# taz.de -- Krieg in Libyen: Amerikaner wollen nicht führen
       
       > Frankreich und die Türkei sind in der Libyenpolitik uneins - der einzige
       > Konsens: Die Nato soll sich raushalten. Die Alliierten können sich
       > derweil auf kein gemeinsames Ziel einigen.
       
 (IMG) Bild: Da schien die französisch-türkische Welt noch in Ordnung: Sarkozy und Erdogan Ende Februar in Ankara.
       
       GENF taz | Die befürchtete Eroberung Bengasis und ein Blutbad in der von
       Aufständischen kontrollierten zweitgrößten Stadt Libyens konnte mit den
       Angriffen gegen Gaddafis vorrückende Truppen verhindert werden. Doch was
       sind die weiteren Ziele der militärischen Gewaltanwendung nach diesen
       Angriffen? Wer übernimmt die operative Koordination und politische Führung
       weiterer Militäraktionen?
       
       Bei allen internationalen Militäroperationen seit Ende des Kalten Krieges
       war die Antwort klar. Ob im Irak 1991 und 2003, Bosnien 1993-1995 oder
       Serbien/Kosovo 1999, ob mit oder ohne UNO-Mandat, mit oder ohne offizielle
       Beteiligung der Nato oder einzelner Staaten in einer "Koalition der
       Willigen" - stets übernahmen die USA die militärische, operative und
       politische Führung und steuerten die meisten Soldaten, Waffen und Munition
       bei.
       
       Das soll diesmal anders sein, wie in den vergangenen Tagen verschiedene
       Vertreter der Obama-Regierung und der US-Armee immer wieder deutlich
       gemacht haben. Zwar war der unter Druck des Kongresses in Washington am
       Donnerstag erfolgte abrupte Schwenk der Obama-Regierung hin zur Anwendung
       militärischer Mittel ausschlaggebend für den Beschluss des
       UN-Sicherheitsrats.
       
       Auch übernahmen die Luft- und Seestreitkräfte der USA zumindest in den
       ersten 24 Stunden den Hauptteil der Angriffe auf libysche
       Luftabwehrstellungen sowie militärische Kommando- und
       Kommunikationssysteme, um damit die Voraussetzung für eine Flugverbotszone
       zu schaffen. Doch dabei soll es bleiben, erklärte Verteidigungsminister
       Robert Gates.
       
       Die Obama-Regierung will die Führung an die Nato, an Frankreich oder an
       Großbritannien abgeben - aus politischen Gründen - und nach den Kriegen in
       Irak und Afghanistan unbedingt den Eindruck vermeiden, sie führten einen
       dritten Krieg gegen ein islamisches Land. Doch unter den 28
       Mitgliedsstaaten der Nato zeichnet sich bislang nicht der erforderliche
       Konsens zur Übernahme der Führungsrolle im Libyen-Konflikt ab.
       
       ## Türken und Franzosen gegen Nato-Kommando
       
       Der stärkste Widerstand kam von Frankreich und der Türkei. Der französische
       Präsident Nikolas Sarkozy, in den vergangenen zwei Wochen wesentlicher
       Antreiber für ein militärisches Eingreifen in Libyen, beansprucht die
       Führungsrolle für sein Land. Denn vom Ausgang des Libyen-Konflikts hängt
       möglicherweise sein politisches Überleben bei den Präsidentschaftswahlen
       2012 ab. Doch gegen eine Führungsrolle Frankreichs sperrt sich die Türkei.
       
       Die Regierung in Ankara ist über die bisherige Rolle Frankreichs vergrätzt,
       da Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan von Sarkozy am Samstag nicht zum
       Libyen-Gipfel nach Paris eingeladen wurde. Zugleich sperrt sich die Türkei
       dagegen, dass die Nato das Oberkommando über weitere Militäraktionen in
       Libyen oder auch nur die Überwachung der Flugverbotszone übernimmt.
       Dahinter steht die Sorge, eine offizielle Führungsrolle der Nato könne
       denjenigen in den arabischen und nordafrikanischen Staaten sowie in der
       islamischen Welt, die hinter den Militäraktionen nur das imperialistische
       Interesse des Westens vermuten, zusätzliche Argumente liefern.
       
       Allerdings ist zu bezweifeln, dass es für diese Wahrnehmung einen
       Unterschied macht, ob wie bislang Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe der drei
       führenden Nato-Staaten USA, Großbritannien und Frankreich ohne
       Nato-Kommando die Angriffe auf Libyen ausführen oder künftig diese drei
       Staaten eventuell gemeinsam mit ein paar weiteren Ländern unter einem
       Nato-Kommando. Selbst wenn sich demnächst tatsächlich auch einige
       Kampfflugzeuge aus arabischen Ländern aktiv an den Angriffen beteiligen
       sollten, dürfte das die Wahrnehmung nicht wesentlich verändern.
       
