# taz.de -- "Three Strikes" gegen Filesharing: "Abschalten ist unverhältnismäßig"
       
       > Medienkonzerne fordern, Nutzern illegaler Tauschbörsen den Internetzugang
       > kappen zu lassen. Oliver Süme vom Providerverband eco e.V. hält das für
       > eine schlechte Idee.
       
 (IMG) Bild: Widerspricht dem Gewaltmonopol des Staates, findet Oliver Süme: Einfach das Internet abschalten.
       
       taz.de: Herr Süme, in Frankreich gilt seit längerem die sogenannte
       Three-Strikes-Regel, bei der Usern, die beim illegalen Filesharing erwischt
       werden, potenziell das Netz gekappt werden kann. In den USA erwägt man eine
       ähnliche Regel beim sechsten "Streich". Glauben Sie, dass Sie und Ihre
       Mitglieder in Deutschland demnächst ebenfalls erste Nutzer abschalten
       werden müssen? 
       
       Oliver Süme: Wir lehnen solche drakonischen Maßnahmen entschieden ab. Die
       deutschen Provider betreiben eine Infrastruktur, die den Bürgern
       uneingeschränkt den Zugang zu kommerziellen Angeboten, Informationen und
       Medien ermöglicht. Auch viele Angebote der öffentlichen Hand wie
       E-Government-Anwendungen sind zunehmend von Bedeutung. Der Zugang zum
       Internet ist für die Bürger mehr und mehr unverzichtbar, nach dem jüngsten
       Bericht des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Meinungs- und
       Pressefreiheit wird er daher sogar als Menschenrecht eingestuft. Das
       "Abschalten" von Bürgern im Falle von Urheberrechtsverletzungen halten wir
       auch vor diesem Hintergrund für völlig unverhältnismäßig.
       
       Sind solche Regelungen Ihrer Erfahrung nach überhaupt erfolgreich? 
       
       Ich glaube nicht, dass solch repressive Regelungen erfolgversprechend sind.
       Viel wichtiger sind innovative und funktionierende Geschäftsmodelle, mit
       denen qualitativ hochwertige digitale Inhalte zu angemessenen Konditionen
       legal erworben und anschließend bequem genutzt werden können. Insbesondere
       an Innovationen, die über das Geschäftsmodell "Zahlen gegen Download"
       hinaus gehen, fehlt es im Musik- und Filmbereich noch in vielen Bereichen.
       Nach einer Umfrage eines britischen ISP zur Einführung von
       Three-Strikes-Regelungen würden übrigens lediglich fünf Prozent der
       Befragten auf die Nutzung von P2P-Tauschbörsen verzichten oder diese
       weniger nutzen.
       
       Was macht "Three Strikes" und Co. aus Sicht der Provider zum Problem? 
       
       Besonders problematisch an derartigen Verfahren ist, dass hier
       Privatunternehmen, die Access Provider, die Rechtsdurchsetzung eines
       anderen Privatunternehmens, des jeweiligen Rechteinhabers, sicherstellen
       soll. Das bedeutet eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, die dem
       Gewaltmonopol des Staates widerspricht. Die von den Rechteinhabern
       geforderten Verfahren laufen zudem auf eine inhaltlichen Kontrolle,
       Überwachung sowie Sanktionierung ihrer Kunden hinaus. "Three Strikes" und
       ähnliche Verfahren sind daher nur unter Verzicht auf den Schutz eines
       rechtsstaatlichen Verfahrens, durch den Verzicht auf Einzelfallprüfungen
       und einer eingeschränkten rechtsstaatlichen Kontrolle der Maßnahmen
       möglich.
       
       Wie kommt es, dass die Medienindustrie vermehrt fordert, dass die Provider
       zu Hilfspolizisten werden? Reicht die aktuelle Rechtslage nicht aus? 
       
       Ich bin der Auffassung, dass der bestehende Rechtsrahmen mit dem erst im
       September 2008 neu geschaffenen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch und der
       zusätzlich bestehenden Möglichkeit der Strafanzeige den Rechteinhabern
       ausreichende Instrumentarien zur Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stellen.
       Nach unserer Erfahrung – und diese Einschätzung wird auch von vielen
       Rechteinhabern geteilt – wird der Auskunftsanspruch in Deutschland rege in
       Anspruch genommen und funktioniert. Es besteht daher kein Bedürfnis für
       eine Änderung des geltenden Rechtsrahmens mit dem Ziel, einseitige
       Regelungen zugunsten der wirtschaftlichen Interessen der Rechtsinhaber zu
       etablieren.
       
       Neulich haben Sie eine Statistik veröffentlicht, wonach jeden Monat 300.000
       Adressen von Providern an Rechteinhaber herausgegeben werden. Die Zahl
       scheint enorm hoch. 
       
