousinen inspiriert“ fühle. So wundervoll-wundersam sein
       kindlicher Protagonist und dessen energische Komplizin Tsion das
       patriarchalische Reglement des Onkels und die anfängliche Willfährigkeit
       seiner Frau und der im Haus herrschenden Großmutter aus den Angeln heben,
       hält der Regisseur die emphatische Schilderung einer Gesellschaft im
       Umbruch doch für realitätstüchtig: „Schauen Sie sich die Ethopian Airlines
       an, die immerhin die erste All-female-Besatzung der Welt für ihre Flüge
       einsetzt.“
       
       Heranwachsen, erzählt dieses welthaltige Märchen, ist auch ein
       schmerzlicher Prozess des Loslassens. Ephraim nutzt seine Kochkünste klug,
       um sich auf dem Markt Geld für die Busfahrt ins Heimatdorf zu verdienen,
       immer das Lamm an seiner Seite. Doch was, wenn der Vater fortbleibt und das
       Lämmchen lieber mit anderen auf die Weide geht? Der Junge erobert sich
       seinen Platz in Yared Zelekes Tableau einer letztlich aufgeschlossenen,
       intakten Gemeinschaft.
       
       Viele Fragen bleiben: Wo gehen die Kinder zur Schule? Wie sieht die
       beklagte teure medizinische Versorgung aus? Auf wen spielt die Figur eines
       bewaffneten Reiters an, der den kleinen Helden einmal bedroht? Yared Zeleke
       besteht darauf, dass „Ephraim und das Lamm“ kein Dokumentarfilm sei,
       sondern ein Appell. Als Tsion nach Adis Abeba aufbricht, ist „ihre Zukunft
       ebenso ungewiss wie die Zukunft Äthiopiens. Aber ich persönlich hoffe für
       beide.“
       
       26 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Lenssen
       
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