# taz.de -- Verurteilung Julia Timoschenkos: Ende einer Farce
       
       > Sieben Jahre Haft bekommt Julia Timoschenko für einen Gasvertrag mit
       > Russland. Die Urteilsverkündung nutzt sie noch einmal zu einem
       > Kräftemessen mit dem Richter.
       
 (IMG) Bild: Ignorierte den Richter: Julia Timoschenko im Gericht.
       
       LEMBERG taz | Auf dem Gesicht von Julia Timoschenko war deutlich die
       Spannung zu sehen, als der Richter mit einer monotonen Stimme das Urteil
       verlas. Sie verlor aber nie die Fassung. Das helle Kostüm und das gewohnt
       zu einem Kranzzopf gestylte blond gefärbte Haar betonten nur zusätzlich die
       Blässe ihres Gesichts.
       
       Von Zeit zu Zeit wechselte sie ein paar Worte mit ihrem Ehemann und ihrer
       Tochter, beide waren offiziell als Timoschenkos "Anwälte" zugelassen und
       durften den Sitzungen seit einigen Wochen beiwohnen. Die drei waren die
       Einzigen, die während der Urteilsverkündung sitzen geblieben waren.
       
       Julia Timoschenko stand nur kurz auf, um eine Erklärung abzugeben. Sie
       ignorierte den Richter, die beiden sprachen gleichzeitig. Der Fernsehkanal
       5, der immer noch als relativ unabhängig gilt, übertrug live. Der Richter
       versuchte lauter zu sprechen, die Toningenieure drehten die Mikrofone in
       der Nähe von Timoschenko hoch.
       
       Es war das letzte Kräftemessen. Der Richter las weiterhin monoton,
       Timoschenko wandte sich mit eingeübten Floskeln an das Volk. Das Wort
       "Schande" erreichte den Richter, noch bevor er in höchster Eile den Saal
       verlassen konnte.
       
       ## "Rückkehr in das Jahr 1937"
       
       Sein Urteil: sieben Jahre Haft für die ehemalige ukrainische
       Ministerpräsidentin Timoschenko. Außerdem darf die Oppositionsführerin
       weitere drei Jahre kein Regierungsamt innehaben. Beobachter bezeichneten
       den Prozess bereits vor der Urteilsverkündung als politisch motiviert. Der
       Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Timoschenko habe durch die Unterzeichnung
       der Gasverträge mit Russland im Januar 2009 gegen die Interessen des
       Staates verstoßen und einen wirtschaftlichen Schaden für den Staatskonzern
       Naftogaz in der Höhe von 1,5 Milliarden Hrywnja, umgerechnet etwa 137
       Millionen Euro, verursacht. Und so spricht das Urteil von einem besonders
       schweren Fall von Amtsmissbrauch.
       
       Unabhängige Juristen weisen darauf hin, dass ein Artikel im
       Strafgesetzbuch, der eigentlich ein Relikt aus der Sowjetzeit ist, auf
       diese Weise die strafrechtliche Ahndung politischer Entscheidungen
       ermögliche, denen keine Korruption und persönliche Vorteile zugrunde
       liegen. Und so nannte Timoschenko das Urteil eine Rückkehr in das Jahr 1937
       und spielte damit auf die stalinistischen Schauprozesse an.
       
       Der Prozess trug von Beginn an stark die Züge einer Farce: Da ist der
       junge, unerfahrene Richter Rodion Kirejev, der offenbar nicht unabhängig
       handelte. Da sind die zeitweise absurd anmutenden Vorwürfe der
       Staatsanwaltschaft und die Nichtzulassung der Zeugen. Außerdem wurden
       sämtliche Anträge und Argumente der Verteidigung ignoriert.
       
       Im Gegenzug weigerte sich Timoschenko, das Gericht anzuerkennen, und blieb
       vor dem Richter sitzen. Das Treiben im Gericht wurde durch die Proteste der
       Timoschenko-Anhänger vor dem Gerichtsgebäude und die organisierten
       Gegendemonstrationen begleitet.
       
       ## Gasvertrag brachte Lob aus Europa
       
       Timoschenko, die zusammen mit dem späteren Präsidenten Wiktor Juschtschenko
       eine der wichtigsten Protagonisten der Orange Revolution von 2004 war, war
       nach der Machtübernahme zweimal Ministerpräsidentin: von Januar bis
       September 2005 sowie von Dezember 2007 bis März 2010. Zwischenzeitlich
       führte sie die Opposition an. Doch die anhaltenden Streitereien zwischen
       Juschtschenko und Timoschenko führten in der Folge zu politischen Blockaden
       und einem enormen Vertrauensverlust.
       
       Dazu kamen wirtschaftliche Schwierigkeiten. So brach im Januar 2009 eine
       Gaskrise zwischen der Ukraine und Russland aus, weil sich Kiew und Moskau
       nicht auf den Preis für russisches Gas einigen konnten. Die russische
       Gazprom drehte daher den Gashahn zu, wodurch auch die Lieferungen Richtung
       Westen unterbrochen wurden.
       