       Die deutschen Provider beauskunften ca. 300.000 Anfragen zu IP-Adressen pro
       Monat. Daraus resultieren nicht zwingend auch 300.000 individuelle
       Adressdatensätze. Der entscheidende Punkt ist aber auch nicht, ob dieses
       Zahl hoch oder niedrig ist. Entscheidend ist die Erkenntnis daraus, dass
       der Auskunftsanspruch im Zusammenspiel zwischen Rechteinhabern, Gerichten
       und Providern funktioniert und rege genutzt wird. Besser übrigens als in
       jedem anderen EU-Land.
       
       Ist Deutschland ein Volk von Musik- und Video-Dieben? 
       
       Deutschland ist im europäischen Vergleich das Land mit dem niedrigsten
       Anteil illegaler Downloads. Hierüber besteht Einigkeit bei unabhängigen
       Marktbeobachtern, aber auch die Rechteinhaber wissen das. Man muss auch
       bedenken, dass die Verbreitung von Internet-Zugängen und die Bandbreite
       massiv zugenommen hat. Im Vergleich dazu ist der Anteil illegaler Downloads
       nicht exponentiell gestiegen, sondern relativ stabil geblieben, in einigen
       Branchen sogar stark zurückgegangen. Zudem steigt die Nutzung legaler
       Angebote im Internet rapide an. So hat sich in den Jahren 2003 bis 2009 der
       im Internet generierte Umsatz mit legaler Musik verachtfacht.
       
       Müssen die Provider prüfen, ob ein Justiziar der Medienindustrie bei seinem
       Abfragebegehren richtig liegt? In der Vergangenheit ist es schon häufiger
       vorkommen, dass Unschuldige in die Mühlen der Urheberrechtsverfolger
       gerieten. 
       
       Dies obliegt nicht den Providern, sondern nach geltendem Recht den
       Gerichten. Wir haben der gerichtlichen Anordnung zur Beauskunftung Folge zu
       leisten. Dieses Verfahren zeigt auch, wie wichtig es ist, dass es ein
       rechtsstaatliches Verfahren gibt, in dem ein Richter das Abfragebegehren
       prüft und darüber entscheidet. Es ermöglicht eine Kontrolle und gibt auch
       die Möglichkeit, sich gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen zur Wehr zu
       setzen.
       
       In den USA beginnen Provider auch deshalb, sich der Inhalteindustrie zu
       nähern, weil man mit dieser zusammenarbeiten will, etwa für eigene
       Videoangebote. Locken die deutschen Provider nicht ähnliche Deals? 
       
       Inhalteanbieter und Provider haben ein gemeinsames Interesse an der
       Verfügbarkeit und Bereitstellung attraktiver digitaler Inhalte. Vor dem
       Hintergrund der Digitalisierung sollten dementsprechend bestehende und
       zukünftige Geschäftsmodelle, die Entwicklung neuer Vertriebsstrukturen und
       Kooperationsmodelle bei der Bereitstellung digitaler Inhalte im Vordergrund
       stehen. Wie schwierig es jedoch ist, digitale Inhalte bereitstellen und
       tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln zu können, zeigen die langwierigen
       und zähen Verhandlungen mit der GEMA um die Lizenzierung von Inhalten bei
       Youtube und Spotify. Ich halte es für höchst problematisch, dass die
       Lizenzierung und Bereitstellung von digitalen Inhalten seitens der
       Rechteinhaber davon abhängig gemacht wird, dass Provider "Three
       Strikes"-Verfahren etablieren und den Rechteinhabern eine repressive
       Rechtsdurchsetzung zusichern müssen.
       
       In der Debatte geht es auch um die sogenannte Provider-Haftung. Momentan
       ist der Nutzer für das verantwortlich, was er tut, nicht sein
       Internet-Dienstleister – ähnliche wie die Post ja auch nicht für
       Briefbomben in Haftung genommen werden kann, die Terroristen mit ihr
       verschicken. Fürchten Sie, dass Provider künftig belangt werden könnten,
       wenn Nutzer Illegales tun? 
       
       Die Verantwortlichkeit muss bei demjenigen ansetzen, der eine
       Rechtsverletzung begeht, sei es dass er illegale Inhalte in das Internet
       einstellt oder einen illegalen Dienst anbietet. Die zunehmende Tendenz, die
       Verantwortlichkeit für von Dritten begangene Rechtsverletzungen auf
       lediglich vermittelnde beziehungsweise zwischengeschaltete Diensteanbieter
       oder gar reine Infrastrukturanbieter zu verlagern, halte ich für
       bedenklich. Damit würden Provider zu einer Art Hilfssheriffs gemacht. Eine
       allgemeine Überwachung und Inhaltskontrolle des Internet kann und darf es
       nicht geben.
       
       9 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ben Schwan
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
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