# taz.de -- Sommercamp des Chaos Computer Clubs: Entre Nerds
       
       > Der CCC bietet dieses Jahr fantastische Internetverbindungen und alles
       > zur „Landesverratsaffäre“ um „netzpolitik.org“.
       
 (IMG) Bild: Bunte Zelte und eine Rakete beim Camp des Chaos Computer Clubs in Zehdenick.
       
       Zehdenick taz | Mit dem Eintrittsticket bekommen die Zeltenden eine etwa
       handflächengroße Platine, die sie sich um den Hals hängen können. Für sie
       ist der Wert der Gabe genauso offensichtlich wie für den Laien kaum
       erkennbar: Ein „softwaredefiniertes Radio“, zum Senden und Empfangen, das
       man für das gesamte Frequenzspektrum verwenden kann: Handydaten, WLAN,
       Funk, Radio – „ein Schweizer Taschenmesser für Radiotechnik“. Eine
       Bedienungsanleitung gibt es nicht. Was man damit machen soll, ist die
       inoffizielle Aufgabe für die fünf Tage Zeltlager.
       
       Alle vier Jahre treffen sich HackerInnen, ProgrammiererInnen, AktivistInnen
       und Interessierte aus der ganzen Welt auf dem Chaos Communications Camp.
       Ein bisschen wie der jährliche Kongress, aber weniger arbeitsintensiv,
       versichert ein Sprecher vom gastgebenden Chaos Computer Club: „Hier machen
       wir miteinander Sommerurlaub.“ Diesmal in einer ehemalige Ziegelei nahe
       Berlin. Sonst ist das Gelände ein Erlebnispark für längst überholte
       Industrietechniken, bis Montag wird hier über die neuesten Technologien
       diskutiert.
       
       Die brandenburgische Sommerhitze hat die Wege in trockene Staubpisten
       verwandelt, das abgemähte Gras auf den Zeltplätzen fühlt sich an wie Stroh.
       Hunderte Zelte haben den Park in eine kleine Stadt mit knapp 4.000
       Bewohnern verwandelt, deren Straßen nach MathematikerInnen, ForscherInnen
       und ProgrammiererInnen aus der gesamten Welt benannt sind. Abends tuckert
       die Ziegeleibahn im Schritttempo über Schmalspurgleise um das Lager, vorne
       gibt es eine Bar, mittendrin ein Bällebad, wer mitfahren will, springt
       einfach auf.
       
       Auf der Al-Khwarizmi-Allee rennt ein Mann, ausgezogen bis auf die
       Unterhose, aus einem Zelt: „Hej Leute, wollt ihr eine kostenlose Freundin?“
       Wie bitte? Ja, eine kostenlose Freundin, ist das ein Angebot? „Dann kommt
       zum Speeddating jeden Mittag hier bei uns“, sagt er freundlich und fängt
       dann an von seiner Lieblingsserie am späten Abend auf einem Kindersender zu
       schwärmen.
       
       Die Atmosphäre ist so spießig wie auf jedem anderen Zeltplatz: Leute hängen
       im Unterhemd in Wohnwagen herum, andere sitzen trinkend in einem
       Freizeitzelt, vor den Klos bilden sich Schlangen und die Duschen sind jeden
       morgen erneut voller Schuhdreck.
       
       ## Aus dem Dixieklo kommen Kabel
       
       Mit kleinen Unterschieden: Mehr Leute trinken Mate als Bier, die Schlange
       vor dem Männerklo ist länger als bei den Frauen, und überall widmen
       Menschen ihre Aufmerksamkeit zumindest teilweise ihren Gadgets. Riesige
       Generatoren brummen ohne Unterbrechung, dicke Kabel versorgen die Zelte mit
       Strom, es gibt ein eigenes Handynetz für Kommunikation im Zeltlager und aus
       umgebauten Dixie-„Datenklos“ kommen Netzwerkkabel. Mitten im
       unterversorgten Brandenburg gibt es hier Hochgeschwindigkeitsinternet.
       
       Auf einem Campingstuhl vor seinem Zelt schwärmt Brewster Kahle, der
       charismatische, grauhaarige Gründer des [1][Internet Archive], von der
       Atmosphäre. „Sonst ist es vielen ja peinlich, im Urlaub von der Arbeit zu
       reden“, sagt er „Hier nicht.“ Er sucht Programmierer, die helfen, sein
       Archiv zu vervollständigen und besser durchsuchbar zu machen. Aber zuerst
       will er in den Teich nebenan springen: „Es ist so heiß, ich gehe jetzt
       baden!“
       
       Wer nicht aus der Hitze an eine der vielen Stichseen flüchtet, wo einst der
       Rohstoff für die Ziegelherstellung geholt wurde, kann in zwei großen
       Vortragszelten hören, [2][wie man einen Tor-Server betreibt], [3][wie
       Autoelektronik gehackt werden kann, um neue Funktionen freizuschalten],
       oder [4][wie man veganen Käse herstellt]. Wer sich nicht bewegen will, kann
       im Zelt bleiben und den Livestream schauen.
       
       ## Käse machen und Hähne schlachten
       
       In kleineren Zelten, verteilt über das ganze Lager, gibt es selbst
       organisierte Workshops: Wie programmiert man Datenbanken, die auch
       Geschlechter jenseits von Mann und Frau berücksichtigen? Wie wehrt man sich
       gegen Funkzellenabfragen der Polizei? Wie schlachtet man einen Hahn?
       