       In dieser Situation unterzeichnete Timoschenko einen ungünstigen Gasvertrag
       mit Russland. Dadurch erntete sie Lob von europäischen Politikern, musste
       aber gleichzeitig heftige Kritik in ihrem eigenen Land einstecken. Zudem
       wurde durch den Vertrag auch die ukrainische Gaslobby der Zwischenhändler
       aus dem äußerst lukrativen Markt gedrängt.
       
       Nachdem Julia Timoschenko bei den als demokratisch eingeschätzten
       Präsidentschaftswahlen im Februar 2010 gegen Wiktor Janukowitsch in der
       Stichwahl knapp unterlag, brachen schwere Zeiten für sie an. Der zunehmend
       autoritär regierende Janukowitsch übernahm bald die Kontrolle über Medien
       und Justiz und schickte sich an, die Opposition mundtot zu machen. Gegen
       mehrere Exminister wurden Verfahren eingeleitet. Die Vorwürfe lauteten
       meistens auf Korruption und Amtsmissbrauch. Im Mai 2011 kam es zur Anklage
       gegen Timoschenko.
       
       Auf der Straße kam es nach dem Urteil zu Zusammenstößen zwischen
       Demonstranten und der Polizei. Die Behörden sprachen von 2.000 Teilnehmern,
       die Opposition gab die Zahl mit 10.000 an.
       
       11 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Juri Durkot
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Timoschenkos Berufungsprozess: Handgemenge zum Prozessauftakt
       
       Die Berufungsverhandlung der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko
       begann mit einem Handgemenge vor dem Gericht in Kiew. Ein
       Befangenheitsantrag wurde abgelehnt.
       
 (DIR) Timoschenko bleibt in Haft: Parlament gegen vorzeitige Entlassung
       
       Keine Amnestie: Das ukrainische Parlament lehnt einen Gesetzesentwurf ab,
       der zur Freilassung der Oppositionsführerin Julia Timoschenko geführt
       hätte.
       
 (DIR) Ukrainischer Autor über sein Land: "Wir haben nur Krise, nichts anderes"
       
       Verhaftungen, Spitzelei, Zensur: Sein Land ist in Verhältnisse
       zurückgekehrt, die man mit der Revolution hinter sich lassen wollte, sagt
       der ukrainische Juri Andruchowytsch.
       
 (DIR) EU erhöht Druck auf ukrainische Regierung: Janukowitsch unerwünscht
       
       Nach der Verurteilung der ukrainischen Oppositionspolitikerin Julia
       Timoschenko hat die EU-Kommission ein für Donnerstag geplantes Treffen mit
       Staatschef Viktor Janukowitsch verschoben.
       
 (DIR) Janukowitsch stellt Freilassung in Aussicht: Amnestie für Timoschenko möglich
       
       Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch deutete eine Freilassung der
       Expremierministerin Julia Timoschenko an. Gegen die wurden zugleich aber
       neue Ermittlungen angesetzt.
       
 (DIR) Die Ukraine und Europa: Zurück in die Vergangenheit
       
       Mehrere Abkommen mit der Ukraine sind reif für die Unterzeichnung, doch die
       EU zögert. Das Urteil gegen Timoschenko ist eine Bestätigung für die
       Skeptiker.
       
 (DIR) Reaktionen auf Verurteilung Timoschenkos: EU ist tief enttäuscht
       
       Nach der Verurteilung von Julia Timoschenko droht Brüssel der Ukraine mit
       "ernsten Folgen", Moskau nennt das Urteil "antirussisch". Timoschenko
       kündigte Widerspruch an.
       
 (DIR) Kommentar Verurteilung Timoschenkos: Europas Ostpolitik ist gescheitert
       
       Von Anfang an war klar, dass es bei der Prozessposse um eine Abrechnung mit
       Timoschenko ging. Jetzt muss die EU ihre Politk gegenüber
       Ex-Sowjetrepubliken neu justieren.
       
 (DIR) Experte über die EU und den Osten: "Die EU hat keine Strategie"
       
       Osteuropa-Experte Cornelius Ochmann fordert, die Östliche Partnerschaft der
       EU verstärkt als Forum für zivilgesellschaftlichen Dialog zu nutzen.
       
 (DIR) Prozess gegen Julia Timoschenko: Rechtsbeugung nach ukrainischer Art
       
       Der Prozess gegen die Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko zeigt die
       Defizite des ukrainischen Rechtsstaates. Die Richter werden kontrolliert.
       
 (DIR) Prozess gegen Timoschenko in der Ukraine: "Sorge über Rechtsstaatlichkeit"
       
       Der Antrag auf Aufhebung der Untersuchungshaft für Julia Timoschenko wurde
       abgelehnt. Tausende demonstrierten gegen die Inhaftierung der früheren
       Ministerpräsidentin.
       
 (DIR) Amtsmissbrauch in der Ukraine: Timoschenko in U-Haft
       
       Schuld ist ein "verräterisches" Gasabkommen, das die Ukraine beinahe
       ruiniert hätte. Dafür muss die ehemalige Regierungschefin Timoschenko nun
       in U-Haft.