# taz.de -- Bürgerrechtler über Acta: "Ich hoffe auf Käse und das Parlament"
       
       > Das Acta-Abkommen betrifft Käsesorten ebenso wie die Frage, was man im
       > Netz darf. Der Bürgerrechtler Jérémie Zimmermann kritisiert die
       > Ergebnisse der Geheimniskrämerei der Unterhändler.
       
 (IMG) Bild: Werden durch Acta Provider zu Internetpolizisten?
       
       taz: Herr Zimmermann, die neue Version des Acta-Abkommens ist
       veröffentlicht worden. Auf der einen Seite werden darin Markennamen wie
       Parmesan und Camembert geschützt, auf der anderen Seite werden
       Urheberrechtsverletzungen im Internet bekämpft. Wie passt das zusammen? 
       
       Jérémie Zimmermann: Das Abkommen stellt industrielle Fälschungen von
       Autoteilen oder DVDs auf die gleiche Stufe wie Filesharing zwischen zwei
       Individuen im Internet. Die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden sollen,
       sind übertrieben. Und könnten, wenn man damit Internetnutzer attackiert,
       riesige Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit haben - und auch auf die
       Privatsphäre der Nutzer.
       
       Erklären Sie doch einmal: Was droht Internetnutzern in Europa konkret, wenn
       Acta so, wie es jetzt ausgehandelt wurde, umgesetzt wird? 
       
       Die Rechteinhaber - das heißt die Musik- und Filmindustrie - bekommt neue
       Werkzeuge an die Hand, mit denen sie Druck auf die Internet Service
       Provider ausüben können. Das betrifft Google, YouTube - aber auch die
       Firmen, die jeder von uns für seine Internetverbindung bezahlt. Sie sollen
       akzeptieren, Nutzern, die zu viel downloaden, den Internetanschluss zu
       kappen oder ihre Leitung langsamer zu machen. Oder Webseiten, die für
       Filesharing genutzt werden, zu blockieren.
       
       Und wie sollen die Rechteinhaber die Internetanbieter dazu zwingen können? 
       
       Das Abkommen wird ein Druckmittel für die Unterhaltungsindustrie. Sie kann
       Internetanbieter drängen, Polizeiaufgaben zu übernehmen. Vorbei an
       juristischen Autoritäten und ohne die Möglichkeiten für einen fairen
       Prozess.
       
       Worin genau besteht denn die Gefahr? Früher haben Sie kritisiert, dass das
       Abkommen sogenannte "Three Strikes"-Regelungen einführen sollte: Wer
       wiederholt beim Filesharing erwischt wird, dem soll der Internetzugang
       gekappt werden. Das steht im aktuellsten Entwurf gar nicht mehr drin. 
       
       Es gibt in dem Vertragstext keine Verpflichtungen mehr, das umzusetzen.
       Aber die Existenz der strafrechtlichen Sanktionen erzeugt einen sehr hohen
       Druck auf die Provider. Und auf die Meinungsfreiheit per se.
       
       Inwiefern? 
       
       Acta ist sehr viel mehr als ein normales Handelsabkommen, weil es neue
       strafrechtliche Sanktionen einführt. Das allein würde schon rechtfertigen,
       das gesamte Abkommen zu kippen - denn solche Zwangsmaßnahmen sollten nicht
       geheim verhandelt, sondern öffentlich und demokratisch debattiert werden.
       Dazu kommt, dass Acta diese Sanktionen dann vorsieht, wenn jemand bei
       Urheberrechtsverletzungen hilft oder dazu anstiftet. Damit kann großer
       Druck auf Internet Service Provider und Internet Access Provider ausgeübt
       werden: Entweder sie akzeptieren die Schritte gegen ihre Nutzer, die die
       Unterhaltungsindustrie von ihnen verlangt. Also beispielsweise das Filtern
       von bestimmten Inhalten. Oder sie riskieren, vor Gericht gezerrt zu werden
       beziehungsweise strafrechtliche Sanktionen. Da ist es einfach zu
       prognostizieren, dass sie wohl eher gegen die Nutzer vorgehen werden als
       Strafmaßnahmen zu provozieren.
       
       Und sonst ist alles okay? 
       
       Nein. Laut den Artikeln 5 und 6 des Entwurfes soll ein Acta-Komitee
       eingerichtet werden, in dem Änderungen am Vertrag verhandelt und
       verabschiedet werden. Das heißt: Acta wird selbst zu einer Art Gesetzgeber.
       Nachdem zum Beispiel das Europäische Parlament das Abkommen akzeptiert
       haben wird, kann es vom Acta-Komitee dennoch modifiziert werden. Das
       bedeutet im Klartext: Wenn im Abkommen heute eine Passage drinsteht, die
       komplett harmlos erscheint, kann sich das schnell ändern. Jetzt heißt es
       zum Beispiel an einer Stelle: Behörden könnten Internet Service Provider
       zwingen, persönliche Daten ihrer Kunden an Rechteinhaber zu übermitteln.
       Wenn aus diesem "könnte" in Zukunft ein "muss" oder "soll" wird, ändert
       sich die gesamte Bedeutung. Darum ist das Ganze nicht akzeptabel. Ich
       denke, dass kein gewählter Repräsentant von irgendeiner Demokratie das
       tolerieren sollte.
       
