# taz.de -- NGO-Mitarbeiter über Lager in Ungarn: „So kann man allenfalls Tiere halten“
       
       > Peter Bouckaert von Human Rights Watch ist in Ungarn vor Ort. Gespräch
       > über Polizeigewalt, systematische Verletzung von Menschenrechten und neue
       > Realitäten.
       
 (IMG) Bild: Maximal 36 Stunden sollen Flüchtlinge in einem der Camps an der ungarisch-serbischen Grenze verbringen – oft dauert es länger.
       
       taz: Auf seine Flüchtlingspolitik angesprochen, sagt Ungarns Präsident
       Viktor Orbán, er erfülle nur die Richtlinien der EU. 
       
       Peter Bouckaert: Bei den EU-Richtlinien geht es nicht nur darum,
       Fingerabdrücke zu nehmen, sondern auch um eine humane und
       menschenrechtskonforme Behandlung. In den Lagern hier werden die
       Menschenrechte dieser Leute verletzt.
       
       Systematisch? 
       
       Systematisch und mit voller Absicht. Ungarn soll als Asylland so
       unattraktiv wie möglich erscheinen. Es gibt keine Dolmetscher und zu wenig
       Nahrung. Die Leute werden nicht informiert, ob das Essen halal ist oder
       Schweinefleisch enthält. Manche werden ernsthaft krank. Wir haben Fälle von
       neugeborenen Babys mit Fieber dokumentiert. Es gab Herzinfarkte,
       epileptische Anfälle und Zuckerschocks von Diabetikern, weil die Menschen
       keine Möglichkeit haben, ihre Probleme zu kommunizieren. Die Lager sind
       überfüllt. Die letzten drei Tage gab es kalten Regen, jetzt wird es wieder
       heiß. So kann man allenfalls Tiere halten.
       
       Wie lange sind sie da eingesperrt? 
       
       Nach dem Gesetz maximal 36 Stunden. Aber es dauert oft länger. Dann kommen
       sie zur Migrationsbehörde, die ihnen die Fingerabdrücke abnimmt. Danach
       werden sie zum Budapester Bahnhof Keleti gebracht und können dort einen Zug
       nach Österreich nehmen. Ungarn ist wirklich die schwierigste Etappe der
       langen Reise.
       
       Es gibt Berichte über Misshandlungen durch die Polizei. 
       
       Wir haben viele Fälle von Polizeigewalt dokumentiert. Man muss verstehen,
       dass die Polizisten 16-Stunden-Dienste schieben und mit Tausenden
       Asylbewerbern konfrontiert sind. Aber das rechtfertigt keine Schläge.
       Ungarn ist offensichtlich nicht in der Lage, diese Lager auf humane Weise
       zu managen. Wenn Orbán alle hier registrieren will, ist das okay. Aber dann
       muss er die Menschen auch menschlich behandeln.
       
       Am Dienstag soll der Zaun geschlossen werden. 
       
       Diese Menschen haben ihre letzten Ersparnisse zusammengekratzt und die
       beschwerliche Reisen auf sich genommen, um nach Europa zu kommen. Ein Zaun
       wird sie nicht aufhalten. Wir müssen über Zäune hinaus denken und
       überlegen, wie sicheres Asyl in europäischen Ländern zugänglich werden
       kann. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien und sind legitime
       Asylbewerber. Wir können sie nicht in Ländern wie Griechenland, Italien und
       Ungarn einsperren. Die gehören zu den ärmsten Ländern der Union und
       verfügen nicht über die Mittel, mit Flüchtlingen gemäß europäischen
       Standards umzugehen.
       
       Die EU muss einen Plan entwickeln, wie die Verantwortung geteilt werden
       kann. Deutschland hat die Führung übernommen und die Aufnahme von 800.000
       Flüchtlingen in diesem Jahr zugesagt. Andere Länder sprechen noch immer von
       10.000 oder 20.000. Sie müssen der neuen Wirklichkeit ins Auge sehen. Auch
       Länder wie Kanada, Australien und die USA müssen einen Teil der
       Verantwortung übernehmen.
       
       Dienstag treten in Ungarn die neuen Fremdengesetze in Kraft. Werden die
       Neuankömmlinge dann zurückgeschickt? 
       
       Es sollen wohl Abschiebezentren geschaffen werden. Asylanträge werden im
       Schnellverfahren geprüft und nachdem Serbien als sicherer Drittstaat gilt,
       werden sie dann zurückgeschickt werden. Das löst aber das Problem nicht.
       Flüchtlinge werden über Bosnien, Kroatien, Slowenien neue Routen finden.
       Oder es passiert dasselbe, wie jüngst in Mazedonien. Dort wurde die Grenze
       gesperrt und nach ein paar Tagen wurde der Druck so groß, dass die Lage
       unkontrollierbar wurde. Wir müssen einsehen, dass es eine neue Situation
       gibt, auf die Europa eine Antwort finden muss.
       
       Wie viele Menschen sind Ihrer Einschätzung nach denn noch unterwegs? 
       
       Auf den griechischen Inseln Lesbos und Kos landen täglich 10.000. Sie
       werden alle nach Ungarn und letztlich Deutschland kommen. Man kann sich
       ausrechnen, dass die Quote von 800.000 Asylwerbern in weniger als drei
       Monaten voll ist. Daher muss man langfristig denken. Wir wissen von unseren
       Kontaktleuten im Libanon, in der Türkei, in Afghanistan und Somalia, dass
       sich noch viel mehr Menschen auf den Weg machen wollen.
       
       13 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
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