       Der entscheidende Grund für die Uneinigkeit im Lager der westlichen Staaten
       von Nato und EU ist die Frage, was die mittel-und langfristigen Ziele der
       Militäraktionen sein sollen. Noch vor zehn Tagen beschloss ein EU-Gipfel
       offiziell die Forderung, Gaddafi müsse abtreten. Auch US-Präsident Barack
       Obama verlangte den Abgang des Diktators. Gaddafi habe "jegliche
       Legitimität verloren, sein Volk zu führen". Doch diese Forderung ist weder
       in den beiden Resolutionen 1970 und 1973 des UN-Sicherheitsrats vom Freitag
       und dem 26. Februar enthalten, noch dem Beschluss mit dem die Arabische
       Liga eine Flugverbotszone befürwortete.
       
       ## Gaddafis Absetzung nicht Ziel der Militäraktion
       
       Für die drei afrikanischen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates, Nigeria,
       Südafrika und Gabun war dies eine ausdrückliche Bedingung ihrer Zustimmung
       zu diesen Resolutionen. Inzwischen rückte zumindest die US-Militärführung
       von der Forderung nach einem Abtritt Gaddafis ab. Das sei "nicht Ziel der
       Militäraktionen", betonte Generalstabschef Mike Mullen am Sonntag.
       
       Zugleich aber erklärte der britische Verteidigungsminister Liam Fox, ein
       militärischer Angriff auf die Person Gaddafis sei "eventuell eine
       Möglichkeit". Und auch Außenminister William Hague erklärte auf eine
       entsprechende Frage der BBC: "Ich werde nicht über die Ziele von
       Luftangriffen spekulieren; das hängt von den Umständen zu bestimmten
       Zeitpunkten ab."
       
       Die Antwort auf die Frage nach der politischen Zukunft Gaddafis spielt eine
       Rolle für die Entscheidung, ob künftige aktive Maßnahmen der libyschen
       Aufständischen, etwa zur Rückeroberung von Städten, militärisch von außen
       gestützt werden sollen oder nicht. Ist es das Ziel, die territoriale
       Einheit Libyens zu erhalten? Oder wird eine Zweiteilung des Landes in Kauf
       genommen oder gar aktiv befördert? Dazu gibt es weder unter den
       Mitgliedsstaaten der Nato und EU noch unter den Ländern der Region,
       geschweige denn im UN-Sicherheitsrat Einigkeit.
       
       22 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Zumach
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Flüchtlinge aus Libyen: Auf der Flucht und vor dem Nichts
       
       Hunderttausende sind bereits vor Gaddafis Gewalt geflohen. Jetzt kommt der
       Krieg dazu. Dramatisch ist die Lage vieler Migranten aus Afrika südlich der
       Sahara.
       
 (DIR) Netzdebatte über Flugverbotszone: "Menschenrechte - das wäre ein Motiv"
       
       Flugverbotszone ja oder nein? Vorsichtig bilden sich politische Blogs in
       Deutschland eine Meinung. Eines findet überall Ablehnung: das Lavieren der
       Regierung.
       
 (DIR) Streit der Woche: Ist der Angriff gegen Gaddafi richtig?
       
       Eine internationale Koalition bombardiert die Kampftruppen von Libyens
       Diktator Gaddafi. Doch ohne Deutschland – auch wenn erste Politiker genau
       das fordern.
       
 (DIR) Bürgerkrieg in Libyen: Zahl der Luftangriffe soll zurückgehen
       
       Die Angriffe von Gaddafi-Truppen auf die Rebellen gehen auch am vierten Tag
       seit der Intervention weiter. Die Nato einigte sich auf ein Waffenembargo
       gegen Libyen auf dem Meer.
       
 (DIR) Gewalt gegen Gaddafi?: Unsere innere Merkel
       
       Viele Deutsche sind für einen Einsatz gegen Gaddafi, aber gegen eine
       Beteiligung der Bundeswehr. Ist das okay - oder einfach nur erbärmlich
       inkonsequent?
       
 (DIR) Dritte Nacht der Angriffe auf Libyen: Gaddafi bleibt unbeirrt
       
       Frankreich, Großbritannien und die USA fliegen erneut Luftangriffe gegen
       Gaddafis Truppen. In Tripolis brennen Marine-Einrichtungen. Gaddafi
       attackiert trotzdem weiter die Rebellen.
       
 (DIR) Krieg in Libyen: Bomben auf Tripolis, Streit in Brüssel
       
       Das UN-Bündnis fliegt weiter Luftangriffe gegen libysche Ziele. Jetzt
       streiten die Nato-Mitglieder, ob sie von den USA die Einsatzführung
       übernehmen sollen. Vor allem die Türkei sperrt sich.
       
 (DIR) Merkel und der Libyen-Einsatz: Ein bisschen Kriegsbeteiligung
       
       Die Bundesregierung will das Mandat für einen Awacs-Einsatz beschließen.
       Dafür käme das Ende des unionsinternen Streits um die Libyenpolitik gerade
       recht.
       
 (DIR) Ticker Libyen am Montag: EU verhängt weitere Sanktionen
       
       Innerhalb der EU gibt es Streit darüber, wer die Führung der Luftangriffe
       in Libyen übernimmt. Putin spricht von einem "Kreuzzug". Gaddafis Truppen
       greifen unterdessen weiter Misrata an.