# taz.de -- BfN-Chefin über Artensterben: „Der Feind heißt Agrarsubvention“
       
       > Braucht man wirklich 600 Bienenarten? Das ist auch eine Frage des
       > Glücksempfindens, sagt Beate Jessel vom Bundesamt für Naturschutz.
       
 (IMG) Bild: In Deutschland gibt es fast 600 Wildbienenarten.
       
       taz: Frau Jessel, das Bundesamt für Naturschutz gibt es seit 1993. Aber
       seit dieser Zeit geht es mit dem Naturschutz in Deutschland bergab. Wofür
       brauchen wir Ihre Behörde? 
       
       Beate Jessel: Naturschutz hat ein breites Spektrum: Wir beraten die
       Bundesregierung, fördern Naturschutzprojekte und arbeiten für
       Nachhaltigkeit in der Agrar- und Waldpolitik. Immerhin macht die
       Landwirtschaft in Deutschland 50 Prozent der Fläche aus, die
       Forstwirtschaft 30 Prozent.
       
       Das klingt beeindruckend. Aber Ihr aktueller Bericht zeigt: Es ist eine
       Sisyphosarbeit, immer mehr Arten sind gefährdet. 
       
       Steter Tropfen höhlt den Stein. Die Lage der Artenvielfalt in Deutschland
       ist dramatisch. Aber wir dürfen nicht immer nur Alarm schlagen, sondern
       müssen auch unsere Erfolge zeigen. Wenn gezielt Naturschutz gemacht wird,
       haben wir Erfolge wie bei Seeadler, Fischadler, Schwarzstorch oder
       Wiesenweihe.
       
       Sie schlagen aber laut Alarm: Ein Drittel der Arten gefährdet, der Verlust
       an Vielfalt geht weiter. Sehen wir das weltweite Artensterben auch bei uns
       im Schrebergarten? 
       
       Die Vielfalt leidet auch, wenn Arten nicht völlig aussterben, sondern
       Bestände und Verbreitung heimischer Arten drastisch zurückgehen. Beim
       Rebhuhn haben wir teilweise einen Verlust von 90 Prozent. Wenn Lebensräume
       und Bestände so dramatisch schwinden, geht es irgendwann um Sein oder
       Nichtsein.
       
       Die Trends machen Optimismus schwer. 
       
       Ich bin gegen einen Grundpessimismus. Wenn alles nur schlimm ist, dann
       gerät aus dem Blick, wo sich unsere Anstrengungen lohnen. Im Naturschutz
       gibt es viele Ehrenamtliche und Verbände, die müssen wir ermutigen. Es gibt
       positive Entwicklungen: die Wildkatze ist mit bis zu 7.000 Exemplaren
       wieder verbreitet, der Wolf kommt zurück. Wir haben Erfolge, wo wir
       Landwirte für Naturschutzleistungen bezahlen, etwa wenn sie die Ränder der
       Äcker brachliegen lassen, das hilft den Ackerwildkräutern.
       
       Artenvielfalt ist ein konkretes Thema, aber schwer zu vermitteln. Der
       abstrakte Klimaschutz dagegen steht höher in der öffentlichen Wahrnehmung.
       Warum? 
       
       Der Klimaschutz ist zum Beispiel in das plakative Zwei-Grad-Ziel gefasst
       worden. Aber Biodiversität ist sehr viel komplexer, weil in der Natur
       letztlich alles mit allem zusammenhängt. Ich werde oft gefragt: Ist es denn
       so schlimm, wenn eine Insektenart bei uns ausstirbt? Da sagen wir: Es gibt
       bei den Bienen nicht nur die zwei Arten der Honigbiene, wir haben auch fast
       600 Wildbienenarten, die wichtig sind, um Pflanzen zu bestäuben.
       
       Da sagen viele: 300 Bienenarten reichen auch. 
       
       Das ist genau der Punkt. Studien zeigen: Wenn eine der Bienenarten
       verschwindet, werden sogenannte Bestäubernetze gestört. Es springen zwar
       andere Arten in die Bresche, aber dadurch werden insgesamt weniger Pflanzen
       bestäubt und befruchtet, die Menge und Qualität nimmt ab. Wir wissen zu
       wenig, was passiert, wenn ein Glied aus dieser Kette fehlt. Deshalb
       brauchen wir alle Arten.
       
       Warum gibt es keine konkreten Ziele beim Artenschutz, so wie das
       Zwei-Grad-Ziel beim Klima? 
       
       Aber die gibt es ja: Die nationale Strategie der Bundesregierung zur
       Biodiversität umfasst allerdings 330 Ziele und 430 Maßnahmen. Das ist sehr
       viel. Aber es gibt auch plakative Ziele: 5 Prozent der Wälder sollen der
       Nutzung entzogen sein und sich frei entwickeln können, da liegen wir jetzt
       erst bei 1,9 Prozent. Dieses Ziel ist natürlich heftig umstritten. Die
       Forstwirtschaft sagt, wir müssen den Wald flächendeckend nutzen.
       
       Wie kontern Sie solche Argumente? 
       