       Käse herstellen? Hähne schlachten? Hacken ist im Camp nicht ausschließlich
       technisch gemeint und bedeutet eher so etwas wie „Selbermachen“.
       
       Die Zeltenden kennen sich mit Elektrotechnik gut aus und können mit ihr
       basteln wie andere mit Pappe und Schere. Zwei Männer haben eine Europalette
       auf Räder gestellt, einen Motor angebaut und fahren auf den Bahngleisen
       spazieren. Für die Kinder gibt es ein riesiges Zelt mit Duplosteinen und
       eines zum Roboterbasteln.
       
       Durch die Vorträge zieht sich immer wieder das wichtigste Hackerthema der
       vergangenen Wochen: staatliche Überwachung. Es ist erst zwei Wochen her,
       dass der ehemalige Generalbundesanwalt zurücktreten musste, weil er gegen
       die Macher von [5][Netzpolitik.org] wegen „Landesverrat“ ermittelte; kurz
       davor waren Daten der Firma Hacking Team geleakt worden, die
       Überwachungsprogramme an diktatorische Staaten lieferte, für die sich auch
       die deutschen Polizei interessierte.
       
       ## Landesverrat und Datensicherheit
       
       Markus Beckedahl, Gründer und Chefredakteur von Netzpolitik.org, fasst die
       [6][„Landesverratsaffäre“] in seinem Vortrag zusammen, aber oft geht es um
       grundsätzliche Fragen: [7][Kann man bei Open-Source-Software militärische
       oder polizeiliche Nutzung ausschließen]? Wie steht es um
       [8][Verschlüsselung im Internet]? Sollten Hacker sich in der Freizeit um
       die Datensicherheit von gefährdeten Aktivisten kümmern?
       
       Die Vortragenden sind in ihren Präsentationen mal überschwänglich – „Die
       hier Anwesenden könnten gemeinsam das Internet revolutionieren“ – mal
       resigniert: „Leute, es gibt seit 25 Jahren PGP-Verschlüsselung, warum ist
       es noch nicht überall Standard?“
       
       Dass Überwachung nicht nur eine technische Frage ist, [9][präsentieren dann
       drei Opfer des britischen Polizeispitzels Mark Kennedy]: Harry Halpin, ein
       Verschlüsselungsforscher, der wegen Kontakten zu Kennedy auf einer
       Terror-Warndatei landete, Jason Kirkpatrick, der mit Kennedys Alter Ego
       befreundet war, und „Lily“, eine Umweltaktivistin, mit der Kennedy mehrere
       Jahre eine Beziehung führte. An diesem Abend auf dem Chaos Communication
       Camp in Zehdenick entscheidet sich „Lily“, endgültig ihren Pseudonym
       abzulegen.
       
       „Die britischen Behörden haben klar gemacht, dass unser Schicksal sie nicht
       interessiert“, sagt sie. „Mein Deckname fühlt sich an wie ein Maulkorb.“
       Auf der Leinwand erscheint ein Bild von ihr und Kennedy. Und ihr
       bürgerlicher Name: Kate Wilson. Der lange Applaus macht sie verlegen.
       
       ## Die Raketenattrappe
       
       Am Abend, wenn die Luft abkühlt, vergisst man kurz, was für ein Festival
       das hier genau ist. Aus Lautsprechern kommt lockerer Reggae, auf einer
       Anhöhe stehen Leute, die riesige Seifenblasen machen, denen Kinder unten
       auf der Wiese hinterherrennen. Erwachsene und Kinder bringen sich
       gegenseitig Jonglier- und Poi-Tricks bei, werfen sich Bälle zu oder sitzen
       herum, trinken und quatschen.
       
       Nur die riesige Raketenattrappe in der Mitte erinnert an den CCC. Neben ihr
       sitzen zwei Männer mit Vollbart und basteln an ihren Radioplatinen.
       
       17 Aug 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://media.ccc.de/browse/conferences/camp2015/camp2015-6939-towards_universal_access_to_all_knowledge_internet_archive.html
 (DIR) [2] http://media.ccc.de/browse/conferences/camp2015/camp2015-6793-a_torifying_tale.html#video
 (DIR) [3] http://media.ccc.de/browse/conferences/camp2015/camp2015-6854-carhacking_state_of_the_art.html#video
 (DIR) [4] http://media.ccc.de/browse/conferences/camp2015/camp2015-6702-real_vegan_cheese.html#video
 (DIR) [5] https://netzpolitik.org/
 (DIR) [6] http://media.ccc.de/browse/conferences/camp2015/camp2015-7043-kontrolle_ist_gut_landesverrat_ist_besser.html#video
 (DIR) [7] http://media.ccc.de/browse/conferences/camp2015/camp2015-7046-freie_software_gegen_unsere_freiheit.html
 (DIR) [8] http://media.ccc.de/browse/conferences/camp2015/camp2015-6889-encrypted_email_for_planet_earth.html
 (DIR) [9] http://media.ccc.de/browse/conferences/camp2015/camp2015-6741-resisting_surveillance_it_s_is_not_just_about_the_metadata.html
       
       ## AUTOREN
       
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