# taz.de -- Syrische Opposition: Aufstand sucht Anführer
       
       > Der syrische Nationalrat ist von Rivalitäten gelähmt, den Rebellen fehlt
       > es an Zusammenhalt. Doch langsam wächst eine neue Führung heran.
       
 (IMG) Bild: Ein syrischer Oppositioneller in Bukarest.
       
       BERLIN taz | Kamal al-Labwani ist mit seiner Geduld am Ende. Der Mann, der
       bereits sein ganzes Leben gegen das Regime in Damaskus kämpft, hat sich nun
       auch mit vielen seiner Weggefährten überworfen. Vor wenigen Tagen haben er
       und zwei weitere prominente Mitglieder des Syrischen Nationalrats (SNC) die
       Organisation verlassen – und damit erneut die Brüche innerhalb der
       syrischen Opposition bloßgelegt.
       
       „Wir machen eine Revolution innerhalb der Revolution“, sagt al-Labwani,
       „jetzt kämpfen wir auch gegen unsere Freunde.“ In seinen Worten schwingt
       Bedauern mit. Doch so, wie er es sieht, gab es keinen anderen Weg als den
       offenen Bruch mit dem Oppositionsbündnis.
       
       Kamal al-Labwani hat viele Jahre in Syrien im Gefängnis verbracht. Seine
       jüngste Haftstrafe endete erst im November. Damals hatte er keine Ahnung,
       dass sein Land bereits seit acht Monaten in Aufruhr war. Nach der
       Entlassung stürzte sich der 55-Jährige mit aller Kraft in die Revolte.
       Kürzlich musste er nach Jordanien fliehen, um einer erneuten Festnahme zu
       entgehen.
       
       „Was wir jetzt brauchen, sind richtige Anführer – oder das Land versinkt im
       Chaos“, sagt al-Labwani. Doch der SNC sei für diese Rolle gänzlich
       ungeeignet. Er wirft dem Bündnis Untätigkeit vor, Verrat an den
       Protestierenden, „autokratische“ Strukturen und einen viel zu großen
       Einfluss der Muslimbruderschaft. „Wir müssen ehrlich sein“, sagt Kamal
       al-Labwani, „der SNC ist eine große Lüge. Es gibt keine Organisation, die
       diesen Namen verdient.“ Deshalb will er bald ein neues Gremium bilden.
       
       ## Internationale Gemeinschaft macht Druck
       
       Noch ein neues Gremium. Als sei die syrische Opposition nicht bereits jetzt
       in eine Vielzahl von Gruppierungen und Bündnissen zersplittert. Der SNC
       wurde im Oktober in Istanbul gegründet, um eine vereinte Front gegen das
       Assad-Regime zu schaffen. Doch davon ist der Nationalrat nach wie vor weit
       entfernt. „Die internationale Gemeinschaft übt derzeit sehr viel Druck auf
       uns aus, dass wir uns einig werden“, sagt Najib Ghadbian, ein
       Führungsmitglied des SNC in Arkansas.
       
       Doch niemand weiß, wie das gehen soll. Die Legitimität des Rates sollte
       sich daraus herleiten, dass er alle Strömungen umfasst. Daher sind unter
       den 270 Mitgliedern Säkulare und Islamisten vertreten, Exilanten und
       Aktivisten vor Ort, Kurden, Nationalisten, Liberale und Marxisten. Dennoch
       wird der Rat nun von internen Rivalitäten zerrieben.
       
       „Natürlich ist es nicht gut für uns, dass einige Leute jetzt offen
       ausgeschert sind“, sagt Najib Ghadbian. „Wir nehmen diesen Vorfall als
       Anstoß, uns völlig neu zu strukturieren.“ Die Neuaufstellung soll
       verhindern helfen, dass das Bündnis in der Bedeutungslosigkeit versinkt.
       Westliche wie arabische Staaten scheuen davor zurück, sich hinter eine
       Organisation zu stellen, die ein Bild der Zerrissenheit abgibt.
       
       Für Zwist sorgt vor allem die Frage nach der bewaffneten Seite des
       Aufstands. Seit die Proteste vor rund einem Jahr begonnen haben, wurden
       nach UN-Schätzungen über 8.000 Menschen getötet. Erst vor Kurzem hat sich
       der SNC der Forderung nach einem internationalen Militäreingriff
       angeschlossen – viel zu zaghaft und viel zu spät, wie Kritiker meinen.
       
