# taz.de -- Kommentar Ehec, Gemüse und Ökos: Das apokalyptische Gefühl
       
       > Sag mir, wie du dich ernährst, und ich sage dir, was für ein Mensch du
       > bist. Und plötzlich sitzt der Feind im bislang ach so gesunden
       > Gemüsebeet. Was jetzt?
       
 (IMG) Bild: Gurken werden allerorts geopfert. In Deutschland, Spanien – und auch in Rumänien, wie hier zu sehen.
       
       Neulich am Autoradio: Die Meldung, unsere armen Landwirte litten so sehr
       unter einer Ehekrise, ließ mich aufhorchen. Bauer sucht Frau, klar. Mit
       halben Ohr nur hatte ich zugehört, zu sehr auf die Straße konzentriert.
       
       Nicht von Beziehungen, nicht von der Ehe – sondern von der Ehec-Krise war
       die Rede. Ich musste lachen. Dabei ging mein Fehlhören gar nicht so sehr am
       Problem vorbei: Denn unsere Ernährungsgewohnheiten haben einiges mit einem
       Bund fürs Leben zu tun. Desto mehr, je weiter sie von der realen Lebensnot
       entfernt sind.
       
       Es geht in unseren Breiten für die Mehrzahl der Bevölkerung ja nicht darum,
       den Hunger zu stillen. Ernährung ist bei uns Teil eines groß angelegten
       Gesundheits-, Wohlfühl- und Fitness, ja eines Identitätsprogramms. Sag mir,
       wie du dich ernährst, und ich sage dir, was für ein Mensch du bist.
       
       Vegetarier aller Länder überkommen von jeher Gruselgefühle bei der
       Vorstellung, sich Tierisches einzuverleiben, gentechnisch manipulierte
       Nahrungsmittel haben auch nicht zur Hysterie Neigende hochgradig
       sensibilisiert und die wechselnden Lebensmittelskandale von Gammmelfleisch
       bis BSE noch den letzten schlafenden Hund vor dem Fleischtresen im
       Supermarkt nachhaltig geweckt. Was bleibt übrig? Was kann man überhaupt
       noch essen?
       
       Eine kleine Umfrage in meinem überwiegend ökologische orientierten
       Freundeskreis brachte ein eindeutiges Ergebnis: Gemüse! Das war vergangene
       Weihnachten. Und nun? Wenn der Feind mitten im Gemüsebeet sitzt, was bleibt
       dann an Gewissheit über die richtige Ernährung? Wird nicht letztlich das
       ganze Leben dadurch infrage gestellt?
       
       ## Unsicherheit, Angst und Hilflosigkeit
       
       Mit jeder neuen Meldung, die uns erreicht – letzter, vielleicht schon
       wieder überholter Stand: Es war die deutsche Sprosse, nicht die spanische
       Gurke – wachsen Unsicherheit, Angst und Hilflosigkeit. Vergiftungsängste
       sind das Signum der neuen Ess-Klasse.
       
       Sie spiegeln die Ohnmachtsspirale, die sich gerade in der vermeintlich
       perfekten Naturbeherrschung zeigt: An den man-made desasters Typ Fukushima
       hat sich endgültig das Bewusstsein gebildet, dass jeder Fortschritt neue
       Bedrohungen produziert und – psychologisch entscheidend – unser ganzes
       akkumuliertes Wissen uns nicht hinreichend vor ihnen schützen kann. Die
       vermeintlich menschlich bemeisterte Natur schlägt heimtückisch zurück.
       
       Auch die Ehec-Krise verweist auf das immer komplizierter werdende
       Zusammenspiel von Natur und menschlichem Eingriff. Nur diesmal nicht im
       fernen Japan. Vor unserer Haustür, mitten in unserer behördlich
       beaufsichtigten Landwirtschaft, schlummert der Tod. Und das, wenn sich der
       aktuelle Verdacht bestätigt, ausgerechnet auf einem Biohof?
       
       ## Was nützt die ganze Ökologie?
       
       Was nützt dann, so die bange Frage vieler Bewussternährer, die ganze
       Ökologie? Mit der Angst vor Intoxikation wächst ein apokalyptisches Gefühl.
       Vergiftungsfantasien reichen deshalb so tief, weil sie an unseren
       psychologischen Urgrund rühren: Was wir uns durch den Mund einverleiben,
       muss einfach gut sein, das haben wir mit der Muttermilch aufgesogen. Es ist
       die Basis unseres Sicherheitsgefühls.
       
       Wie tiefgreifend diese Sorge unser Leben bestimmt, hat kaum ein anderes
       Ereignis klarer gezeigt als die Mutter aller postmodernen Katastrophen,
       Tschernobyl: Plötzlich rissen sich linksorientierte Ökologen in den
       Supermärkten die vorher aus politischen Gründen verpönten Lebensmittel aus
       Südafrika und Chile aus den Händen, weil sie nicht verstrahlt waren.
       Apartheid und Pinochet-Diktatur spielten keine Rolle mehr, es ging um die
       eigene leibliche Integrität. Die Ehec-Krise hat in dem Sinne wirklich etwas
       von einer Beziehungskiste: Sie erinnert an psychologische Abhängigkeiten,
       die tiefer sitzen als politische Überzeugungen. Und sie könnte ein Anlass
       sein, darüber nachzudenken, wie diese Erkenntnis ohne falsche Hysterie im
       Feld der Politik einzuholen ist.
       
       7 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Schneider
       
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