       Für den Artenschutz spricht die Klugheit, also ökonomische Gründe. Dann
       Gerechtigkeit, denn wir können nicht Urwald am Amazonas schützen, aber zu
       Hause keine eigenen Urwälder zulassen. Aber auch Glücksargumente: Die große
       Mehrheit der Menschen empfindet Glück und Freude, sich in der Natur
       aufzuhalten, Wildnis hautnah zu erleben oder den Gesang der Feldlerche zu
       hören.
       
       Aber die Glücksgefühle hören auf, wenn der Naturschutz mein Neubaugebiet
       verhindert. 
       
       Wir müssen den Leuten dann klarmachen, warum dieses Land so wichtig ist.
       Wir dürfen gerade bei Bauvorhaben den Naturschutz aber auch nicht
       instrumentalisieren und vorschieben, wenn der Widerstand gegen ein Projekt
       eigentlich ganz andere Gründe hat.
       
       Sie nennen auch ökonomische Gründe für den Artenschutz. Das kann schnell
       zur Vermarktung der Natur führen. 
       
       Wir müssen dieses Instrument vernünftig nutzen. Es ist Unsinn, den Wert
       eines Feuchtgebietes an sich zu bestimmen. Aber wir können sehr wohl
       berechnen, welche Leistungen uns verloren gehen, wenn das Feuchtgebiet
       verschwindet. Was kostet es, das Wasser anders zu reinigen? Das ist dann
       ein zusätzliches Argument für Artenschutz.
       
       Wenn Artenschutz schon in einem der reichsten Länder der Erde nicht
       funktioniert: Wie können wir dann von armen Ländern erwarten, ihre Natur
       wie den Regenwald zu schützen? 
       
       Diese Gerechtigkeitsaspekte sind sehr wichtig. Wir sind in der Pflicht, im
       eigenen Land mit gutem Beispiel voranzugehen und uns auch ein bisschen
       Wildnis vor der Haustür zu gönnen. Und wir müssen gleichzeitig den armen
       Ländern helfen, zum Beispiel beim Kampf gegen Wilderei, die die
       Biodiversität bedroht.
       
       Was in Kamerun die Wilderer sind, sind bei uns die Bauern. Wie sagen Sie
       Landwirten, dass sie die größte Gefahr für die Artenvielfalt sind? 
       
       Ich habe letztes Jahr auf dem Bauerntag in Schleswig-Holstein über die Wege
       zum Naturschutz geredet. Dabei habe ich klar auf die Probleme hingewiesen,
       aber auch versucht, Möglichkeiten der Kooperation zwischen Landwirtschaft
       und Naturschutz aufzuzeigen. Denn es gibt Erfolge: Bei unserem Wettbewerb
       „Naturschutzhöfe“ haben viele konventionelle Bauern gezeigt, wie kreativ
       sie Naturschutz umsetzen, wenn sie dafür entlohnt werden.
       
       Also Naturschutz gegen zusätzliches Geld. Aber Sie sagen selbst, dass viele
       Gesetze zum Naturschutz in Land- und Forstwirtschaft nicht eingehalten
       werden. 
       
       Ein Landwirt muss sein Geld verdienen. Aber der größte Feind der Natur sind
       die Agrarsubventionen. Immer noch fließt viel zu viel Geld in
       Flächenprämien, die der Landwirt ohne größere Gegenleistungen bekommt. Das
       hat sich mit der letzten Agrarreform nur wenig verbessert. Immer noch wird
       die Zerstörung der Landschaft subventioniert. Bund, Länder und Kommunen
       geben in Deutschland jedes Jahr knapp 1 Milliarde Euro für den Naturschutz
       aus. Aber allein die Flächenprämien liegen bei 5 bis 6 Milliarden.
       
       Es wird fünf- bis sechsmal so viel ausgegeben, um die Artenvielfalt zu
       gefährden, wie für Naturschutz? 
       
       Das sind fehlgesteuerte Subventionen. Die Landwirtschaft produziert nicht
       nur Nahrung, sondern auch Landschaft, sauberes Grundwasser, intakte Böden,
       Erholung. Um das zu gewährleisten, müssen wir schnell umsteuern.
       
       Müsste sich Ihr Amt da nicht politisch mehr einmischen? 
       
       Wir sind eine wissenschaftliche Behörde, wir beraten und legen Fakten dar,
       wie wir es mit diesem Bericht tun. Aber Politik beraten heißt nicht Politik
       machen. Wir erheben sehr konkrete Forderungen, aber es ist auch klar:
       Unsere Macht ist begrenzt. Der Einfluss von Landwirtschaft, Fischerei,
       Verkehr, Forst- und Energiewirtschaft auf den Artenschutz ist sehr viel
       größer als unser Einfluss. In diese Wunde legen wir immer wieder den
       Finger.
       
       Werden wir weiter an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen? 
       
       Wenn wir nicht entschieden gegensteuern, schaffen wir bis 2020 nicht einmal
       eine Trendumkehr. Für 2020 stehen europäische Ziele an, den Schwund der
       Artenvielfalt zu stoppen und 15 Prozent der zerstörten Lebensräume
       wiederherzustellen. Die EU hat ihr Biodiversitätsziel 2010 verfehlt. Das
       können wir uns nicht noch einmal leisten.
       
       22 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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