       ## Der Preis für 42 Jahre Assad
       
       Andere dagegen lehnen einen gewaltsamen Umsturz grundsätzlich ab. „Eine
       Intervention sieht aus wie eine einfache Lösung“, sagt Khaldoon al-Aswad,
       ein Mitglied des Nationalen Koordinierungskomitees für den demokratischen
       Wandel (NCC) in den USA. „Doch wir halten diesen Ansatz für kurzsichtig.
       Denn es geht ja darum, einen zivilgesellschaftlichen und politischen
       Übergang einzuleiten. Dieses Ziel lässt sich nicht mit ausländischen
       Truppen erreichen.“
       
       Das NCC ist das zweite große Oppositionsbündnis, eine überwiegend in Syrien
       ansässige Koalition aus 13 tendenziell linken Parteien. Anders als der
       Nationalrat unterstützt der Block ausschließlich die friedlichen Proteste
       und fordert einen Dialog mit dem Regime, der an Bedingungen geknüpft sein
       soll.
       
       Khaldoon al-Aswad ist überzeugt, dass das dem Willen der Bevölkerung eher
       entspricht als Militärschläge von außen. Doch er räumt ein, dass der NCC
       von denselben Problemen gehemmt wird wie der Nationalrat. „Wir zahlen den
       Preis für das, was uns das Assad-Regime 42 Jahre lang angetan hat: Bisher
       war kein politisches Leben in Syrien möglich. Die Opposition ist schwach
       und verstreut und wird nur von dem Wunsch zusammengehalten, Assad
       loszuwerden.“
       
       Die Zeit drängt. Denn immer mehr Regimegegner greifen zu den Waffen, ohne
       dass es eine militärische oder zivile Autorität gibt, der die Kämpfer der
       Freien Armee Syriens (FSA) unterstellt sind. Damit birgt die
       Militarisierung des Aufstands das Risiko, dass Chaos und Gewalt weiter um
       sich greifen. Zwar erkennen die Rebellen die Führung der FSA, einer Gruppe
       übergelaufener Offiziere in der Südtürkei, formal an, doch ist die FSA
       keine „Armee“ mit zentralen Kommandostrukturen, sondern ein Sammelbecken
       für lokale Milizen, Deserteure und Bürgerwehren.
       
       „Wir erhalten von der FSA-Führung weder Unterstützung noch Befehle“, sagt
       Amir, ein Kämpfer im ostsyrischen Deir Azzour. In aller Regel versuchten
       die Rebellen, die Offiziere vorab über Angriffe zu informieren. Meist sei
       dies aber gar nicht möglich, weil Internet und Telefon immer wieder
       abgestellt werden. „Wir kämpfen einfach für unsere Stadt“, sagt Amir, „für
       unser Überleben.“ Die FSA-Führung hat ebenso wenig Einfluss auf die Kämpfer
       vor Ort, wie der Nationalrat die Proteste steuert. Viele Regimegegner in
       Syrien ärgert es daher, dass diese beiden Bündnisse häufig als die
       wichtigsten oppositionellen Gruppen angesehen werden.
       
       „SNC und FSA werden völlig überbewertet. Das liegt daran, dass die Medien
       nach einfachen Mustern suchen, um die Zusammenhänge darzustellen“,
       kritisiert Basel, ein junger Aktivist in Damaskus. Die wahren Strukturen
       seien sehr viel komplizierter: Nach wie vor sind es ganz normale Menschen
       in Syrien, die den Aufstand tragen: „Das sind Leute, von denen niemand
       weiß, weil sie im Untergrund leben. Die sind wirklich dafür verantwortlich,
       dass die Dinge in Bewegung geraten sind.“
       
       ## Geflecht aus Räten, Gremien und Komitees
       
       Schon früh haben die Aktivisten begonnen, ein breit gefächertes Geflecht
       aus Räten, Gremien und Komitees zu bilden. An der Schnittstelle zwischen
       der Protestbewegung in den Vororten und der Öffentlichkeit stehen
       landesweite Aktivistennetzwerke. Zu den bekanntesten zählen die Lokalen
       Koordinationskomitees (LCC) und die Union zur Koordinierung der syrischen
       Revolution (SCRU). Beide sind inzwischen gut organisiert und haben Kontakte
       zu den internationalen Medien.
       