       Viele andere Acta-Kritiker wie der kanadische Wissenschaftler Michael Geist
       oder die US-Bürgerrechtsgruppe Public Knowledge finden den jüngsten Entwurf
       vergleichsweise harmlos. Sie sind einer der letzten wirklich scharfen
       Kritiker. Warum? 
       
       Der Text hat sich mit der Zeit verbessert. Aber ich teile den Optimismus
       derer, die sie gerade genannt haben, nicht. Meiner Ansicht nach hat sich
       Acta von sehr, sehr, sehr schlimm zu sehr, sehr schlimm entwickelt. Die
       Sprache in dem Abkommen ist vage, subtiler geworden und die meisten
       juristischen Bestimmungen sind rausgeflogen. Aber ich glaube, die Leute
       tappen damit in genau die Falle, die die Aushandler von Acta für sie
       ausgelegt haben: Natürlich haben sie auf ein paar Punkte verzichtet. Aber
       das ist natürlich gemacht worden, um den Widerstand gegen das Abkommen
       herunterzukühlen.
       
       Vieles, was die Unterhaltungsindustrie gerne in das Acta-Abkommen eingefügt
       hätte, stand zwar in ersten Versionen des Vertragstextes, ist aber
       inzwischen gestrichen. Damit sind die Vertreter der Film- und Musikfirmen
       doch geschlagen, oder etwa nicht? 
       
       Nein, die sind komplett glücklich damit. Sie wollten mehr, aber sie sind
       glücklich. Für sie ist das ein wichtiger erster Schritt. 39 Länder dazu zu
       bringen, solche vagen Maßnahmen zu beschließen und ihnen so mächtige
       Werkzeuge an die Hand zu geben - das ist schon ein riesiger Sieg. Es gibt
       eine Pressemitteilung der Motion Picture Association of America, in der sie
       die jüngsten Fortschritte und das jetzige Ergebnis begrüßen.
       
       An welchem Punkt der Verhandlungen befinden wir uns eigentlich? In Japan
       hat man sich zwar auf einen neuen Entwurf für das Acta-Abkommen geeinigt,
       fertig ist man aber noch nicht. Wird es eine weitere Verhandlungsrunde
       geben? 
       
       Nein. Sie haben versprochen, dass es keine weitere Verhandlungsrunde geben
       wird. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass die japanische Regierung
       gerne den Ruhm dafür einheimsen würde, dass das Abkommen bei ihnen
       verhandelt wurde. Sie würde Acta gern als Tokio-Agreement etikettieren.
       
       So einfach ist das aber nicht. Es gibt zumindest noch ein paar Punkte, in
       denen man sich nicht einigen konnte. 
       
       Ein paar Punkte? Die wichtigste Frage von allen ist noch offen: Wie weit
       soll das Abkommen reichen? Es geht darum, ob geografische
       Markenbezeichnungen Teil des Abkommens werden oder nicht. Soll Acta also
       nun regeln, wann ein Käse sich Parmesan und Camembert nennen darf? Für die
       Europäer ist das ziemlich wichtig - aber die USA wollte davon noch nie
       etwas hören. Das ist ein wirklich großes Thema, dass noch ungeklärt ist.
       Und wir werden sehen, dass das dann im Rahmen von technischen Treffen und
       Telefonaten geklärt wird - aber ohne eine neue Verhandlungsrunde. Das zeigt
       einmal mehr, wie irre dieser ganze Prozess ist - wenn die Knackpunkte
       zwischen Ministerien ausgehandelt werden.
       
       Nennen Sie den Prozess deshalb "Fälschung von Demokratie"? 
       
       Ja. Der gesamte Acta-Prozess ist darauf ausgerichtet, demokratische
       Parlamente und die öffentliche Meinung zu umgehen. Er enthält Bestimmungen,
       die sich einfach so verändern können, auch nachdem das Vertragswerk
       angenommen wurde - und so dauerhaft demokratische Prozesse umgeht. Wenn wir
       das einmal akzeptieren, bei einem so wichtigen Thema wie Zugang zum
       Internet, das eng mit freier Meinungsäußerung, Datenschutz und dem Recht
       auf faire Prozesse zusammenhängt, dann öffnen wir generell die Tür für
       solch ein undemokratisches Vorgehen.
       
       Haben Sie den Eindruck, dass Sie das Abkommen zum jetzigen Zeitpunkt nicht
       mehr verhindern können? 
       
       Nein, natürlich nicht! Wir können eine Kampagne starten, damit das
       Europäische Parlament das gesamte Acta-Abkommen ablehnt. Und das bereiten
       wir schon seit Jahren vor. Es wäre ja denkbar, dass die EU aus dem gesamten
       Abkommen aussteigt, weil die geografischen Markenbezeichnungen
       ausgeklammert werden.
       
       Dann ruht Ihre Hoffnung jetzt auf der Markenmacht der Hersteller von
       Parmesan und Camembert? 
       
       Ja, ich hoffe auf den Käse und auf das Europäischen Parlament.
       
       12 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
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