       „Wir werden immer professioneller“, sagt Emad Maho, ein SCRU-Mitglied aus
       der Nähe von Damaskus, das vor einigen Wochen nach Jordanien geflüchtet
       ist. „Wir sammeln Geld bei Syrern im Ausland, damit sich die Aktivisten vor
       Ort Skype-Guthaben kaufen können. Wir haben auch dafür gesorgt, dass
       Satellitentelefone und Modems ins Land kommen, damit die Leute Kontakt
       halten können.“
       
       Zudem versuchten die SCRU-Aktivisten zu beeinflussen, welche Slogans auf
       den Bannern der Demonstranten stehen. So wird sichergestellt, dass die
       Mottos bei den Freitagsdemonstrationen landesweit eingehalten werden. Vor
       allem aber soll verhindert werden, dass sich Sprüche verbreiten, die
       Spannungen zwischen den Religionen schüren.
       
       „Hassparolen sind schlecht für Syrien“, sagt Emad Maho. „Das versteht nicht
       jeder. Vor allem Leute, die Angehörige verloren haben, erreichen wir oft
       nicht mehr. Doch unsere Botschaft ist: Es kann nicht sein, dass wir Tiere
       werden so wie das Regime.“ Allerdings ist umstritten, wie weit der Einfluss
       dieser Gruppen tatsächlich geht; zudem scheinen ihre Netzwerke in den
       einzelnen Städten unterschiedlich gut ausgebaut zu sein.
       
       ## „Weder Muslimbrüder noch Salafisten“
       
       Maho räumt ein, dass auch SRCU und LCC die Proteste nicht anführen. Andere
       Quellen in Syrien bezeichnen beide eher als „Mediengruppen“, die nicht viel
       Rückhalt auf der Straße haben. Doch auf noch viel elementarerer Ebene, tief
       verwurzelt in der Gesellschaft, haben sich in den Protesthochburgen zarte
       Strukturen herausgebildet, aus denen einmal eine Führung der Opposition
       entstehen könnte.
       
       „Das sind weder Muslimbrüder noch Salafisten, es sind gar keine Leute, die
       bislang politisch in Erscheinung getreten sind“, sagt der syrische
       Menschenrechtsaktivist Wissam Tarif. „Das sind junge Leute, die nun das
       Leben in den Städten managen und die Arbeit eines kleinen Staates
       übernommen haben.“ Im Laufe des vergangenen Jahres haben komplexe Formen
       der Selbstverwaltung Gestalt angenommen, etwa in Form von
       „Revolutionsräten“, die es inzwischen in vielen syrischen Städten gibt.
       
       „Die Revolutionsräte machen ganz alltägliche Dinge. Sie zählen die
       Märtyrer, verteilen Hilfsgüter an die Familien der Märtyrer, machen
       Medienarbeit und organisieren Demonstrationen“, sagt Abu Emad, ein Aktivist
       aus Homs. „Innerhalb des Rates sind alle Schichten der syrischen
       Gesellschaft vertreten, Arbeiter, Ärzte, Ingenieure, Handwerker.“ Doch
       inmitten von Gewalt und Repressionen fällt es den Menschen oft schwer, die
       zivilgesellschaftlichen Entwicklungen in Gang zu halten.
       
       „Wir müssen uns verstecken und können nie lange an einem Ort bleiben“, sagt
       Manhal Abu Bakr, ein Mitglied des Revolutionsrats in Hama. „Gestern sind
       gleich drei unserer wichtigsten Vertreter getötet worden.“ Dennoch gebe es
       innerhalb des Revolutionsrats in Hama inzwischen über 50 Arbeitskreise, für
       die Versorgung der Verwundeten etwa, aber auch zuständig für die Musik bei
       den Protesten und für Absprachen mit den bewaffneten Rebellen im Land.
       
       „Egal um welchen sozialen Aspekt es geht, wir haben Leute, die sich darum
       kümmern“, sagt Manhal. Die Regimegegner in Hama wissen, dass sie auf
       stabile Strukturen der Krisenverwaltung angewiesen sind. Denn ein Ende des
       blutigen Kampfes gegen das Assad-Regime ist noch lange nicht in Sicht.
       
       27 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela M. Keller
       
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